Strafrecht
Strafrecht Allgemeiner Teil
Subjektiver Tatbestand
Irrtum über den Kausalverlauf (Unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf bei mehraktigem Tatgeschehen – „Scheunenmord“-Fall)
Irrtum über den Kausalverlauf (Unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf bei mehraktigem Tatgeschehen – „Scheunenmord“-Fall)
30. Juni 2025
18 Kommentare
4,7 ★ (18.358 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A verpasst O heimtückisch mit einer Metallstange Schläge auf den Kopf, die nach einiger Zeit zum Tod geführt hätten. Er hält O für tot und fährt weg. Als A zurückkehrt und merkt, dass O noch lebt, schneidet er ihm die Kehle durch. O kann sich infolge der Schädelverletzung nicht wehren und stirbt infolge des Schnittes.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Irrtum über den Kausalverlauf (Unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf bei mehraktigem Tatgeschehen – „Scheunenmord“-Fall)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Schläge mit der Metallstange waren kausal für den Tod des O.
Genau, so ist das!
2. Dass der konkrete Todeserfolg erst durch das Durchschneiden der Kehle eintrat, ist eine wesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalablauf (Todeseintritt infolge der Schläge).
Nein, das trifft nicht zu!
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Geasoph
10.9.2021, 11:50:25
Wie ist es zu bewerten, dass A zwischenzeitlich weggefahren ist und damit eine zeitliche
Zäsurstattfand ?

Harun
8.12.2021, 13:33:36
Hier überhaupt nicht relevant. Es ging isoliert um die Frage der Kausalität.
QuiGonTim
6.5.2024, 08:36:00
In den Fällen des atypischen Kausalverlaufs geht es häufig um eine zeitliche
Zäsur. Sie sagt als solche erst einmal wenig über den Vorsatz aus. Vielmehr ist darauf abzustellen, welchen Wert der Täter der zeitlichen
Zäsureinräumt. Wollte er sich eine Bedenkzeit lassen? Kam es dem Täter auf weitere Geschehnisse zwischen Handlung und Erfolg an (z.B. die Unterschriften im vorherigen Fall)? Beabsichtigte der Täter auch in zeitlicher Hinsicht eine ganz bestimmte Todesart? Letztlich geht es (wie so häufig) um eine sinnvolle Sachverhaltsauswertung.
Lilyphant
30.5.2024, 08:24:02
Hallo, mein Gedanke war hier, dass das Wegfahren der Zeitpunkt für einen beendeten Versuch darstellt und der Täter nach der Rückkehr den ganz neuen Vorsatz fasst, mit dem Durchschneiden des Halses zu töten und nicht mehr mit Schlägen auf den Kopf. Wäre das auch ein vertretbares Ergebnis?
Ghofran
4.6.2024, 13:52:16
Das war tatsächlich auch mein Gedanke. Ich weiß nicht ob es vertretbar wäre.
Anne
15.10.2024, 16:06:48
Hey, so hat es das LG in der Vorinstanz geprüft. Die erste Handlung (Einschlagen mit der Metallstange) wäre dann als versuchter
Heimtückemordgemäß §§ 211, 212, 22, 23 I StGB einzustufen. Die zweite Handlung (Durchtrennen des Halses) ist eine vorsätzliche Zweithandlung und ist als Totschlag gemäß § 212 I StGB einzustufen. Die beiden Handlungen stünden in Tatmehrheit zueinander. Durch die zeitliche
Zäsurentfällt die objektive Zurechnung, da angenommen wird, dass in dem Zuschlagen mit der Stange nicht das Risiko liegt, dass das Opfer durch eine zweite Handlung des Täters stirbt (
atypischer Kausalverlauf). Das Problem an dieser Lösung ist, dass man den Täter nicht wegen Mordes bestrafen kann. Nach der Falllösung des BGH, die die objektive Zurechnung nicht entfallen lässt, ist der
Heimtückemorddurch das Zuschlagen mit der Stange verwirklicht. Es ist nicht unüblich, dass der Täter verkennt, dass er den Erfolg noch nicht herbeigeführt hat (insoweit keine
wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf). Die Lösung der Vorinstanz, die das Geschehen in zwei Handlungen aufspaltet kann als ersten Anknüpfungspunkt nur einen versuchten
Heimtückemorddurch das Zuschlagen haben. Hier kann dann die Strafe gemildert werden. Das Durchtrennen des Halses ist "nur" ein Totschlag, da das Mordmerkmal der
Verdeckungsabsichtvoraussetzt, dass der Täter eine andere Tat verdecken will und die von ihm eine Stunde zuvor begangene Tat ist eben keine andere Tat. Vielleicht auch deshalb der "Kunstgriff" des BGH.
okalinkk
30.4.2025, 17:44:55
Weshalb kann nach der Lösung der Vorinstanz bzgl der zweiten Handlung nicht wegen eines
Heimtückemords bestraft werden?
Anne
1.5.2025, 23:46:12
Da war das Opfer nicht mehr
arglos, dh es hat sich ja gerade eines erneuten Angriffs versehen bzw. konnte damit rechnen, dass der Täter evtl zurückkommt @[okalinkk](253888)
Moo
24.5.2025, 18:39:37
Ist es denkbar, die
Arglosigkeitvorzuverlagern und daraus dann doch einen
Heimtückemordzu konstruieren - ähnlich wie bei den Fällen, bei denen die Opfer in irgendwelche Autos steigen oder macht die zeitliche
Zäsureinem da einen Strich durch die Rechnung? Danke!
Anne
24.5.2025, 20:29:08
Das macht der BGH ja in seiner Prüfung. Anknüpfungshandlung ist das Zuschlagen mit der Stange. Hier war das Opfer
arglos. Deshalb ist auch ein
Heimtückemordgegeben. Der BGH spaltet das Geschehen ja gerade nicht in zwei Tathandlungen auf @[Moo](215902)

