Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Fahrlässigkeit

Abgrenzung nach Verantwortungsbereichen – Retterfall mit berufsmäßigen Rettern

Abgrenzung nach Verantwortungsbereichen – Retterfall mit berufsmäßigen Rettern

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Bauarbeiter B soll markierte Metallrohre stillgelegter Leitungen zerlegen. Als er versehentlich an einer benachbarten Gasleitung ansetzt, entzündet sich ausströmendes Gas am Funkenflug seines Trennschleifers. Aufgrund der Hitze reißt die Leitung unerkannt aus ihrer Verankerung, sodass es zu einer Explosion kommt. Zwei zur Feuerlöschung herbeigeeilte Feuerwehrmänner werden tödlich verletzt.

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Einordnung des Falls

Abgrenzung nach Verantwortungsbereichen – Retterfall mit berufsmäßigen Rettern

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B hat den Tod der beiden Feuerwehrmänner kausal herbeigeführt.

Ja, in der Tat!

Nach der Äquivalenztheorie (= conditio-sine-qua-non-Formel) ist eine Handlung kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.Hätte B nicht mit seinem Trennschleifer an der Gasleitung angesetzt, hätte sich kein ausströmendes Gas an dem Funkenflug entzünden können. Die Leitung wäre so nicht aus ihrer Verankerung gerissen, sodass es nicht zu der für die zur Löschung des Brandes herbeigekommenen Feuerwehrmänner tödlichen Explosion gekommen wäre.
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2. Eine Strafbarkeit des B wegen fahrlässiger Tötung zum Nachteil der beiden Feuerwehrmänner setzt einen objektiven Sorgfaltspflichtverstoß voraus (§ 222 StGB).

Ja!

Nach der Rspr. und hL setzt fahrlässige Verwirklichung eines Begehungsdelikts zentral voraus, dass der Täter eine objektive Sorgfaltspflicht verletzt. Wann eine Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt, ergibt sich allerdings nicht aus der verletzten Strafnorm selbst, sondern muss aus externen Quellen bestimmt werden. Fehlen gesetzliche Regeln oder bereichsspezifische Standards, ist der allgemeine Maßstab des Durchschnittsbürgers anzuwenden.

3. B handelte objektiv sorgfaltspflichtwidrig (§ 222 StGB).

Genau, so ist das!

Nach dem einschlägigen allgemeinen Sorgfaltsmaßstab des Durchschnittsbürgers ergibt sich das Maß der anzuwendenden Sorgfalt daraus, wie sich ein gewissenhafter, besonnener Durchschnittsbürger in der konkreten Situation und sozialen Rolle des Täters verhalten würde. BGH: B hat seinen Trennschleifer versehentlich an einer gasführenden Leitung angesetzt, obwohl er die Möglichkeit und die Pflicht hatte, sich zu orientieren und das zu bearbeitende Rohr etwa anhand der Markierungen zu identifizieren (RdNr. 15).

4. Der Tod der Feuerwehrmänner war auch objektiv vorhersehbar.

Ja, in der Tat!

Die objektive Vorhersehbarkeit setzt voraus, dass der Erfolgseintritt für einen Durchschnittsmenschen des jeweiligen Verkehrskreises absehbar gewesen ist. Für einen durchschnittlichen Bauarbeiter ist es nicht unvorhersehbar, dass die Beschädigung eines Gasrohrs mit einem Trennschleifer zur Entzündung des Gases und damit zu mitunter tödlichen Explosionen führen kann. Der BGH prüft an dieser Stelle, ob der Erfolgseintritt auch für B im Wesentlichen vorhersehbar war. Dies bejaht er im Hinblick darauf, dass B schon lange auf der Anlage tätig und mit dem Gefahrenpotenzial vertraut war (RdNr. 18f.). In der Klausur bietet es sich aber an, diese Frage wie üblich im Rahmen der Schuld zu behandeln.

5. Nach den Grundsätzen der sog. bewussten Selbstschädigung kann die Zurechnung eines Todeserfolgs ausgeschlossen sein.

Ja!

