+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Aufgrund von Erkenntnissen über Verbindungen der NPD zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) stellt der Bundesrat 2013 beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag, die Verfassungswidrigkeit der NPD festzustellen und gegen sie ein Parteiverbot auszusprechen.

Einordnung des Falls

Parteienverbot nach Art. 21 Abs. 4 GG (NPD-Verbotsverfahren)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bis zu einer entsprechenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist von der Verfassungsmäßigkeit einer Partei auszugehen.

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Ja!

Aufgrund der überragenden Bedeutung der Parteien für die parlamentarische Demokratie unter dem Grundgesetz darf nur das Bundesverfassungsgericht ein Parteiverbot aussprechen (Art. 21 Abs. 4 GG). Demnach darf niemand die Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei geltend machen, und staatliche Behörden dürfen nicht von der Verfassungswidrigkeit einer Partei ausgehen, bevor diese nicht durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt wurde (sog. Parteienprivileg).

2. Ein Parteiverbot erfolgt durch den Erlass einer Verbotsverfügung (Art. 9 Abs. 2 GG i.V.m. § 3 VereinsG).

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Nein, das ist nicht der Fall!

Das Parteiverbot ergeht durch konstitutive Entscheidung des BVerfG in einem speziellen Parteiverbotsverfahren (Art. 21 Abs. 2 GG, §§ 43ff. BVerfGG). Zwar obliegt gem. Art. 9 Abs. 2 GG die Auflösung von verfassungsfeindlichen Vereinigungen der Exekutive. Da die Parteitätigkeit aber möglichst wenig vom Staat beeinflusst werden soll, hat das Grundgesetz das Parteiverbotsverfahren (einschließlich verfahrensrechtlicher Besonderheiten, z.B. Vorverfahren gem. § 45 BVerfGG) ausschließlich dem BVerfG zugewiesen. Deshalb sind politische Parteien i.S.d. Art. 21 GG auch keine Vereinigungen, die vom exekutiven Verbotsrecht nach Art. 9 Abs. 2 GG i.V.m. i.V.m. § 3 VereinsG erfasst werden (klargestellt in § 2 Abs. 2 Nr. 1 VereinsG).

3. Der Bundesrat ist im Parteiverbotsverfahren antragsberechtigt (§ 43 Abs. 1 BVerfGG).

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Ja, in der Tat!

§ 43 Abs. 1 BVerfGG legt den Kreis der Antragsberechtigten abschließend fest. Danach dürfen der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung ein Parteiverbot beim BVerfG beantragen. Daneben gibt es keine weiteren antragsberechtigten Staatsorgane oder Privatpersonen, die in zulässiger Weise einen entsprechenden Antrag stellen können. Der Bundesrat ist somit antragsberechtigt.

4. Eine Partei ist als verfassungswidrig anzusehen, wenn sie verfassungsfeindliche Ideen verbreitet (Art. 21 Abs. 2 GG).

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Nein!

BVerfG: Eine Partei sei nicht schon deshalb verfassungswidrig, weil sie die obersten Prinzipien einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht anerkennt oder verfassungsfeindliche Ideen verbreitet (RdNr. 574). Die Partei müsse vielmehr in aggressiver Weise auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ausgehen und dies müsse als planvoll verfolgtes politisches Vorgehen der Partei erkennbar werden. Insbesondere sei das Parteiverbot kein Gesinnungsverbot, sondern ein Organisationsverbot (RdNr. 573).

5. Der Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung i.S.d. Art. 21 Abs. 2 GG umfasst die Staatsstrukturprinzipien, die Grundrechte und Art. 79 Abs. 3 GG.

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Nein, das ist nicht der Fall!

BVerfG: Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG umfasse angesichts des Ausnahmecharakters des Parteiverbots nur jene zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Dies seien die Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG), das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1, 2 GG), Rechtsstaatlichkeit und Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt (Art. 20 Abs. 3), einschließlich des staatlichen Gewaltmonopols, und die Kontrolle des Staates durch unabhängige Gerichte (RdNr. 529 ff.). Der Begriff ist damit enger als der Verfassungskern des Art. 79 Abs. 3 GG (RdNr. 536f.).

6. Die Inhalte der NPD zielen auf die Beeinträchtigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ab

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Ja, in der Tat!

BVerfG: Der von der NPD vertretene Volksbegriff verletze die Menschenwürde, denn er verweigere den sich daraus ergebenden Achtungsanspruch für alle, die nicht der in ihrem Sinne ethnisch definierten Volksgemeinschaft angehören. Damit sei die Politik der NPD auf Ausgrenzung und Rechtlosstellung von Ausländern, Migranten und sonstigen Minderheiten gerichtet (RdNr. 635). Überdies bestehe eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus, gekennzeichnet durch das Konzept einer „Volksgemeinschaft“, die antisemitische Grundhaltung und die Verächtlichmachung der bestehenden demokratischen Ordnung (RdNr. 805ff.).

7. Ein Parteiverbot kann erst ausgesprochen werden, wenn ein Erreichen der von der Partei verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos ist.

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Ja!

Wegen der einschneidenden Wirkung und dem Ausnahmecharakter des Parteiverbots kommt ein Parteiverbot nach Ansicht des BVerfG nur dann in Frage „wenn konkrete Anhaltspunkte von Gewicht vorliegen, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass das gegen die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG gerichtete Handeln einer Partei erfolgreich sein kann“ – sog. Potentialität (RdNr. 585). Die Partei müsse über hinreichende Wirkungsmöglichkeiten verfügen, die ein Erreichen der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheinen lässt (RdNr. 586).

8. Die NPD verfügt in Deutschland über umfangreiche politische Wirkungsmöglichkeiten, sodass die erforderliche Potentialität vorliegt.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Laut BVerfG sei die NPD zwar als verfassungsfeindlich einzustufen, es fehle aber die Potentialität (RdNr. 896). Eine Durchsetzung des politischen Konzepts erscheine ausgeschlossen. Ihre Wahlergebnisse stagnieren auf einem niedrigen Niveau und die NPD ist weder auf Bundes- noch auf Landesebene in Koalitionen vertreten oder in Kooperationen eingebunden (RdNr. 897ff.). Auch mit außerparlamentarischen Mitteln könne die NPD ihre Ziele nicht erreichen – dies verhinderten bereits ihre geringe Mitgliederzahl und die fehlende Wirkkraft in der Zivilgesellschaft (RdNr. 910ff.). Das BVerfG hat die Potentialität somit verneint und den Antrag abgelehnt.

9. Die NPD kann aber aufgrund ihrer Verfassungsfeindlichkeit von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden (Art. 21 Abs. 3 GG).

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Ja, in der Tat!

Im Anschluss an das Urteil des BVerfG wurde Art. 21 GG geändert. Nun besteht seit 2017 neben dem Parteiverbot auch die „mildere“ Möglichkeit, eine Partei von der staatlichen Finanzierung auszuschließen (Art. 21 Abs. 3 GG). Anders als das Parteiverbot setzt der Ausschluss von der staatlichen Finanzierung gerade nicht voraus, dass die betroffene Partei ihre verfassungsfeindlichen Ziele potenziell auch erreichen kann. Das BVerfG hatte in seinem Urteil auf solche gestuften Sanktionsmöglichkeiten hingewiesen (RdNr. 527 a.E., 624f.). Entscheidungsbefugt ist auch hier das BVerfG (Art. 21 Abs. 4 GG). Ein dahin gehender Antrag liegt dem BVerfG zurzeit vor, die Entscheidung bleibt abzuwarten.

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