F. Rosenberg 🦅
1.10.2024, 12:02:15
Wenn ich es richtig verstanden habe, muss sich hier also der Obersatz auf die Schläge mit der Metallstange als Tathandlung beziehen, nicht auf das Durchschneiden der Kehle. Ist das korrekt?
hannacaz
1.10.2024, 15:53:57
Genau! Das Problem, was das Gericht hier hatte war, ob die beiden Handlungen als ein Akt anzusehen war oder zwei. Denn an sich würdest du bei Anknüpfen an das Kehle aufschneiden auch zu einer Vollendung kommen (Totschlag). Es wäre aber schon wild, wenn der Täter am Ende „besser“ gestellt wäre (Verurteilung wegen Totschlags), dadurch dass er dem Opfer noch die Kehle durchschneidet, als wenn er nichts mehr gemacht hätte und das Opfer an den Schlägen gestorben wäre (Verurteilung wegen Mordes, weil
Heimtücke). Man knüpft also an den Schlag an, verneint einen atypischen Kausalverlauf und kann hier am Ende den
Heimtückemordbejahen. Das ist übrigens der
Scheunenmordfall, der btw bei YouTube von WDR Lokalzeit MordOrte ganz gut dargestellt wurde, falls es dich interessiert.

F. Rosenberg 🦅
1.10.2024, 16:06:22
@[hannacaz](220630) Aufschlussreiche Antwort! Danke! :)
ehemalige:r Nutzer:in
6.12.2024, 19:00:09
Sowohl die Schläge, als auch das Schneiden führten zum Tod. Der Täter hat bei beiden Handlungen tatbestandlich,
rechtswidrigund
schuldhaft. Hat er sich nun (ungeachtet der Konkurrenzen) zweimal wegen der Tötung des Opfers strafbar gemacht, obwohl das Opfer nur einmal gestorben ist?
Leo Lee
8.12.2024, 06:22:09
Hallo Rintaro Okabe, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Genauso ist es. Sehr streng genommen gibt es ebendiese zwei Handlunge, die (im Zusammenspiel) zum Tod führen und das, obgleich das Opfer nur einmal gestorben ist. Und weil das Opfer eben nur einmal gestorben ist, wird auf der Ebene der Konkurrenzen auch nur einmal (aufgrund des einen Todes) bestraft; hier läge dann eine Handlung im juristischen Sinne vor in Gestalt der sok. sukzessiven Tatbestandsverwirklichung. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, v. Heintschel-Heinegg § 52 Rn. 22 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
okalinkk
30.4.2025, 17:40:23
Der Täter hat sich hier dann gem 223, 227 StGB strafbar gemacht?