Zivilrecht

Schuldrecht Allgemeiner Teil

Grundlagen des Schadensersatzes (§ 280 Abs. 1 BGB) (Leistungsstörungsrecht)

Haftung für eigenes Verschulden – Verantwortungsfähigkeit Kinder im Straßenverkehr

Haftung für eigenes Verschulden – Verantwortungsfähigkeit Kinder im Straßenverkehr

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die neunjährigen Zwillingsschwestern Hanni (H) und Nanni (N) lieben Kickboard fahren. Bei einem ihrer Wettrennen donnert H aus Unachtsamkeit mit dem Kickboard gegen den Ferrari von Anwältin A. Das Frontlicht ist komplett zerstört.

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Einordnung des Falls

Haftung für eigenes Verschulden – Verantwortungsfähigkeit Kinder im Straßenverkehr

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A könnte einen Anspruch auf Schadensersatz gegen H haben (§ 823 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Der Anspruch setzt voraus, dass (1) ein absolut geschütztes Recht des Geschädigten (2) kausal, (3) rechtswidrig und (4) schuldhaft durch den Schädiger verletzt wurde, wodurch dem Geschädigten ein (5) kausaler Schaden entstanden ist (§ 823 Abs. 1 BGB).
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2. Indem H das Frontlicht des Ferrari zerstört hat, hat H rechtswidrig das Eigentum der A verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB).

Ja!

Der haftungsbegründende Tatbestand setzt zunächst voraus, dass ein absolut geschütztes Rechtsgut des Geschädigten kausal durch eine Handlung des Schädigers verletzt wurde. Bei aktivem Tun wird die Rechtswidrigkeit des Handelns indiziert.Durch den Zusammenprall der H mit As Ferrari wurde dieser beschädigt - mithin das Eigentum der A. Der objektive Tatbestand liegt somit vor und indiziert die Rechtswidrigkeit der Handlung.

3. H müsste zudem schuldhaft gehandelt haben.

Genau, so ist das!

Verschulden liegt vor, wenn der Schädiger verschuldensfähig ist und vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat.Das Verschulden im Deliktsrecht ist damit ähnlich zu dem „Vertretenmüssen“ im Schuldrecht. Der Begriff des Vertretenmüssens ist allerdings weiter und kann auch eine strengere (Zufall) oder mildere (begrenzt auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit) Haftung umfassen. Die Verschuldensfähigkeit ist nur anzusprechen, wenn der Sachverhalt dafür Hinweise gibt, also zB wenn Minderjährige beteiligt sind.

4. Bei Unfällen im Straßenverkehr gilt für Minderjährige eine Haftungsprivilegierung.

Ja, in der Tat!

Bereits 2002 wurde für Minderjährige die Verantwortlichkeitsgrenze "bei Unfällen mit einem Kfz, oder mit einer Schienen- oder Schwebebahn" von 7 auf 10 Jahre angehoben sofern die Verletzung nicht vorsätzlich herbeigeführt worden ist (§ 828 Abs. 2 BGB).

5. Da H einen Unfall mit einem Kfz hatte, greift die gesetzliche Haftungsprivilegierung für Minderjährige im Straßenverkehr (§ 828 Abs. 2 BGB).

Nein!

BGH: Entgegen des offenen Wortlautes umfasse die Haftungsprivilegierung (§ 828 Abs. 2 BGB) nicht jeden Unfall, an dem ein Kfz beteiligt sei. Vielmehr ergebe sich aus dem Sinn und Zweck der Regelung, dass diese nur eingreift, wenn sich bei der gegebenen Fallkonstellation eine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert hat.Der Ferrari stand ruhend am Straßenrand. Es ging von ihm insofern keine höhere Gefahr aus, wie von jedem anderen Hindernis, das H auch auf dem Bürgersteig hätte begegnen können.

6. H war schuldunfähig.

Nein, das ist nicht der Fall!

