Ohne Fahrerlaubnis (Schutzzweck der Norm)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A unternimmt mit dem SUV seines Vaters eine Spritztour auf der Elbchaussee. Er fährt ordnungsgemäß, aber ohne Fahrerlaubnis. Auf der Höhe des Fähranlegers Teufelsbrück fährt er die ihm vor den Wagen springende Rentnerin R tot.
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Einordnung des Falls
Ohne Fahrerlaubnis (Schutzzweck der Norm)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A ist der Tod der R objektiv zuzurechnen.
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Eda
13.4.2020, 13:51:30
Wie kann A sich ordnungsgemäß verhalten haben, wenn er jemanden zu Tode fährt? Gerade in der Nähe von Gewässern, wo erhöhte Aufmerksamkeit gefordert ist, hätte A die R doch bei ordnungsgemäßer Fahrweise sehen müssen oder so langsam gefahren sein, dass er schnell reagieren kann und die R wenigstens nicht lebensgefährlich bedroht haben.
Ugurince._
13.4.2020, 17:07:30
Der SV sagt, dass A ordnungsgemäß gefahren ist. Der fehlende Führerschein ist nicht der Grund für den Tod der R. Sie ist vor das Auto gesprungen. Also hat A wie in der Antwort erklärt keine Gefahr für R geschaffen.
Christian Leupold-Wendling
13.4.2020, 18:14:32
Eda, nicht jeder Unfall ist vermeidbar durch vorsichtiges / ordnungsgemäßes Fahren. Zum Beispiel (wie hier) wenn jmd vors Fahrzeug springt. Es gibt mE zudem auch keine Vorschrift / Erfahrungssatz, dass man „in der Nähe von Gewässern“ langsam fahren müsste.
Hamburger Michel
24.10.2020, 19:31:40
Und eine kleine Ergänzung zur Nähe zu Gewässern: Die Elbchaussee in Hamburg führt zwar an der Elbe entlang, ist jedoch eine ganz gewöhnlich ausgebaute Stadtstraße, die keine besondere Vorsicht hinsichtlich dieses Gewässers erfordert. 🙂
Anonym
18.4.2021, 08:47:50
Es ist schwer zu glauben, dass ein Fahranfänger völlig fehlerfrei fährt und auch vorausschauend auf mögliche Gefahren reagiert, eine Rentnerin andererseits mit katzengleicher Agilität "springt". Es gehört wohl zur Anforderung solcher Aufgaben, allein eine juristische Bewertung zu fokussieren.
Lenny
23.6.2021, 14:36:11
Hallo Nathan, ich verstehe deine Ansicht sehr gut. Muss aber gleichzeitig gestehen, dass es mich, insbesondere, seit dem
Katzenkönig-Fall, nicht überraschen würde, wenn sich ein solcher Fall, wie du ihn beschreibst, tatsächlich zugetragen hätte haha. Am Ende ist es immer eine Frage der (lebensnahen) Sachverhaltsauslegung vs. Sachverhalts-“Quetsche”. Wird dir glaube ich niemand einen Strick daraus drehen, wenn du deine Auslegung des Sachverhalts entsprechend begründest.
LS2024
17.10.2024, 12:11:46
Zudem steht im Sachverhalt nichts davon, dass der A Fahranfänger ist. Vielleicht ist er ja 30 Jahre alt und hat keine Fahrerlaubnis, weil er gerne Alkoholkonsum und Fahrvergnügen kombiniert.
Tigerwitsch
20.4.2021, 23:01:53
Ich kann gut nachvollziehen, dass vorliegend die
objektive Zurechnungentfällt, da A ordnungsgemäß fährt. Nur ein Gedanke in dem Zusammenhang: Angenommen A fährt ohne das Wissen und Wollen seines Vaters den SUV; er ist sozusagen „Schwarzfahrer“. Im Zivilrecht würde nunmehr nach § 7 Abs. 3 StVG für den Schwarzfahrer die Gefährdungshaftung gelten, also auch bei ordnungsgemäßem Fahren (höhere Gewalt liegt in meinem Bsp. nicht vor). Würde in einer solchen Konstellation in strafrechtlicher Perspektive weiterhin die
objektive Zurechnungverneint werden?
Lukas_Mengestu
11.5.2021, 12:53:55
Hallo Tigerwitsch, sehr interessante Frage. Hier ist die zivilrechtliche Haftung von der strafrechtlichen klar zu trennen. Die ""Schwarzfahrerhaftung" des § 7 Abs. 3 StVG führt ja lediglich dazu, dass die verschuldensunabhängige Halterhaftung des § 7 Abs. 1 StVG vom Halter auf den "Schwarzfahrer" überspringt. Dieser Haftung liegt indes allein die Überlegung zugrunde, dass derjenige, der eine Gefahrenquelle betreibt, für etwaige Schäden zu haften hat, die davon ausgehen. Nichtsdestotrotz ist das Betreiben an sich gesellschaftlich toleriert und wird insoweit nicht strafrechtlich geahndet. D.h. in dem von dir gebildeten Beispiel mag uU eine zivilrechtliche Haftung des A vorliegen (dann aber gekürzt um den Mitverschuldensanteil, § 9 StVG). Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit scheidet
Lukas_Mengestu
11.5.2021, 12:54:20
dagegen im Hinblick auf die Verletzungsfolgen mangels objektiver Zurechnung aus. Beste Grüße, Lukas
jomolino
1.5.2021, 13:12:21
Wieso soll die Führerscheinpflicht denn nicht schwere Unfälle mit Todesfolge verhindern? Wird hier auf das ordnungsgemäße fahren abgestellt und das der Tod auch mit Führerschein eingetreten wäre?
