Verleitung zum Vertragsbruch

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

Designerin D hat zur Sicherung eines Darlehens alle gegenwärtigen und künftigen Forderungen aus dem Verkauf ihrer entworfenen Kleidungsstücke an die Bank B abgetreten. Die Stoffe für die Kleidung werden ihr von Lieferant L unter verlängertem Eigentumsvorbehalt geliefert.

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Einordnung des Falls

Verleitung zum Vertragsbruch

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Kaufpreisforderungen (§ 433 Abs.2 BGB) gegen die Kunden stehen aufgrund der Abtretung grundsätzlich der Bank B zu.

Ja!

Die abgetretenen Forderungen stehen grundsätzlich dem Zessionar zu (§ 398 BGB), sofern alle Voraussetzungen der Abtretung erfüllt sind: (1) Abtretungsvertrag, (2) Bestand einer Forderung, (3) Forderungsinhaberschaft des Zedenten, (4) Abtretbarkeit der Forderung. D hat alle gegenwärtigen und künftigen Forderungen wirksam an die B abgetreten. Somit ist B grundsätzlich berechtigt, die Kaufpreisforderungen von den Kunden einzuziehen.
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2. Der wirksamen Abtretung an die Bank B steht es nach dem Prioritätsprinzip grundsätzlich nicht entgegen, dass später ebenfalls eine Abtretung an L erfolgt (im Rahmen des verlängerten Eigentumsvorbehalts).

Genau, so ist das!

Bei mehrfacher Abtretung derselben Forderung (Doppelabtretung) gilt grundsätzlich das Prioritätsprinzip. Danach ist nur die zeitlich zuerst erfolgte Verfügung wirksam; die spätere ist gegenstandslos. Es erfolgt sowohl eine Abtretung an die B im Wege einer Globalzession als auch eine Vorausabtretung der Kaufpreisforderungen an L im Rahmen der Vereinbarung des verlängerten Eigentumsvorbehalts (§§ 929, 158 Abs. 1, 185 Abs.1, 398, 362 Abs. 2, 185 Abs. 1 BGB). Somit ginge grundsätzlich die antizipierte Abtretung an B vor und der verlängerte Eigentumsvorbehalt des L läuft ins Leere. Problematisch ist, dass sich die Bank (=Geldkreditgeber) damit stets durchsetzen würde, da Bankbeziehungen als Dauerschuldverhältnisse regelmäßig zeitlich vorher begründet werden.

3. Dass sich die Bank regelmäßig aufgrund des Prioritätsprinzips durchsetzen wird, ist nach der herrschenden Vertragsbruchstheorie hinzunehmen.

Nein, das trifft nicht zu!

Der BGH korrigiert das unbillige Ergebnis durch die Lehre vom Vertragsbruch. Danach ist die Globalzession an die Bank nichtig (§ 138 Abs.1 BGB), wenn die Bank den Kreditnehmer zum Vertragsbruch verleitet. Durch Abtretung aller gegenwärtigen und künftigen Forderungen wird der Sicherungsgeber (Zedent) gegenüber Lieferanten faktisch gezwungen, diese darüber zu täuschen, dass die zukünftigen Forderungen aus dem Weiterverkauf der Ware abtretbar sind, obwohl er über diese bereits verfügt hat. Das für die Sittenwidrigkeit erforderliche subjektive Element ist bereits gegeben, wenn verlängerter Eigentumsvorbehalt branchenüblich ist und sich der Bank die Kollisionsgefahr aufdrängen musste. Neben der herrschenden Vertragsbruchstheorie werden zur Auflösung der Kollision noch die Trennungs- bzw. Surrogationstheorie vertreten. Mehr dazu in der nächsten Aufgabe.

4. Die Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB) erfasst lediglich das Verpflichtungsgeschäft (=Sicherungsabrede). Das Verfügungsgeschäft (=Abtretung) bleibt wirksam.

Nein!

Die der Abtretung zugrundeliegende Sicherungsabrede ist aufgrund der Verleitung zum Vertragsbruch sittenwidrig und nichtig (§ 138 Abs.1 BGB). Zwar ist das Verfügungsgeschäft in Form der Abtretung grundsätzlich sittlich neutral. Allerdings liegt hier die Sittenwidrigkeit gerade im Vollzug der Leistung, sodass der Verstoß der Sicherungsabrede gegen § 138 Abs.1 BGB nicht nur zur Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts (Sicherungsvertrag), sondern auch zur Nichtigkeit der Verfügung (Abtretung) führt (Ausnahme vom Abstraktionsprinzip). Um die Sittenwidrigkeit zu verhindern, können dingliche Freigabeklauseln vereinbart werden. Dazu später mehr.

