Zivilrecht

Schuldrecht Allgemeiner Teil

Dreipersonenverhältnisse

Fallgruppe: Obligatorische Gefahrentlastung – Vermächtnisnehmer (§ 2174 BGB)

Fallgruppe: Obligatorische Gefahrentlastung – Vermächtnisnehmer (§ 2174 BGB)

26. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Erblasserin E hat in ihrem Testament V eine wertvolle Vase vermacht. Im Übrigen soll ihr Sohn S alles erben. Nach Es Tod zerstört die enterbte Tochter T aus Frust die Vase, die sich noch im Haus des S befand.

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Einordnung des Falls

Fallgruppe: Obligatorische Gefahrentlastung – Vermächtnisnehmer (§ 2174 BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat das Eigentum von V zerstört.

Nein, das ist nicht der Fall!

Mit dem Tod des Erblassers tritt der Erbe nach § 1922 Abs. 1 BGB in dessen Rechtsstellung ein. Ein Vermächtnis lässt diese Rechtsfolge unberührt und begründet nur einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Erben. Mit dem Tode von E ist S kraft Universalsukzession in dessen Rechtsstellung eingetreten ist (§ 1922 BGB). Er wurde also ungeachtet des Vermächtnisses an V auch Eigentümer der Vase. Damit hat T das Eigentum von S zerstört.
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2. S war nach Es Tod und vor Zerstörung der Vase verpflichtet, diese an V zu übergeben und übereignen (§ 2174 BGB).

Ja, in der Tat!

Mit dem Erbfall erwirbt der Vermächtnisnehmer einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Vermächtnisgegenstandes aus § 2174 BGB. Mit Tod von E hatte V zunächst einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung der Vase gegen S erlangt.

3. Ist S nach der Zerstörung der Vase weiterhin zur Erfüllung des Vermächtnisses verpflichtet?

Nein!

Ein Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, wenn das Herbeiführen des Leistungserfolges dem Schuldner oder Jedermann unmöglich ist (§ 275 Abs. 1 BGB). Mit der Zerstörung des vermachten Gegenstandes ist die Erfüllung für jedermann unmöglich geworden. Vs Vermächtnisanspruch ist somit untergegangen (§ 275 Abs. 1 BGB). Es besteht zudem auch kein Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB, da kein Verschulden des S vorliegt.

4. Hat S durch die Zerstörung der Vase einen Vermögensschaden erlitten?

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach der Differenzhypothese liegt ein ersatzfähiger Vermögensschaden vor, wenn bei einem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetreten Vermögenslage (tatsächliche Lage) mit derjenigen, die sich ohne jenes Ereignis ergeben hätte (hypothetische Lage), ein rechnerisches Minus ergeben hätte.Zwar handelte es sich bei der Vase um S' Eigentum. Da er aber ohnehin verpflichtet gewesen war, diese an V zu übereignen, hat sich S' Vermögenslage durch die Zerstörung der Vase nicht verschlechtert. Der Schaden liegt vielmehr bei V.

5. Hat V durch die Zerstörung der Vase einen Vermögensschaden erlitten?

Ja, in der Tat!

Nach der Differenzhypothese liegt ein ersatzfähiger Vermögensschaden vor, wenn sich bei einem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage (tatsächliche Lage) mit derjenigen, die sich ohne jenes Ereignis ergeben hätte (hypothetische Lage), ein rechnerisches Minus ergibt.Durch die Zerstörung der Vase ist Vs Vermächtnisanspruch untergegangen. Dadurch hat sich ihre Vermögenslage verschlechtert.

6. Steht V ein Schadensersatzanspruch gegen T zu?

Nein!

V steht in keinem vertraglichen Verhältnis zu T, weswegen Ansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB nicht in Betracht kommen. Zum Zeitpunkt der Zerstörung der Vase war sich auch noch nicht Eigentümer der Vase. Damit fehlt es an einer Rechtsgutsverletzung, um einen deiktischen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zu begründen.

7. Hat der mittelbar Geschädigte keinen Anspruch und der Anspruchsinhaber keinen Schaden, so kommt eine Korrektur über die Drittschadensliquidation in Betracht.

Genau, so ist das!

Die Konstellation, dass (1) der Geschädigte keinen Anspruch und (2) der Anspruchsinhaber keinen Schaden hat, würde grundsätzlich immer dazu führen, dass der Schädiger keinen Schadensersatz zu leisten bräuchte. Dies wird allgemein als unbillig erachtet, wenn der verursachte Schaden lediglich (3) zufälligerweise von dem Anspruchsberechtigten auf einen Dritten verlagert wurde. Denn aus dieser Zufälligkeit solle der Schädiger keinen Vorteil ziehen.

8. V hat keinen Anspruch und S keinen Schaden. Liegt hier auch ein Fall der zufälligen Schadensverlagerung vor?

Ja, in der Tat!

Zufällig ist die Verlagerung, wenn sie auf besonderen Umständen im Innenverhältnis zwischen dem Anspruchsinhaber und dem mittelbar Geschädigten beruht. Eine zufällige Schadensverlagerung ist im Wesentlichen nur in vier Fallkonstellationen anerkannt: (1) Obligatorische Gefahrentlastung, (2) mittelbare Stellvertretung, (3) Obhut für fremde Sachen und (4) Treuhandverhältnisse. Zu 1: Eine obligatorische Gefahrentlastung liegt vor, wenn aufgrund einer speziellen gesetzlichen Bestimmung die Gefahrtragung auf einen Dritten verlagert wird oder der Verletzte dadurch von seiner Leistungspflicht befreit wird.Geht die vermachte Sache ohne Verschulden des Erben unter, so ist er dem Vermächtnisnehmer nicht zum Ausgleich verpflichtet und wird von seiner Verpflichtung frei (§§ 2174, 275 Abs. 1 BGB). Somit liegt ein Fall der obligatorischen Gefahrentlastung vor.

9. S kann von T Schadensersatz für die zerstörte Vase nach § 823 Abs. 1 BGB iVm den Grundsätzen der Drittschadensliquidation verlangen.

Ja!

Nach § 823 Abs. 1 BGB ist derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig die Rechte oder Rechtsgüter eines anderen widerrechtlich verletzt, zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. T hat das Eigentum von S rechtswidrig beschädigt. Zwar hat S dadurch letztlich keinen Schaden erlitten, da er bereits mit dem Erbfall nach § 2147 BGB mit dem Vermächtnis beschwert war. V steht indes kein eigener Anspruch gegen T zu. Auch stellt sich die Schadensverlagerung für T als reiner Zufall da. Nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation kann S deshalb Vs Schaden geltend machen.
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