Zufällige Schadensverlagerung: Obligatorische Gefahrentlastung (Frachtkauf)


mittel

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V verkauft ein Gemälde an K. K bittet V um den Versand des Bildes. V beauftragt das gewerbliche Transportunternehmen U mit der Überbringung des Gemäldes. Das Gemälde wird während des Transportes zerstört.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Kann K von V erneute Lieferung des Bildes verlangen (§ 433 Abs. 1 BGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, wenn das Herbeiführen des Leistungserfolges dem Schuldner oder Jedermann unmöglich ist (§ 275 Abs. 1 BGB). Nachdem das Bild zerstört worden ist, ist es jedermann unmöglich K Eigentum an dem Gemälde zu verschaffen. Der Anspruch aus § 433 Abs. 1 BGB ist daher nach § 275 Abs. 1 BGB erloschen.

2. Muss K an V trotzdem den Kaufpreis bezahlen?

Ja, in der Tat!

Der Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1 BGB hat grundsätzlich auch den Wegfall der Gegenleistungspflicht zur Folge (nach § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dies gilt jedoch nicht, wenn eine anspruchserhaltende Vorschrift eingreift (z.B. § 326 Abs. 2 BGB; § 447 BGB). K hat V um die Versendung des Bildes gebeten. Damit lag keine Bringschuld des V, sondern eine Schickschuld vor. Bei dieser geht mit der Übergabe der Kaufsache an die Transportperson die Gefahr des zufälligen Untergangs auf den Käufer über (§ 447 Abs. 1 BGB). Das Bild ist erst nach der Übergabe an U zerstört worden, sodass der Kaufpreisanspruch nach § 447 Abs. 1 BGB bestehen bleibt.Achtung: Ohne spezifischer Sachverhaltsangaben kann nicht von einem Verbrauchsgüterkauf und einem Ausschluss des § 447 Abs. 1 BGB ausgegangen werden!

3. K kann im Hinblick auf den zu zahlenden Kaufpreis Schadensersatz von V verlangen (§§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB).

Nein!

Im Falle der nachträglichen Unmöglichkeit richtet sich der Anspruch nach §§280 Abs. 1, 3, 283 BGB. Dieser setzt voraus: (1) Schuldverhältnis, (2) Nichtleistung aufgrund von Unmöglichkeit (=Pflichtverletzung), (3) Vertretenmüssen des Schuldners, (4) Schaden.Zwischen K und V besteht ein Kaufvertrag. Da das Bild zerstört wurde, ist V die Leistung unmöglich. V hat die Zerstörung des Bildes nicht selbst verschuldet. V schuldete lediglich die Abgabe an eine Transportperson und nicht den Transport selbst (Schickschuld!). Der Transport stellt insoweit keine Erfüllung von Vs Verbindlichkeit dar. Somit agierte U nicht als Vs Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB). Damit scheidet auch eine Zurechnung seines Verschuldens aus.

4. V ist durch die Zerstörung des Bildes ein ersatzfähiger Schaden entstanden.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach der Differenzhypothese liegt ein ersatzfähiger Vermögensschaden vor, wenn sich bei einem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage (tatsächliche Lage) mit derjenigen, die sich ohne jenes Ereignis ergeben hätte (hypothetische Lage), ein rechnerisches Minus ergibt.Zwar hat U durch die Zerstörung des Bildes Vs Eigentum verletzt. Da V gegenüber K aber weiterhin einen Anspruch auf den Kaufpreis hat, hat sich dadurch die Vermögenslage der V nicht verschlechtert. Damit ist ihr kein Schaden entstanden.

5. Kann K einen Schadensersatzanspruch gegen U geltend machen?

Ja, in der Tat!

Bei der Abwicklung eines Frachtvertrages ist gem. § 421 Abs. 1 S. 2 HGB der Transportempfänger berechtigt, den Schadenersatzanspruch des Auftraggebers geltend zu machen. K ist Transportempfänger des zwischen V und U abgeschlossenen Frachtvertrages. Das zu transportierende Gemälde wurde zerstört. Obwohl K also nicht selbst einen Vertrag mit U geschlossen hat, kann er nach § 421 Abs. 1 S. 2 HGB direkt von U Ersatz verlangen.

6. Liegt vorliegend ein Fall der Drittschadensliquidation vor?

Nein!

Eine Drittschadensliquidation kommt nur in Betracht, wenn (1) der Geschädigte keinen eigenen Anspruch hat, (2) der Anspruchsinhaber keinen Schaden hat und (3) aus Sicht des Schädigenden eine zufällige Schadensverlagerung vom Anspruchsinhaber auf den Geschädigten vorliegt.Zwar hat K hier einen Schaden erlitten. Er kann diesen nach § 421 Abs. 1 S. 2 HGB unmittelbar gegenüber U geltend machen.Durch die Einschränkung beim Verbrauchsgüterkauf (§ 475 Abs. 2 BGB) und dem Direktanspruch beim Frachtvertrag (§ 421 Abs. 1 S. 2 HGB) spielt die Drittschadensliquidation heutzutage beim Versendungskauf in der Praxis kaum noch eine Rolle.