Minderjährige können verschuldensunfähig oder beschränkt verschuldensfähig sein. Bis sie das siebte Lebensjahr vollendet haben, sind sie stets schuldunfähig (§ 828 Abs. 1 BGB); im Falle der Haftungsprivilegierung im Straßenverkehr (§ 828 Abs. 2 BGB) bis zur Vollendung des zehntenLebensjahres. Minderjährige, die das siebte, aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, sind für ihr Handeln verantwortlich, außer, sie hatten bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht(§ 828 Abs. 3 BGB). H ist neun Jahre alt und hat damit das 7. Lebensjahr bereits vollendet. Da die Haftungsprivilegierung im Straßenverkehr nicht eingreift und keine Anhaltspunkte für fehlende Einsicht vorliegt, ist H schuldfähig.

7. H hat das Auto fahrlässig beschädigt.

Ja, in der Tat!

Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Schädiger die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 Abs. 2 BGB). Die drohende Verwirklichung der Pflichtverletzung muss erkennbar und vermeidbar gewesen sein. Der Maßstab der Sorgfalt bestimmt sich objektiv nach den Fähigkeiten eines durchschnittlichen Angehörigen des betreffenden Verkehrskreises. BGH: Kinder in der Altersgruppe der H wüssten, dass sie sich so zu verhalten haben, dass ihr Kickboard nicht gegen einen parkenden Pkw pralle und diesen beschädige. Es sei ihnen möglich und zumutbar, dieses Spielgerät so zu benutzen, dass eine solche Schädigung vermieden werde. Die danach gebotene Sorgfalt habe H durch ihr Verhalten missachtet.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

A666

Anton 666

11.1.2022, 21:21:39

Im Fall ist es ein Ferrari, in der Subsumtion ein Porsche. Außerdem sollte mMn auch in der Fallbeschreibung ausdrücklich gesagt werden, dass das Kfz parkt. So ergibt sich das nur aus dem Bild.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

12.1.2022, 10:43:02

Hallo Anton, herzlich willkommen hier im Forum und vielen Dank für Deinen Hinweis. Wir haben die Subsumtion nun angeglichen :-). Im Hinblick auf das Zusammenspiel von Bild und Text gibt es bei Jurafuchs eine Besonderheit. Die Illustrationen sehen nicht nur schön aus, sondern stellen auch einen essentiellen Teil des Sachverhaltes dar. Um unsere Texte möglichst komprimiert darzustellen, werden Informationen, die sich ohnehin aus der Illustration ergeben, im Sachverhalt nicht noch einmal aufgeführt. Uns ist bewusst, dass dies anfangs etwas ungewohnt ist. Man gewöhnt sich allerdings schnell daran :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JuraPhilipp

JuraPhilipp

23.1.2022, 16:52:25

Spielt es eine Rolle für die Pflicht zur Leistung des Schadensersatzes, dass das Parken von Fahrzeugen in Spielstraßen (Siehe Zeichnung) außerhalb gekennzeichneter Flächen laut DSGVO nicht gestattet ist? Hätte das Fahrzeug legal gestanden, wäre es zur Beschädigung so wohl gar nicht gekommen.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

24.1.2022, 10:04:15

Hallo JuraPhilipp, sehr stark gesehen. In der Tat regelt Anlage 3 Nr. 12 der StVO, dass in verkehrsberuhigten Gebieten (Achtung Terminologie - hier handelt es sich nicht um eine Spielstraße, auch wenn dies umgangssprachlich gerne in einen Topf geworfen wird) nur in den abgegrenzten Gebieten geparkt werden darf. Dieser Umstand würde indes nicht zu einem gänzlichen Ausschluss der Haftung der H führen. Allerdings könnte man dies als Mitverschulden berücksichtigen (§ 254 BGB) und den Anspruch kürzen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

THEL

TheLama

15.6.2023, 17:04:35

Im Fall da vor wurde Minderjährige als Allgemeinbegriff beanstandet, hier nicht, wobei ein 14 j mj die Befreiung im Verkehr nicht hätte sowie h und n.

L77

L77

20.6.2024, 17:10:57

Wie könnte dieser Anspruch gegen das Kind durchgesetzt werden, sofern keine Aufsichtspflichtverletzung der Eltern vorliegt?

Dogu

Dogu

12.7.2024, 09:15:50

Vermögen des Kindes oder Haftpflichtversicherung.

Dogu

Dogu

12.7.2024, 09:16:01

*Vollstreckung in das


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