Haftung für eigenes Verschulden – Verantwortungsfähigkeit Kinder

10. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Ks siebenjährige Schwester S schält mit dem Messer einen Apfel. Als K sie auf eine vorbeifliegende Wespe aufmerksam macht, versucht S diese panisch mit ihrer Messerhand abzuwehren. Dabei sticht sie versehentlich in den Oberschenkel des daneben sitzenden E.

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Einordnung des Falls

Haftung für eigenes Verschulden – Verantwortungsfähigkeit Kinder

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. E könnte einen Anspruch auf Schadensersatz gegen S haben (§ 823 Abs. 1 BGB).

Ja!

Der Anspruch setzt voraus, dass (1) ein absolut geschütztes Recht des Geschädigten (2) kausal, (3) rechtswidrig und (4) schuldhaft durch den Schädiger verletzt wurde, wodurch dem Geschädigten ein (5) kausaler Schaden entstanden ist (§ 823 Abs. 1 BGB).
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2. S hat den objektiven Tatbestand verwirklicht und rechtswidrig gehandelt (§ 823 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Der objektive Tatbestand setzt voraus, dass ein absolut geschütztes Rechtsgut des Geschädigten kausal durch eine Handlung des Schädigers verletzt wurde. Bei aktivem Tun wird die Rechtswidrigkeit des Handelns indiziert.Die Abwehrbewegung der S kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg - in Form der Verletzung von Es Oberschenkel - entfiele. Der objektive Tatbestand liegt somit vor und indiziert die Rechtswidrigkeit der Handlung.

3. S müsste zudem schuldhaft gehandelt haben.

Ja, in der Tat!

Verschulden liegt vor, wenn der Schädiger verschuldensfähig ist und vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Das Verschulden im Deliktsrecht ist damit ähnlich zu dem "Vertretenmüssen" im Schuldrecht. Der Begriff des Vertretenmüssens ist allerdings weiter und kann auch eine strengere oder mildere Haftung (z.B. sogar für Zufall oder begrenzt auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit) umfassen. Die Verschuldensfähigkeit ist nur anzusprechen, wenn der Sachverhalt dafür Hinweise gibt, also zB wenn Minderjährige beteiligt sind.

4. Da S minderjährig ist, ist sie verschuldensunfähig.

Nein!

Das Gesetz differenziert bei Minderjährigen zwischen verschuldensunfähigen und beschränkt verschuldensfähigen Minderjährigen. Minderjährige, die das siebte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sind stets schuldunfähig (§ 828 Abs. 1 BGB). Minderjährige, die das siebte, aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, sind für ihr Handeln verantwortlich, außer, sie hatten bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht. S ist sieben Jahre alt und damit zumindest beschränkt schuldfähig.

5. S hat E fahrlässig verletzt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Schädiger die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 Abs. 2 BGB). Die drohende Verwirklichung der Pflichtverletzung muss erkennbar und vermeidbar gewesen sein. Der Maßstab der Sorgfalt bestimmt sich objektiv nach den Fähigkeiten eines durchschnittlichen Angehörigen des betreffenden Verkehrskreises. BGH: Siebenjährige Kinder seien aufgrund ihres Alters und ihrer Entwicklungsstufe nicht in der Lage, trotz ihrer Angst vor dem herannahenden Insekt die mit der Abwehrbewegung verbundene Gefahr für eine daneben stehende Person zu erkennen und sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Blackpanther

Blackpanther

18.1.2023, 15:30:13

Grundsätzlich sind die Anforderungen am die Sorgfalt objektiv zu beurteilen. Ergibt sich der "subjektivierte" Maßstab hier aus § 828 oder aus dem "vergleichbaren Verkehrskreis der 7-jöhrigen"?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

18.1.2023, 18:14:23

Hallo Blackpanther, der erforderliche Sorgfaltsmaßstab ergibt sich immer aus dem Verkehrskreis der betreffenden Person. Handelt es sich also um ein siebenjähriges Kind sind entsprechend modifizierte Maßstäbe anzulegen. Dies kann natürlich auch zu verschärften Anforderungen führen, wenn z.B. ein Feuerwehrmann auf einer privaten Party ein Lagerfeuer veranstaltet. § 828 BGB regelt erst einmal die

Verschuldensfähigkeit

, nicht auch den Maßstab. Vorgaben dieser Art macht er nur für Unfälle im Verkehr. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

24.1.2024, 16:29:58

Bei der letzten Frage vermischen sich die Frage der Schuldfähigkeit und der Fahrlässigkeit etwas. Müsste man nicht zunächst (isoliert) die Schuldfähigkeit prüfen, bevor man überhaupt zu Vorsatz Fahrlässigkeit käme?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

28.1.2024, 17:36:40

Hallo QuiGonTim, danke für deine Frage. Der Eindruck könnte entstehen, aber die Aufgabe trennt klar: In der vorletzten Frage wird die Schuldfähigkeit geprüft, die im BGB für jedes Alter genau geregelt ist. In der letzten Frage wird die Fahrlässigkeit geprüft. Dies ist das außer Acht lassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Die erforderliche Sorgfalt richtet sich nach dem entsprechenden Verkehrskreis bei dem natürlich insbesondere das Alter der Person mastabbildend ist. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Juriano

Juriano

1.10.2024, 14:23:21

@[

Nora Mommsen

](178057) "(…) die Schuldfähigkeit geprüft, die im BGB für jedes Alter genau geregelt ist." Das stimmt mit Blick auf § 828 III BGB gerade nicht. Vielmehr wird dort auf die Einsichtsfähigkeit des individuellen Kindes abgestellt. Daher ist die Kritik an der Aufgabe korrekt. Hier wird nämlich zwar festgestellt, dass es sich um einen Minderjährigen handelt die Prüfung des 828 III BGB wird allerdings übersprungen und sogleich auf die Fahrlässigkeit abgestellt. Das mag hier nicht entscheidungserheblich sein ist allerdings dogmatisch ungenau.

QUIG

QuiGonTim

24.1.2024, 16:33:26

Beim Vertiefungstext zur Unterscheidung von Verschulden und Vertretenmüssen schreibt ihr (richtigerweise), dass beim Vertretenmüssen gemäß § 276 Abs. 1 S. 1 BGB auch eine strengere Haftung in Betracht kommt. Dahinter schreibt ihr in Klammern „Zufall“. Wie ist dieser Einschub genau zu verstehen?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

28.1.2024, 17:28:17

Hallo QuiGonTim, danke für deine Frage. Dies bezieht sich auf den geänderten Haftungsmaßstab. Anders als Verschulden, kann man je nach Regelung eben auch Zufall vertreten müssen. Wir haben die Formulierung nun geändert, sodass es eindeutig sein sollte. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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