BGH: Nach den Grundsätzen der sog. bewussten Selbstgefährdung könne eine Zurechnung dann ausgeschlossen sein, wenn der gegenständliche Erfolg die Folge einer bewussten, eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Opfers sei und sich die Mitwirkung des vermeintlichen Täters in einer bloßen Veranlassung oder Förderung des Selbstgefährdungsakts erschöpfe. Eine Einschränkung erfahre dies in Fällen, in denen der Täter durch eine geschaffene Gefahrenlage für Rechtsgüter des Opfers oder ihm nahestehende Personen ein einsichtiges Motiv für dann naheliegende gefährliche Rettungsmaßnahmen geschaffen habe (RdNr. 24f.).

6. Diese Grundsätze sind erst recht auf die Zurechnung von Schädigungen solcher Personen, die rechtlich aufgrund von Berufspflichten zur Vornahme von Rettungshandlungen verpflichtet sind, übertragbar.

Genau, so ist das!

BGH: Obige Erwägungen, die die Zurechnung der Schäden freiwillig eingreifender Retter begründen, träfen auf den pflichtigen Retter erst recht zu. Denn zum Einen trete an die Stelle des einsichtigen Motivs eine Rechtspflicht, die einen erhöhten psychischen Druck ausübe und die Eigenverantwortlichkeit der Entscheidung zur Rettung normativ einschränke. Zum anderen müsse der Täter bei berufsmäßigen Rettern im Hinblick auf ihre erhöhte Fachkompetenz mit gefährlicheren Rettungsmaßnahmen rechnen. Es sei also sachgerecht, dass der Täter, ebenso wie ihm beim Gelingen der Rettungshandlung die Erfolgsabwendung zugutekomme, auch für den Misserfolg einzustehen habe (RdNr. 27).

7. Der Tod der beiden Feuerwehrmänner ist dem B jedoch ausnahmsweise nicht zuzurechnen, da deren Rettungshandlungen im Hinblick auf die Explosionen mit offensichtlich unverhältnismäßigen Wagnissen verbunden war.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach den Grundsätzen der sog. bewussten Selbstgefährdung wird ausnahmsweise ein Zurechnungszusammenhang unterbrochen, wenn die Rettungshandlung von vornherein sinnlos oder mit offensichtlich unverhältnismäßigen Wagnissen verbunden war. BGH: Die Feuerwehrmänner hätten den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand eingehalten und die erhöhte Explosionsgefahr durch das hitzebedingte Reißen der Leitung aus ihrer Verankerung nicht gekannt. Soweit den betroffenen Rettungskräften die volle Kenntnis des Risikos fehle, könne aber eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung gerade nicht angenommen werden (RdNr. 29f.).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

kokapidis

kokapidis

19.12.2022, 20:17:55

Bei einer Frage steht, ob die Strafbarkeit wegen bewusster SelbstSCHÄDIGUNG ausgeschlossen ist. Es geht hier aber um eine bewusste SelbstGEFÄHRUNG, oder nicht? Die Feuerwehrleute gehen keinen Brand löschen, um sie selbst zu schädigen, aber gefährden sich durch ihr Verhalten naturgemäß. Also bewusste Selbstschädigung ist nicht gleich bewusste Selbstgefährdung, richtig?

SN

Sniter

30.1.2023, 18:07:48

Ich würde da keinen großen Unterschied machen. Am Ende des Tages kommt es auf die Eigenverantwortlichkeit des Retters an. Wie man die einzelnen Elemente bei der Abgrenzung nennt -v.a. wenn sie sprachlich so eng beieinander liegen wie Du sie aufführtst- ist mE nicht relevant.

JI

Jimmy105

17.7.2024, 13:00:07

Es geht um das eigenverantwortliche Handeln, also die Gefährdung(shandlung). So benenne ich es jedenfalls. Im Ergebnis muss dann aber auch ein Schaden, also eine Gefährdungsfolge eintreten. Ohne letztere stellt sich ja die Frage nicht ob etwas wie zugerechnet werden kann. zudem suggeriert "eigenverantwortlichkeit" ja grade die tatherrschaft und die ist eher handlungs- als erfolgsbezogen. Solange du diesen Unterschied klar machst sollte die nähere Bezeichnung irrelevant werden. Die meisten werden wohl abhaken sobald sie "eigenverantwortlich" und "selbst" lesen.


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