Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Fahrlässigkeit

Objektive Vorhersehbarkeit: Strafbarkeitsbegrenzende Wirkung

Objektive Vorhersehbarkeit: Strafbarkeitsbegrenzende Wirkung

24. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die T fährt auf einer Bundesstraße als sie den betrunkenen Radfahrer R auf einer übersichtlichen Kreuzung entgegen dem damaligen Verbot aus § 10 Abs. 1 S. 3 StVO a.F. überholen will. Auf ihrer Höhe biegt dieser jedoch unvermittelt links ab. Es kommt zu einem für R tödlichen Unfall.

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Einordnung des Falls

Objektive Vorhersehbarkeit: Strafbarkeitsbegrenzende Wirkung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat sich objektiv sorgfaltspflichtwidrig verhalten.

Ja!

Der einschlägige Sorgfaltsmaßstab ergibt sich aus dem damals noch geltenden § 10 Abs. 1 S. 3 StVO a.F. Danach war das Überholen an unter anderem Kreuzungen verboten. T indes überholt den Radfahrer R auf der Kreuzung und verstößt damit gegen die gesetzliche Sorgfaltspflicht.
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2. Die fahrlässige Tötung setzt auch voraus, dass der Todeserfolgseintritt objektiv vorhersehbar war (§ 222 StGB).

Genau, so ist das!

Nach hM. setzt eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit voraus, dass die Tatbestandsverwirklichung objektiv vorhersehbar gewesen sein muss. Danach müssen der Erfolgseintritt sowie Kausalverlauf für einen Durchschnittsmenschen des jeweiligen Verkehrskreises absehbar gewesen sein. Dabei ist eine konkrete Wahrscheinlichkeitsbeurteilung vorzunehmen. Die generelle Möglichkeit theoretischer Entwicklungen reicht nicht aus.

3. Der tödliche Unfall mit R war auch objektiv vorhersehbar.

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Zwar besagen Verkehrsvorschriften allein durch ihre Existenz, dass bei Missachtung ein Unfall im Bereich des Möglichen liegt. Weil aber das Überholen an einer übersichtlichen Kreuzung bei sonst ordnungsgemäßer Fahrweise nur bei grobem Verschulden des Überholten gefährlich ist, folgt die Vorhersehbarkeit nicht zwingend aus der Übertretung. Vielmehr kommt es auch hier auf eine umfassende Einzelfallbetrachtung an (RdNr. 10ff.). Es bestanden keinerlei Anzeichen dafür, dass R abbiegen würde. Auf einer Bundesstraße mit schnellem und flüssigem Verkehr muss nicht mit einem solchen trunkenheitsbedingten, besonders leichtfertigen und unvernünftigen Verhalten gerechnet werden.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JOU

Joul

28.2.2024, 13:32:02

Hallo, Ich konnte nicht ganz nachvollziehen, warum der nach links abbiegen des R hier unvorhersehbar war. Musste man nicht durch das Betrunkensein des R, mehr Vorsicht walten lassen (Bei "zB Kindern oder Betrunkenen)? Oder liegt es daran, dass nicht explizit gesagt wurde, dass sie dies auch schon weiß bzw. man es überhaupt wahrnehmen konnte? LG, Joul

JOU

Joul

28.2.2024, 13:43:34

Noch ein kleiner Nachtrag: In dem kurz darauf folgenden Fall https://applink.jurafuchs.de/tOY8CmkDyHb ist es ähnlich, aber mit anderem Ausgang. In den zweiten Fall ist das plötzliche Erschrecken eines Betrunkenen vorhersehbar, im anderen Fall das plötzliche links rüberziehen eines Betrunkenen aber nicht?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

1.3.2024, 13:13:33

Hallo Joul, danke für deine Frage! Hier ist weniger entscheidend, dass der Radfahrer betrunken war. Vielmehr ist in diesem Fall mit der Kreuzung die Frage, ob es vorhersehbar war, dass an übersichtlicher Stelle ohne vorherige Anzeichen damit gerechnet werden musste, dass der Radfahrer ein Abbiegemanöver einleitet. Anzeichen können neben dem Fahrtrichtungsanzeiger - auch "Blinker" genannt ;) - Verlangsamung, Einordnung in der Mitte/zum linken Rand der Fahrspur einordnen oder ähnliches sein. Der BGH hat dazu in seinem Leitsatz entschieden: "Wer an einer übersichtlichen Straßenkreuzung überholt, braucht nicht allgemein damit zu rechnen, dass der überholte Verkehrsteilnehmer plötzlich nach links einbiegt.". Bei dem von dir zitierten Fall ging es um die Frage, ob damit zu rechnen ist, dass ein Radfahrer erschrickt wenn man sehr nah an ihm vorbei fährt. Das ist anzunehmen, allein durch die Sogwirkung, die große Fahrzeuge verursachen kann ein Schlenkern verursacht werden, das Erschrecken natürlich ebenfalls. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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