Nötigung durch Missachtung der Vorfahrt

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T will auf die Autobahn auffahren, auf der O bereits mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h fährt. Os Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug beträgt 60m. Hinter O folgen in kürzerem Abstand weitere Autos. Auf der linken Fahrspur fahren andere, schnellere Fahrzeuge. T beschleunigt zum Auffahren auf 90 km/h und biegt in einem Abstand von wenigen Metern vor O auf die rechte Fahrspur. O hupt und bremst stark. Eine konkrete Gefährdung tritt nicht ein.

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Einordnung des Falls

Nötigung durch Missachtung der Vorfahrt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem T sich beim Auffahren unmittelbar vor O einordnet, übt er Gewalt aus (§ 240 Abs. 1 Var. 1 StGB).

Ja!

Der klassische Gewaltbegriff setzt voraus, dass der Täter (1) durch körperliche Kraftentfaltung (2) Zwang ausübt, indem er auf den Körper eines anderen einwirkt, (3) um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden. Das Einordnen auf der rechten Fahrspur in einem Abstand von nur wenigen Metern vor dem Fahrzeug des O stellt körperlich wirkenden Zwang dar, da dieser stark abbremsen muss.
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2. Die Handlung des T ist auch als verwerflich einzustufen (§ 240 Abs. 2 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Verwerflich ist eine Verhaltensweise, wenn die Gewaltanwendung oder die Drohung zu dem beabsichtigten Zweck in einem auffallenden Missverhältnis stehen. Dabei muss das Missverhältnis derart auffällig sein, dass die Verhaltensweise als sozialethisch missbilligenswert anzusehen ist, d.h. von einem verständigen Dritten als sozial unerträglich, als strafwürdiges Unrecht empfunden wird.Da es sich bei dem Auffahren auf die rechte Spur um einen einmaligen Vorfall handelt, reicht dieses Verhalten noch nicht aus, um eine Verwerflichkeit (§ 240 Abs. 2 StGB) anzunehmen. Somit liegt noch kein sozialethisch missbilligenswertes Verhalten vor. Das entspräche auch nicht der gesetzgeberischen Konzeption, auch vorsätzliche Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung nur als Ordnungswidrigkeiten zu ahnden (BGHSt 18, 389 (391)).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

BL

Blotgrim

15.10.2022, 01:21:41

Ich verstehe das mit dem Ergebnis einmaligem Vorfall nicht ganz, wenn ich jetzt drohe jemanden zu schlagen kann das doch auch einmalig sein. Oder verstehe ich die Antwort gerade komplett falsch ^^ Lg

Simon

Simon

14.9.2023, 18:46:43

Für mich läuft das unter dem Punkt der Erheblichkeitsschwelle. Ein einmaliges Abbremsen zu verursachen ist nicht ausreichend, um den T strafrechtlich zu sanktionieren. Jemanden einen Faustschlag zu verpassen ist damit nicht vergleichbar schon wegen der Schmerzen und der mit dem Faustschlag verbundenen Geringschätzung durch den Schlagenden.

Kind als Schaden

Kind als Schaden

2.1.2024, 13:25:36

Inwiefern passt der Vertiefungstext hier denn zum Ergebnis? Im Ergebnis scheidet eine Strafbarkeit ja aus. Die Vertiefung besagt aber, dass es nicht der gesetzgeberischen Konzeption entspricht, vorsätzliche Verstöße als bloße Ordnungswidrigkeit zu ahnden.

Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat

Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat

21.6.2024, 12:10:17

Ich glaube du missverstehst den Vertiefungshinweis. Dieser sagt, dass es auch nicht der gesetzgeberischen Konzeption entsprechen würde, diese Handlung als Nötigung einzustufen, da der Gesetzgeber auch vorsätzliche Verstöße gegen die StVO grds. nur als Ordnungswidrigkeiten einstuft.


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