Fallgruppe: Mittelbare Stellvertretung

26. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K kauft von V im eigenen Namen, aber auf Rechnung der U einen Lieferwagen. Er soll am 1.5 geliefert werden. V liefert den Wagen erst am 10.5. U muss zwischenzeitlich einen anderen Wagen mieten, wodurch ihr €1.000 Mietkosten entstehen.

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Einordnung des Falls

Fallgruppe: Mittelbare Stellvertretung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Durch die Verzögerung der Lieferung hat U einen Vermögensschaden erlitten.

Genau, so ist das!

Nach der Differenzhypothese liegt ein ersatzfähiger Vermögensschaden vor, wenn sich bei einem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage (tatsächliche Lage) mit derjenigen, die sich ohne jenes Ereignis ergeben hätte (hypothetische Lage), ein rechnerisches Minus ergibt.Hätte V pünktlich geliefert, so hätte U nicht die zusätzlichen Mietkosten für den Mietwagen aufwenden müssen.
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2. U steht gegen V ein Schadensersatzanspruch wegen der verzögerten Lieferung aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB zu.

Nein, das trifft nicht zu!

Sämtliche vertraglichen Schadensersatzansprüche setzen zunächst das Bestehen eines Schuldverhältnisses voraus (§ 280 Abs. 1 BGB).U selbst hat den Kaufvertrag mit V nicht geschlossen. Ks Handeln wird ihr auch nicht über die Stellvertretung zugerechnet (§ 164 Abs. 1 BGB). Denn K hat den Vertrag nicht im Namen der U, sondern im eigenen Namen abgeschlossen (§ 164 Abs. 1 BGB). Somit fehlt es an dem notwendigen Schuldverhältnis zwischen U und V.Handelt der Vertreter zwar im eigenen Namen, aber auf fremde Rechnung, so spricht man von mittelbarer Stellvertretung. Paradebeispiel hierfür ist das hier vorliegende Kommissionsgeschäft (§§ 383 ff. HGB).

3. Steht U gegen V ein Schadensersatzanspruch wegen der verzögerten Lieferung aus § 823 Abs.1 BGB zu.

Nein!

Ein deliktischer Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB setzt zunächst voraus, dass der Schädiger eines der hierin aufgezählten Rechtsgüter verletzt. Bloße Vermögensschäden werden von § 823 Abs. 1 BGB nicht erfasst.Die verzögerte Lieferung hat keines der in § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgüter verletzt. Es liegt allein eine Beeinträchtigung von Us Vermögen vor.Schadensersatzansprüche gegen K scheiden insoweit aus, als K hier kein Verschulden trifft.

4. Mit Ausnahme des Schadens liegen alle Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch des K gegen V aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB vor.

Genau, so ist das!

Ein Schadensersatzanspruch wegen verzögerter Leistung (§§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB) besteht, sofern (1) ein Schuldverhältnis vorliegt, (2) der Schuldner sich im Schuldnerverzug befindet (§ 286 BGB) und (3) ein Schaden des Gläubigers besteht.K und V haben einen Kaufvertrag geschlossen. Als Liefertermin war der 1.5 vereinbart, weswegen eine Mahnung entbehrlich war (§ 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Obwohl Ks Forderung fällig und durchsetzbar war, hat V erst am 10.5 geliefert. Das Vertretenmüssen wird vermutet (§ 286 Abs. 4 BGB). Ein Schaden ist K allerdings nur bei U eingetreten, für die der Wagen bestimmt war.

5. Dass K keinen Schaden erlitten hat, stellt sich für V als zufällige Schadensverlagerung dar.

Ja, in der Tat!

Eine zufällige Schadensverlagerung ist im Wesentlichen nur in vier Fallkonstellationen anerkannt: (1) Obligatorische Gefahrentlastung, (2) mittelbare Stellvertretung, (3) Obhut für fremde Sachen und (4) Treuhandverhältnisse. Zu 2: Die zufällige Verlagerung ergibt sich daraus, dass diese allein auf dem Innenverhältnis zwischen dem mittelbaren Vertreter und dem Geschädigten beruht. Dies soll über die Drittschadensliquidation korrigiert werden.Hätte K als Stellvertreter der U und nicht als Kommissionär den Vertrag abgeschlossen, so wäre direkt ein Vertrag zwischen K und V zustande gekommen. Dass K und U den Weg der mittelbaren Stellvertretung gewählt haben, führt für V somit zu einer rein zufälligen Schadensverlagerung.

6. K kann von V Ersatz des Verzögerungsschadens aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB iVm den Grundsätzen der Drittschadensliquidation verlangen.

Ja!

Der Anspruchsinhaber kann über die Drittschadensliquidation fremde Schäden geltend machen, wenn (1) der Geschädigte keinen Anspruch, (2) der Anspruchsinhaber keinen Schaden hat und (3) der verursachte Schaden lediglich zufällig von dem Anspruchsinhaber auf den Geschädigten verlagert wurde.U stehen weder vertragliche noch deliktische Schadensersatzansprüche zu. Da K als mittelbarer Stellvertreter der U gehandelt hat, ist der Schaden nicht bei ihm, sondern bei U eingetreten. Dies stellt sich für V als zufällige Schadensverlagerung dar.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

SUGE

sui generis

9.10.2022, 00:45:54

Mich würde interessieren, wie U nun an die Zahlung der 1000€ kommt? Bei ihm ist letztlich der Schaden entstanden. Es erscheint mir daher unbillig, dass der Anspruch auf SE gegen V bei K verbleibt. Die Voraussetzungen des §285 liegen nicht vor. Wie kommt U also an sein Geld, oder übersehe ich irgend etwas?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

10.10.2022, 09:48:12

Hallo TL, vielen Dank für Deine Frage! Fehlt es an den Voraussetzungen des §

285 BGB

, so ergibt sich der Anspruch auf Abtretung bzw. die Herausgabe unmittelbar aus den Grundsätzen der

Drittschadensliquidation

(Weiler, Schuldrecht AT, § 44 RdNr. 16). U kommt also auch in diesem Fall an sein Geld :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Larissa3

Larissa3

18.10.2022, 10:54:49

Kann man dann auch § 285 analog anwenden?

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

29.8.2023, 12:19:08

Bei der vorletzten Frage wurden U und K im ersten Satz der Subsumtion vertauscht.

DIAA

Diaa

3.9.2023, 02:31:30

Das stimmt!

Artimes

Artimes

23.9.2024, 14:11:10

Handelt es sich bei der Kommission gem. § 383 HGB um einen eigenständigen Typenvertrag oder würde ich § 675 BGB als Vertragstyp nennen?

LELEE

Leo Lee

28.9.2024, 05:31:28

Hallo Artimes, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Du hast völlig Recht! Bei einem Kommissionsgeschäft (was insofern eine handelsrechtliche "

Konkretisierung

" darstellt) handelt es sich um einen

Geschäftsbesorgungsvertrag

nach 675 BGB, da auch hier fremde wirtschaftliche Interessen wahrgenommen werden und damit ein Geschäft besorgt wird. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Heermann § 675 Rn. 109 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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