Unterlassungsanspruch

10. Dezember 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Prokuristin P arbeitet für Kaufmann K, den sie nicht leiden kann. Als P einen besseren Job findet, schließen P und K einvernehmlich einen Aufhebungsvertrag. Dann verfasst P eine an alle Kunden des K gerichtete E-Mail, wonach sie aufgrund der finanziellen Notlage des K entlassen worden sei. K will verhindern, dass P die Mail versendet.

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Einordnung des Falls

Unterlassungsanspruch

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die E-Mail wäre eine unwahre Tatsache mit der Eignung zur Kreditgefährdung (§ 824 Abs. 1 BGB).

Ja!

Wer schuldhaft und rechtswidrig eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, die zur Kreditgefährdung oder Herbeiführung sonstiger Nachteile geeignet ist, hat dem anderen den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen (§ 824 Abs. 1 BGB). Die Mail enthält eine Tatsachenbehauptung, nämlich die Entlassung aufgrund einer finanziellen Notlage. Diese Tatsachenbehauptung ist unwahr, da P einvernehmlich ausschied und nicht infolge einer finanziell bedingten Kündigung. Außerdem ist die Behauptung dazu geeignet, dass andere aufgrund der Kenntnis dieser Tatsache die Kreditwürdigkeit des K schlechter einstufen. Sofern P hierbei schuldhaft handelt, wäre der Tatbestand des § 824 BGB erfüllt.
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2. K muss hinnehmen, dass P die E-Mail versendet, und kann erst anschließend Schadensersatz (§ 824 Abs. 1 BGB) verlangen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Zusätzlich zu den primär repressiv wirkenden Schadensersatzansprüchen existieren auch präventiv wirkende Unterlassungsansprüche hinsichtlich bestimmter Interessen, insbesondere in § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB für das Eigentum, § 862 BGB für den Besitz und § 12 BGB für den Namen. Über die gesetzlich geregelten Fälle hinaus wird § 1004 BGB aber auf die Beeinträchtigung anderer Rechte und Rechtsgüter der §§ 823ff. BGB analog anwendet, wenn eine rechtswidrige Verletzung gegeben ist (Beseitigungsanspruch) oder droht (Unterlassungsanspruch). K könnte also grundsätzlich präventiv einen Unterlassungsanspruch geltend machen.

3. Der Unterlassungsanspruch (§§ 1004 Abs. 1 S. 2, 823ff. BGB analog) ist verschuldensabhängig.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Unterlassungsanspruch (§§ 1004 Abs. 1 S. 2, 823ff. BGB analog) setzt voraus (1) eine (drohende) Verletzung der durch §§ 823ff. BGB geschützten Rechte und Rechtsgüter, (2) Wiederholungsgefahr bzw. Erstbegehungsgefahr, (3) Rechtswidrigkeit (keine Duldungspflicht (§ 1004 Abs. 2 BGB)) und (4) die Störereigenschaft des Anspruchsgegners. Ein Verschulden ist – anders als im Falle eines Schadensersatzanspruchs – nicht erforderlich.

4. Eine Erstbegehungsgefahr besteht.

Ja!

Der Unterlassungsanspruch setzt grundsätzlich eine Begehungsgefahr voraus. Eine Begehungsgefahr kann sich daraus ergeben, dass bereits eine Rechtsverletzung erfolgt ist und in der Zukunft "weitere Beeinträchtigungen zu besorgen sind" (§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB). Dann wird diese Wiederholungsgefahr aufgrund der bereits erfolgten Verletzung widerleglich vermutet. Außerdem wird der Unterlassungsanspruch schon vorbeugend gegen die erste Beeinträchtigung gewährt, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Vorbereitung und die Absicht eines Eingriffs mit Sicherheit erkennen lassen. Eine solche Erstbegehungsgefahr reicht aus, wird aber nicht vermutet. Hier liegen konkrete Anhaltspunkte für eine bevorstehende Rechtsverletzung durch P vor.

5. Den K trifft eine Duldungspflicht.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung der Beeinträchtigung verpflichtet ist (§ 1004 Abs. 2 BGB). Dies ist der Fall, wenn der Störer zu ihr berechtigt ist. Die Störung muss also rechtswidrig sein. Die Störung liegt in der unwahren Tatsachenbehauptung. Die Rechtswidrigkeit wird indiziert. P ist nicht zu der Behauptung berechtigt.

6. P ist als Anspruchsgegnerin auch Störer.

Ja, in der Tat!

