Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Subjektiver Tatbestand

Strafrecht AT | Vorsatz | Irrtum über den Kausalverlauf (Erfolgseintritt in der Vorbereitungsphase)

Strafrecht AT | Vorsatz | Irrtum über den Kausalverlauf (Erfolgseintritt in der Vorbereitungsphase)

22. November 2024

4,8(19.784 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

E entführt seine Stieftochter O. Er fesselt und knebelt sie in einer verlassenen Waldhütte, um sie am nächsten Tag zu erschießen. Kurz nachdem E die Hütte verlassen hat, erstickt O planwidrig bereits an dem Knebel.

Diesen Fall lösen 80,2 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Strafrecht AT | Vorsatz | Irrtum über den Kausalverlauf (Erfolgseintritt in der Vorbereitungsphase)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. E hat kausal und objektiv zurechenbar Os Tod herbeigeführt.

Ja!

Die Knebelung ist nicht hinwegzudenken, ohne dass Os Erstickungstod entfiele (Kausalität). Das Knebeln eines Menschen ist eine rechtlich missbilligte Handlung. E hat dadurch die Gefahr geschaffen, dass O schlecht Luft bekommt und erstickt, was sich auch im konkreten Erfolg realisiert hat (Objektive Zurechnung).
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Der Vorsatz muss bei „Begehung der Tat“ vorliegen (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB).

Genau, so ist das!

Aus dem Umkehrschluss des § 16 Abs. 1 S. 1 StGB kann man das Koinzidenz- bzw. Simultaneitätsprinzip entnehmen. Dieses besagt, dass die objektive Tatbestandsverwirklichung und der Vorsatz zusammenfallen bzw. gleichzeitig vorliegen müssen. Mit der "Tat" ist der Zeitraum ab dem Überschreiten der Versuchsschwelle (§ 22 StGB) bis zur Vollendung gemeint.

3. E hat O vorsätzlich (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB) getötet, da die Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf unwesentlich ist.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Koinzidenz- bzw. Simultaneitätsprinzip besagt, dass die objektive Tatbestandsverwirklichung und der Vorsatz zusammenfallen bzw. gleichzeitig vorliegen müssen. Bewirkt der Täter einen Erfolg aus Versehen früher als geplant, so kommt eine Verurteilung wegen vorsätzlichem Handeln nur in Betracht, wenn die Abweichung vom Kausalverlauf unwesentlich war. Diese Rechtsfigur ist jedoch nur anwendbar, wenn der Täter bereits die Versuchsschwelle überschritten (§ 22 StGB) hat.Die Knebelung als tatsächlich erfolgsverursachende Handlung stellte nach Es Vorstellung eine reine Vorbereitung dar. Sie war nicht dazu gedacht, den Tod der O herbeizuführen.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

SN

Sniter

16.12.2022, 14:03:05

Stellt dieser Fall nicht weniger die Frage nach dem

Vorsatz

hins. des Kausalverlaufs als vielmehr die Frage nach

dolus antecedens

?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

16.12.2022, 16:32:39

Hallo sniter, die vorliegende Konstellation wird durch den

dolus subsequens

beschrieben. Dieser wird vom BGH im Rahmen der

Abweichung vom Kausalverlauf

behandelt. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

SN

Sniter

16.12.2022, 20:59:42

Hallo Nora, vielen Dank für die schnelle Antwort :)

Dolus subsequens

ist mE das nachträgliche billigen / "abnicken" einer zuvor ohne

Vorsatz

verwirklichten Tat. Nun hat der Täter hier bei Tatbegehung keinen

Vorsatz

, aber dass er die Tat nachträglich billigt ist im Sachverhalt nicht genannt. Eher geht es doch hier darum, dass der E die O entführt und später töten will, sie aber planwidrig schon früher verstirbt.

QUIG

QuiGonTim

6.5.2024, 08:22:44

Wenn ich es richtig erinnere, geht es beim dollster antecedens darum, dass der Täter einen

Vorsatz

im Vorfeld der Tat bildet, ihn aber auch im Vorfeld der Tat wieder aufgibt. Hier hatte E im Zeitpunkt der Tat noch einen

Vorsatz

gefasst. Zum

dolus subsequens

gelangt man nur, wenn man wie der BGH den

Vorsatz

aufgrund des in atypischer Weise ablaufenden Kausalverlaufs verneint und zusätzlich annimmt, dass der Täter den tatsächlichen Kausalverlauf im Nachhinein billigt.

CO

coolerfrosch

3.3.2024, 14:59:45

hätte man die objektive Zurechenbarkeit aufgrund eines atypischen Kausalverlaufs bereits verneinen können?

LELEE

Leo Lee

4.3.2024, 10:14:40

Hallo coolerfrosch, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat könnte man sich fragen, ob der Tod „atypisch“ sei. Beachte allerdings, dass der atypische Kausalverlauf einen Kausalverlauf fordert, dass der eingetretene Erfolg völlig außerhalb dessen liegt, was nach dem gewöhnlichem Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung zu erwarten ist. Dass jemand durch einen Knebel im Mund erstickt, ist zumindest unser Meinung nach nicht völlig außerhalb jedweder Lebenswahrscheinlichkeit, da hierdurch auch die Luftzufuhr beeinträchtigt wird (was noch kritischer sich auswirken kann, wenn das Opfer einen Panik-Anfall erleidet). Gibt es jedoch Anhaltspunkte im Sachverhalt, die eine solche ungewöhnliche Situation nahelegen, ist selbstverständlich auch deine Lösung sehr gut vertretbar. Im vorliegenden Sachverhalt liegt allerdings ein

atypischer Kausalverlauf

eher fern :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

FRA

Francesco

28.6.2024, 00:14:50

Der Täter hatte also, aufgrund des

Simultaneitätsprinzip

s, keinen

Vorsatz

zu dem Zeitpunkt des Todes ?

LELEE

Leo Lee

29.6.2024, 05:26:13

Hallo Francesco, vielen Dank für die sehr gute Frage! Genauso ist es: Weil der

Vorsatz

sich auf SÄMTLICHE TBMe beziehen muss bei Tat, lag hier mangels

Vorsatz

es bzgl. der kausalen Herbeiführung des Erfolgs überhaupt keine vorsätzliche Tat vor. Denn der Täter wollte hier eben „noch nicht“ töten, sondern nur vorbereiten, weshalb er zu diesem Zeitpunkt zumindest keinen

Vorsatz

hatte :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

F. Rosenberg 🦅

F. Rosenberg 🦅

1.10.2024, 03:33:59

Wie könnte sich E strafbar gemacht haben? Etwa wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB)?

ALE

Aleksandra

23.10.2024, 19:54:14

Ich hätte noch gesagt zusätzlich wegen Versuch?

JUL

Julius1900

23.10.2024, 20:23:30

Eine Strafbarkeit wegen Versuch müsste ausscheiden, da ja gerade noch nicht die Schwelle zum Versuch überschritten wurden ist.


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen