Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Fahrlässigkeit

Fahrlässigkeit: Herkunft der Sorgfaltspflichten – Allgemeiner Maßstab des Durchschnittsbürgers

Fahrlässigkeit: Herkunft der Sorgfaltspflichten – Allgemeiner Maßstab des Durchschnittsbürgers

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Halterin H überlässt ihren Pkw regelmäßig ihrem Mitarbeiter M. Jährlich lässt sie sich Ms Führerschein vorzeigen und verpflichtet diesen, ihr einen etwaigen Verlust umgehend mitzuteilen. Als sie M nun den Pkw überlässt, verschweigt M, dass ihm vor kurzem die Fahrerlaubnis entzogen wurde.

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Einordnung des Falls

Fahrlässigkeit: Herkunft der Sorgfaltspflichten – Allgemeiner Maßstab des Durchschnittsbürgers

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eine Strafbarkeit wegen fahrlässigen Zulassens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis setzt eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung voraus (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 StVG).

Ja, in der Tat!

Nach der Rspr. und hL setzt die Verwirklichung eines Fahrlässigkeitsdelikts zentral voraus, dass der Täter eine objektive Sorgfaltspflicht verletzt. Wann eine Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt, ergibt sich allerdings nicht aus der verletzten Strafnorm selbst, sondern muss aus externen Quellen bestimmt werden. In Betracht kommen gesetzliche Sondernormen, die Standards und Gepflogenheiten bestimmter Verkehrskreise oder der allgemeine Maßstab des Durchschnittsbürgers.
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2. Die Sorgfaltspflichten der H bei der Überlassung ihres Autos richten sich nach dem allgemeinen Maßstab des Durchschnittsbürgers in der konkreten Situation des Täters.

Ja!

Mangels gesetzlicher Sondernormen oder bereichsspezifischer Standards ist vorliegend der allgemeine Maßstab des Durchschnittsbürgers anzuwenden. Danach ergibt sich das Maß der anzuwendenden Sorgfalt daraus, wie sich ein gewissenhafter, besonnener Durchschnittsbürger in der konkreten Situation und sozialen Rolle des Täters verhalten würde. Es erfolgt eine zweistufige also objektiv-individuelle Festlegung des Sorgfaltsmaßstabs. Dabei ist eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.

3. Indem H sich nicht erneut den Führerschein hat vorzeigen lassen, hat sie sich objektiv sorgfaltswidrig verhalten.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Fahrzeughalter muss vor der Überlassung seines Pkw an einen Dritten prüfen, ob dieser im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis ist. Dafür muss er sich grundsätzlich den Führerschein vorlegen lassen. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn er bereits vorher auf anderem Wege über die Fahrerlaubnis Kenntnis erlangt hat und keine entgegenstehenden besonderen Umstände vorliegen. H prüft regelmäßig den Führerschein des M. Eine Nachprüfungspflicht vor jeder einzelnen Überlassung wäre eine Überspannung ihrer Sorgfaltspflicht. Anhaltspunkte für einen zwischenzeitlichen Entzug sind für sie ferner nicht ersichtlich.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DEN

Dennis

15.9.2021, 15:17:25

In der Unternehmenspraxis ist es als Arbeitgeber etabliertes und anerkanntes Vorgehen den Führerschein von Arbeitnehmern mindestens einmal jährlich zu kontrollieren. Zudem wird empfohlen, den Arbeitnehmer auch zivilrechtlich zur Mitteilung des Verlustes des Führerscheins zu verpflichten. Ohne Kontrollpraxis halte ich die objektive Sorgfaltspflichtverletzung des Arbeitgebers für vertretbar und würde diese anhand des Beispiels und der nur einmaligen Kontrolle sogar bejahen.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

16.11.2021, 09:43:55

Sehr guter Hinweis, Dennis. In der Tat kann von Arbeitgeberinnen verlangt werden, dass sie sich regelmäßig vergewissern, ob ihre Mitarbeiter noch über eine Fahrerlaubnis verfügen. Um es hier noch deutlicher zu machen, haben wir im Sachverhalt nun die jährliche Kontrolle mitaufgenommen. Da M allerdings erst kürzlich seinen Führerschein verloren hatte, hat die Kontrolle insoweit keinen Einfluss auf die Unkenntnis der H. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Isabell

Isabell

30.10.2021, 14:13:57

Cool. Den Straftatbestand habe ich bisher wohl immer überlesen.

VIE

Vierhundertneun

28.7.2022, 20:44:59

Hi, ihr fragt, ob sich die Sorgfaltspflichten "nach dem allgemeinen Maßstab des Durchschnittsbürgers richten" - und ihr erwartet ein Ja, damit die Antwort als richtig gewertet wird. Mir scheint allerdings die Formulierung recht diffus. (1) Vielleicht wäre es besser, von der Maßfigur eines objektiven Dritten zu sprechen. Durchschnittsbürger ist zum einen untechnisch. Zum anderen ist die konkrete Formulierung missverständlich: ein Maßstab, den ein ominöser Durchschnittsbürger hat? (2) Wenn ich es richtig verstanden habe, wird ein gemischter Maßstab verwendet - wenn der Täter über Sonderkönnen und Sonderwissen, wird das nun strittiger, aber herrschender Ansicht berücksichtigt, demnach ist es nicht nur ein objektiver Maßstab, der hier zu Anwendung käme. Wenn ihr also fragt, ob ein allgemeiner Maßstab zur Anwendung kommt, wäre meiner Meinung nach die richtige Antwort: Nein, das stimmt nicht. Ihr erwartet allerdings ein Ja.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

17.8.2022, 15:45:02

Hallo vierhundertneun, danke für deine Anmerkung. Rengier spricht zur Bestimmung der erforderlichen Sorgfalt von "Normalmensch". Dabei ist wie von dir schon angemerkt nicht nur ein objektiver Ma´ßstab zugrunde zulegen. Vielmehr wendet die herrschende Meinung einen zweistufigen objektiv-individuellen Maßstab an, indem bei den durch den besonnenen und gewissenhaften Durchschnittsmenschen zu beachtenenden Sorgfatspflichten etwaiges Sonderwissen oder können des Täters berücksichtigt wird. Generell ist zu beachten, dass es nicht auf den objektiven Betrachter sondern eben den "Durchschnittsmenschen" oder Normalmenschen in der Situation des Täters mit seinem Sonderwissen ankommt. Die Frage nach dem Maßstab haben wir angepasst. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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