Victor
1.5.2021, 16:21:00
Ja genau. Hier steht ja im SV, dass ordnungsgemäß gefahren wird. Dabei ist zunächst unabhängig ob er mit oder ohne Führerschein fährt. Grundsätzlich soll die Führerscheinpflicht aber der Sicherheit des StV dienen. Davon unabhängig begeht er ja auch eine Ordnungswidrigkeit.
ehemalige:r Nutzer:in
18.5.2022, 20:45:22
Müsste es im Sachverhalt nicht Fahrerlaubnis und nicht Führerschein heißen? A fährt ja gerade nicht "nur" ohne Führerschein, sondern sogar ohne Fahrerlaubnis. Am Ergebnis ändert das natürlich nichts.
ehemalige:r Nutzer:in
19.5.2022, 11:22:03
Falls nicht deutlich geworden ist, was ich meine: Der Sachverhalt spricht davon, dass A "ohne Führerschein" gefahren ist. Damit legt er einen Verstoß von § 4 II 2 FeV nahe, da ein Führerschein etwas anderes ist als eine Fahrerlaubnis. I.R.d. Subsumtion wird in der "Musterlösung" hier allerdings wohl auf den Schutzzweck von § 21 I Nr. 1 StVG abgestellt. Demnach wird der Sachverhalt so verstanden als wenn A nicht einmal Inhaber einer Fahrerlaubnis wäre. Im Ergebnis wäre natürlich in beiden Konstellationen die
objektive Zurechnungzu verneinen.
Lukas_Mengestu
19.5.2022, 11:24:42
Hallo Ole_, vielen Dank für Deinen Hinweis und herzlich willkommen im Forum! Die Aufgabe war an dieser Stelle in der Tat etwas unpräzise. Und auch wenn sich hierdurch nichts am Ergebnis ändert, so sollte sich schon früh einschleifen, dass der Führerschein (bloßer amtlicher Nachweis über die bestehende Fahrerlaubnis) von der Fahrerlaubnis (
Dauerverwaltungsakt) zu trennen ist (§ 2 Abs. 1 S. 1 StVG). Das wird spätestens im Referendariat relevant, wenn man im staatsanwaltlichen Sitzungsdienst zwischen der ENTZIEHUNG der Fahrerlaubnis (§ 69 Abs. 1 StGB) und der EINZIEHUNG des Führerscheins differenzieren muss bzw. auch im Fahrerlaubnisrecht in öffentlich-rechtlichen Klausuren (FeV) :-) Wir haben das präzisiert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
QuiGonTim
28.1.2023, 12:29:29
Ist das nicht eher ein Fall des rechtmäßigen Alternativverhaltens?
Dominic
24.7.2023, 00:33:27
Prüft man den
Schutzzweckzusammenhangnicht erst unter (2) Realisierung der Gefahr im Erfolg? Meines Erachtens liegt hier wohl eine rechtlich missbilligte Gefahr vor, denn A hat die Verhaltensnorm, dass man nur mit Führerschein fahren darf, verletzt, was offensichtlich (sogar ausdrücklich) rechtlich missbilligt ist. Aber weil die Verhaltensnorm eben nicht Fälle wie diesen verhindern will, liegt doch die zweite Ebene (
Schutzzweckzusammenhang) nicht vor.
Leo Lee
25.8.2023, 12:54:14
Hallo Dominic, im Ergebnis wird es nicht entscheiden für die Lösung sein, ob du den
Schutzzweckzusammenhangbei der Schaffung der Gefahr oder bei der Realisierung im Erfolg prüfst. Beachte jedoch, dass für die Schaffung einer relevanten Gefahr nicht jeder Verstoß gegen eine Verhaltensnorm genügt. Vielmehr muss gegen deren Schutzzweck (ebenfalls) verstoßen worden sein, weshalb der
Schutzzweckzusammenhang(-zusammenhang zugegeben etwas missverständlich) eher bei der Schaffung der Gefahr zu prüfen ist. Hierzu kann ich die Lektüre von Wessels/Beulke/Satzger AT, 51. Auflage, Rn. 261 f. sehr empfehlen :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo
Sassun
21.10.2024, 12:26:36
Kann hier zudem von einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung der Rentnerin durch das Springen vor das Auto ausgegangen werden? Eigenverantwortlichkeit: Wäre zu bejahen, mangels abweichender Angaben ist davon auszugehen, dass R sich der Bedeutung ihrer Handlung für ihr gefährdetes Rechtsgut bewusst ist. Selbstgefährdung: Über die Tatherrschaft über den Geschehensablauf könnte vllt diskutiert werden. Letztendlich ist R aber vor das Auto gesprungen. Der Fahrer hatte es mE also gerade nicht in seinen Händen die R totzufahren.
Timurso
21.10.2024, 12:31:48
Ausgehen würde ich davon nicht. Ohne weitere Angaben davon auszugehen, dass R das herannahende Auto gesehen und das Risiko bewusst in Kauf genommen hat, halte ich für Sachverhaltsquetsche. Das wäre jedoch Voraussetzung für eine
eigenverantwortliche Selbstgefährdung. Ich finde jedoch, dass die Formulierung im Sachverhalt "vors Auto springen" doch relativ viel Spielraum offen lässt und evtl. besser gewählt werden kann.