Streitstand: Tatmittler hat gerade seine Einwirkung auf den Tatmittler begonnen


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Lernplan SR Kleiner Schein (100%)
Lernplan SR Kleiner Schein (30%)
Lernplan SR Kleiner Schein (80%)
Lernplan Strafrecht AT (100%)
Lernplan Strafrecht AT (80%)
Lernplan Strafrecht AT (30%)
Lernplan Examen - alle (100%)
Klassisches Klausurproblem
Streitstand

T plant mit D, wie diese gemeinsam den O erschrecken können. Dazu soll D auf den O mit einer Spielzeugwaffe schießen. T überreicht dem D jedoch eine echte Waffe, was dieser nicht erkennt. Statt direkt loszugehen und auf O zu schießen, trinkt D mit T zunächst einen Aperol Spritz.

Einordnung des Falls

Streitstand: Tatmittler hat gerade seine Einwirkung auf den Tatmittler begonnen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist der Versuch eines Totschlages (§ 212 Abs. 1 StGB) strafbar?

Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

...Wird geladen

Ja!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Totschlag ist ein Verbrechen und daher bereits im Versuch strafbar (§§ 212 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB).

2. Hat T „Tatentschluss“ bezüglich eines Totschlages?

Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

...Wird geladen

Genau, so ist das!

Tatentschluss ist der subjektive Tatbestand des Versuchs. Er umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz sowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale. Der Täter hat Tatentschluss, wenn er endgültig entschlossen ist, den Deliktstatbestand zu verwirklichen. Dabei wird zur bloßen Tatgeneigtheit abgegrenzt. T ist entschlossen den O zu töten beziehungsweise töten zu lassen.

3. Hat T „Tatentschluss“, die Tat durch D zu begehen?

Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

...Wird geladen

Ja, in der Tat!

Tatentschluss liegt vor, wenn der Täter Vorsatz in Bezug auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale hat. Daher ist im Tatentschluss die Vorstellung des Täters mit den Theorien über die Täterschafts und Teilnahmetheorien zu prüfen. Nach herrschender Ansicht ist daher auf die Tatherrschaft abzustellen und ob sich der Täter eine Situation vorstellt, die, würde sie zutreffen, eine Tatherrschaft begründen würde.T stellt sich vor, den D als doloses Werkzeug zu nutzen und verschweigt die Wahrheit. Tatentschluss in Bezug auf die mittelbare Täterschaft liegt daher vor.

4. Hat T nach der Einzellösung „unmittelbar angesetzt“?

Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

...Wird geladen

Genau, so ist das!

Ein unmittelbares Ansetzen des mittelbaren Täters liegt nach der Einzellösung bereits dann vor, wenn der Täter begonnen hat, auf den Tatmittler einzuwirken. Bereits durch die Übergabe der Waffe hat T erstmalig auf D eingewirkt und damit nach der Einzellösung unmittelbar angesetzt.

5. Hat T nach der Entlassungstheorie (= modifizierte Einzellösung) „unmittelbar angesetzt“?

Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

...Wird geladen

Nein, das trifft nicht zu!

Ein unmittelbares Ansetzen des mittelbaren Täters liegt nach der Entlassungstheorie vor, wenn er den Tatmittler aus seiner Einflusssphäre entlässt und er den Eintritt der Tathandlung für sicher hält. D befindet sich noch in der Einflusssphäre des T. Somit hat T nach der Entlassungslösung noch nicht unmittelbar angesetzt.

6. Hat T nach der Gesamtlösung „unmittelbar angesetzt“?

Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

...Wird geladen

Nein!

Ein unmittelbares Ansetzen des mittelbaren Täters liegt nach der Gesamtlösung dann vor, wenn der Tatmittler selbst unmittelbar zur Tat ansetzt. D hat selbst nicht unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt und nach der Gesamtlösung somit auch T nicht.

7. Bedarf es vorliegend eines Streitentscheides?

Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

...Wird geladen

Genau, so ist das!

Ein Streitentscheid erfolgt immer nur dann, wenn die verschiedenen Theorien zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Da die Entlassungs- und Gesamttheorie zu dem selben Ergebnis kommen, bedarf es eines Entscheides nur gegenüber der Einzellösung. Die Einzellösung verlagert den Versuchsbeginn zulasten des Täters übermäßig nach vorne. Zum Zeitpunkt der ersten Einwirkung kann noch nicht von einer „unmittelbaren“ Gefährdung des Opfers gesprochen werden, weswegen diese nicht mehr vom Wortlaut des § 22 StGB gedeckt wird. Vorliegend ist somit frühestens mit der Entlassung des D von einem unmittelbaren Ansetzen auszugehen. T hat somit nicht unmittelbar angesetzt.

Jurafuchs kostenlos testen


AH

Angela Hildmann

17.12.2021, 16:09:30

Der Fall ist schön zur Verdeutlichung des Unterschieds von Einzel- und Entlassungslösung. Es erschließt sich aus der Formulierung des SV allerdings mE nicht dass D noch nicht losgegangen ist. Es wäre nicht schlecht das noch umzuformulieren :)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

17.12.2021, 17:57:12

Vielen Dank, Angela. Es freut uns, dass Dir die Session gefällt und der Streitstand und seine unterschiedlichen Lösungen deutlich wird. Wir haben den Sachverhalt nun noch ein wenig präzisiert. Beste Grüße, Lukas- für das Jurafuchs-Team

Helena

Helena

14.2.2022, 10:10:10

Dieses Kapitel ist bisher eins der besten! Die Art in der es die verschiedenen Meinungen darstellt ist wirklich sehr einprägsam.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.2.2022, 11:04:18

Vielen Dank, Helena :-)


© Jurafuchs 2024