Schuldner der Ansprüche aus § 1004 BGB ist der, dem die Beeinträchtigung zugerechnet wird (Störer). Unmittelbarer Handlungsstörer ist, wer die Beeinträchtigung selbst durch Handeln oder Unterlassen bewirkt (hat). Mittelbarer Handlungsstörer ist, wer die Beeinträchtigung durch einen anderen in irgendeiner adäquaten Weise durch seine Willensbetätigung verursacht und in der Lage ist, die unmittelbar auftretende Störung zu verhindern. Zustandsstörer ist, wer – insbesondere als Eigentümer oder Besitzer einer Sache – die Beeinträchtigung zwar nicht verursacht hat, aber die Quelle der Störung beherrscht, sodass er – nach wertender Beurteilung – willentlich den beeinträchtigenden Zustand aufrechterhält. P würde die Störung durch ihr eigenes Verhalten hervorrufen (unmittelbarer Handlungsstörer).

7. K kann von P Unterlassung (§§ 1004 Abs. 1 S. 2, 824 Abs. 1 BGB analog) verlangen.

Ja!

Da die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, kann K von P die Unterlassung der bevorstehenden Störung (§§ 1004 Abs. 1 S. 2, 824 Abs. 1 BGB analog) verlangen. Im Falle der Wiederholungsgefahr spricht man vom Verletzungsunterlassungsanspruch; bei der Erstbegehungsgefahr vom vorbeugenden Unterlassungsanspruch.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

EVA

evanici

12.9.2023, 10:59:49

Wie sähe das im Hinblick auf S. 1 auf den präventiven Charakter aus? Dort geht es ja eigentlich nicht mehr um die Verhinderung, sondern eher um die Beseitigung einer bereits eingetretenen Beeinträchtigung...

TI

Timurso

17.5.2024, 10:12:21

§ 1004 I 1 BGB hat tatsächlich keinen präventiven Charakter, sondern ist wie du sagst kein auf die Zukunft gerichteter Unterlassungs-, sondern ein Beseitungsanspruch, der sich auf bereits bestehende Beeinträchtigungen besteht.

WO

Wolli

17.5.2024, 09:26:03

§1004 gilt nur für das Eigentum, welches vorliegend nicht betroffen ist. Welchem Rechtsgut droht hier also die Beeinträchtigung? Ist es das

Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb

? Dies würde doch nur den Bestand des Betriebes als solchen schützen..

TI

Timurso

17.5.2024, 10:08:14

§

1004 BGB

gilt entgegen dem Wortlaut nicht nur für

Antragsdelikte

, sondern für alle von § 823 BGB geschützten

Rechtsgüter

. Hier wäre, wie du sagst, wohl das

Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb

s einschlägig. Dieses schützt neben dem Bestand aber auch alles, was dazu gehört, insbesondere den Kundenstamm, was hier am ehesten einschlägig ist. Man könnte wohl aber auch sagen, dass das Verhalten der P den Bestand gefährdet.

RO80

Ro80t59

19.6.2024, 11:56:07

In diesem Fall wäre es wahrscheinlich zutreffender auf die von § 824 BGB geschützte Kredit- und Geschäftswürdigkeit abzustellen, die durch die unwahre Tatsachenbehauptung der ehemaligen Prokuristen bedroht ist. Diese ist auch ein vom Schutzbereich der quasinegatorischen Ansprüche umfasstes Rechtsgut. (vgl. hierzu MüKO: [...] nachdem der negatorische Schutz der §§ 12, 1004 für sämtliche deliktisch geschützte Interessen verallgemeinert worden ist (→ Vor § 823 Rn. 41). Insbesondere ist auch die Kredit- und Geschäftswürdigkeit des § 824 als analog § 1004 durch Abwehransprüche geschütztes Rechtsgut anerkannt. (MüKoBGB/Wagner, 9. Aufl. 2024, BGB § 824 Rn. 58) Ein Umweg über den dem § 824 subsidiären Schutz des ReAGs über § 823 braucht es dann nicht mehr.

in persona

in persona

15.6.2024, 11:21:17

wird hier 1004 I 2 BGB analog herangezogen,weil noch keine Beeinträchtigung stattgefunden hat?

KE🦦

kerberos 🦦

21.6.2024, 07:51:12

Hey, der wird analog herangezogen, weil es sich nicht um eine Eigentumsbeeinträchtigung handelt, während der § 1004 sich nach Wortlaut und Systematik auf das Eigentum bezieht.


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