5. Ist die Bank Inhaberin der Kaufpreisforderungen geworden?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Forderungen gehen auf den Zessionar über, sofern eine wirksame Abtretung erfolgt ist (§ 398 BGB). D und B haben Abtretung vereinbart; die künftigen Kaufpreisforderungen waren ausreichend bestimmbar und abtretbar. Allerdings ist es D infolge der Globalzession nicht mehr möglich, dem L, der ausschließlich unter verlängertem Eigentumsvorbehalt liefert, die Kaufpreisforderungen abzutreten (Prioritätsprinzip). D ist faktisch gezwungen, den L über die Abtretbarkeit zu täuschen. Damit verleitet B die D zum Vertragsbruch, sodass die Abtretung sittenwidrig (§ 138 Abs.1 BGB) und nichtig ist. B ist nicht Inhaberin der Kaufpreisforderungen geworden.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Macke

Macke

10.2.2023, 13:51:16

Liegt hier hinsichtlich der Ausnahme vom Abstraktionsprinzip ein Fall von

Fehleridentität

vor? Viele Grüße :)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

10.2.2023, 16:42:29

Hallo Macke, in der Tat ist der vorliegende Fall unter dem Schlagwort "

Fehleridentität

" bekannt. Vorsicht allerdings bei Formulierungen wie "Ausnahme" vom Abstraktionsprinzip (auch beliebt: der Fehler aus dem Verpflichtungsgeschäft "schlägt" auf das

Verfügungsgeschäft

durch). Letztlich bleibt auch in diesen Fällen das Trennungs- und Abstraktionsprinzip gewahrt. Beide Geschäfte leiden lediglich (unabhängig voneinander) unter dem identischen Mangel, weshalb beide aus dem gleichen Grund unwirksam sind. Es handelt sich lediglich um eine terminologische Feinheit. Es gibt aber eine nicht unbeträchtliche Anzahl an Prüfer:innen, die bei Unschärfen in diesem Bereich leider ziemlich ungnädig reagieren. Deswegen solltest Du unscharfe Formulierunen hier nach Möglichkeit vermeiden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

UT

unvorsätzlicher Totschläger

8.11.2024, 14:11:13

Die Formulierung "Ausnahme vom Abstraktionsprinzip" findet sich leider auch in der Jurafuchs-Aufgabe hier: https://applink.jurafuchs.de/Q0JEc7sfmOb 🙈

PAT

patko

18.5.2023, 20:59:41

Ich verstehe nicht so ganz, an welcher Stelle des Prüfungsschemas ich den Streitstand am besten ansprechen soll. Wäre sehr Dankbar, wenn mir jemand helfen könnte!:)

SE.

se.si.sc

19.5.2023, 11:18:44

Im Detail hängt die Antwort hängt auch davon ab, wie die Fallfrage genau gestellt ist. In einer (Klausur- oder mündlichen Prüfungs-)Aufgabe wird das Problem häufig so kommen, dass L und B sich streiten, weil einer der beiden die Forderungen einziehen will bzw behauptet, er sei Forderungsinhaber, und der andere das abstreitet. Eventuell ist die Frage also "Ist die B Inhaberin der Forderungen gegen die Kunden?" oder "Wem stehen die Forderungen gegen die Kunden zu?". Dann muss (ggf inzident) geprüft werden, wem die Forderung zusteht bzw ob sie einer bestimmten Person (zB der Bank) zusteht. IRd (Wirksamkeit der) Einigung zwischen D und B über den Forderungsübergang würdest du dann darstellen, dass und warum die Einigung hier nach § 138 I BGB wegen Verleiten zum Vertragsbruch nichtig ist.

B.H.

B.H.

4.9.2024, 08:56:59

Folglich besteht Seitens der Bank kein Sicherungsmittel mehr, da die als Sicherung vereinbarte Globalzession nach § 138 I BGB nichtig ist. Die Bank hat daher nur den „einfachen“ Rückzahlungsanspruch, richtig?


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