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suessmaus

suessmaus

8.8.2023, 20:24:57

Folgt der Anspruch in dem Fall nicht aus § 421 I HGB iVm. § 328 BGB (

Vertrag zugunsten Dritter

)?

LELEE

Leo Lee

9.8.2023, 15:07:38

Hallo suessmaus, in der Tat könnte man meinen, der Anspruch folge (auch) aus einem

Vertrag zugunsten Dritter

. Beachte jedoch, dass eine Drittschadensliquidation - deren gesetzliche Normierung der § 421 I HGB darstellt - fordert, dass derjenige, der den Anspruch geltend macht, eben KEINE eigenen Ansprüche hat (aber einen Schaden). Bei einem VzD kriegt derjenige, der den Anspruch geltend macht, freilich gerade einen EIGENEN Anspruch (somit auch einen Sekundäranspruch - also wenn etwas schief geht, jedoch str.). Somit wäre schon die erste Voraussetzung der DSL (Anspruchsteller hat einen Schaden, aber KEINEN Anspruch) nicht erfüllt. Mithin verbleibt es bei § 421 I HGB. Beachte i.Ü. noch, dass § 421 I HGB alleine Anwendung findet und nicht etwa "i.V.m. den Grundsätzen der DSL", da § 421 I HGB wie erwähnt eine explizit Normierung ist :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

DAV

David.

9.8.2023, 16:03:34

Hallo @[Leo Lee](213375), vielleicht verstehe ich dich an der Stelle hier falsch, aber der Frachtvertrag stellt doch einen

Vertrag zugunsten Dritter

dar. § 421 I HGB berechtigt sowohl den Käufer als auch den Verkäufer seinen Schadensersatz gegenüber der Transportperson geltend zu machen. Damit liegen die Voraussetzungen für die Drittschadensliquidation eben nicht mehr vor.

LELEE

Leo Lee

9.8.2023, 16:12:26

Hallo David, genauso ist es, § 421 I HGB hat zwei Sätze. Satz 1 normiert, dass der Empfänger eigene Rechte ggü. dem Frachtführer eingeräumt bekommt (weshalb dieser Satz als sog. gesetzlich normierter Fall des VzD bezeichnet wird). Satz 2 normiert, was wir eigentlich als "Drittschadensliquidation" benennen (der Empfänger darf gerade in diesem Fall im eigenen Namen den Schaden geltend machen, obwohl er nicht der Vertragspartner darf); insofern ergänz der Satz 2 den Gedanken aus dem Satz 1, nämlich, dass der Frachtvertrag ein gesetzlicher Fall des VzD ist (wie du völlig zu Recht anmerkst). Der § 328 BGB ist aber insofern "fehl am Platz", als § 421 I HGB eben als lex Specials eben das BGB in diesem Fall verdrängt und auch zugleich die DSL regelt, womit wir auf weder noch zurückgreifen müssen, um den vorliegenden "problematischen" Fall zu lösen :). Falls noch weiter Unklarheiten verblieben sein sollten: Ich freue mich auf dein Feedback, David! :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

DAV

David.

9.8.2023, 16:58:03

Ok dann hatte ich dich wirklich nur falsch verstanden, ich wollte mit meiner Ausführung auch nicht bezweifeln, dass § 328 hier "fehl am Platz" ist, da sich die Rechtsfolge (wie du ja auch schon angemerkt hast) bereits aus § 421 I ergibt. Ich hatte deine erste Ausführung nur dahingehend verstanden, dass du meintest, da die DSL voraussetzt dass der Gläubiger keinen Anspruch hat, hier kein Fall eines Vertrages zugunsten Dritter vorliegen könnte, da dieser eben dem Gläubiger einen Anspruch verschafft. Aber dann sind wir ja jetzt auf einem Nenner :D

LELEE

Leo Lee

9.8.2023, 17:22:08

Das ist überhaupt kein Problem David, danke für deinen bereichernden Beitrag, aufgrund dessen jetzt mehr Klarheit herrscht :D!

BE

Bioshock Energy

14.5.2024, 13:09:42

Zum Verständnis: Also greift die DSL beim Versendungsverkauf heutzutage nur noch im B2B und C2C Bereich, wenn ein Fall des § 447 I BGB vorliegt, die geschuldete Leistung während des Versands unmöglich wird und die Versandperson kein gewerbliches Unternehmen ist (bzw. kein Frachtvertrag vorliegt)?

FAP

Falsus Prokuristor

26.5.2024, 18:20:54

Genau so ist es! Kleine Ergänzung: auch im (eher seltenen) Fall von C2B findet § 477 keine Anwendung, da der Verbrauchsgüterkauf einen Unternehmer auf Verkäuferseite voraussetzt. Anschließend gilt natürlich trotzdem die weitere Einschränkung, dass kein Frachtvertrag vorliegen darf.


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