Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Versuch und Rücktritt

Versuch und Rücktritt: Grob unverständiger Versuch nach § 23 Abs. 3 StGB

Versuch und Rücktritt: Grob unverständiger Versuch nach § 23 Abs. 3 StGB

25. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T möchte ihren Mann O vergiften. Dafür nimmt sie Insektengift und sprüht dieses zweimal je eine Sekunde auf das Brot ihres Mannes, welches sie diesem daraufhin gibt. Dieser spuckt das Brot nach dem ersten Biss aufgrund des bitteren Geschmacks aus. Für eine tödliche Wirkung wäre die 100-fache Menge erforderlich gewesen.

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Einordnung des Falls

Versuch und Rücktritt: Grob unverständiger Versuch nach § 23 Abs. 3 StGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Versuch eines Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) ist strafbar.

Ja!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Totschlag ist ein Verbrechen, da die angedrohte Mindestfreiheitsstrafe 5 Jahre beträgt (§§ 212 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB).
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2. T hat „Tatentschluss“ bezüglich eines Totschlags.

Genau, so ist das!

Tatentschluss ist der subjektive Tatbestand des Versuchs. Er umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz sowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale. Der Täter hat Tatentschluss, wenn er endgültig entschlossen ist, den Deliktstatbestand zu verwirklichen. Dabei wird zur bloßen Tatgeneigtheit abgegrenzt. T ist fest entschlossen, O zu töten.

3. T hat „unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt“, indem sie O das Brot gegeben hat.

Ja, in der Tat!

Das unmittelbare Ansetzen (§ 22 StGB) liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle des „Jetzt-geht-es-los“ überschreitet und objektiv – unter Zugrundelegung seiner Vorstellung – Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Nach der Vorstellung der T sollte O durch das Essen des Brotes sterben. Da nicht klar ist, ob sie es für erforderlich hielt, dass O das Brot vollständig isst, ist nicht feststellbar, ob der Versuch bereits beendet ist. Allerdings hat sie nach ihrer Vorstellung dadurch unmittelbar angesetzt, dass sie O das vergiftete Brot gegeben hat. Das Essen durch O ist ein unwesentlicher Zwischenschritt.

4. T handelte rechtswidrig und schuldhaft.

Ja!

Die versuchte Tötung war rechtswidrig und T handelte schuldhaft.

5. Nach dem BGH liegt ein grob unverständiger Versuch (§ 23 Abs. 3 StGB) vor.

Nein, das ist nicht der Fall!

Grober Unverstand liegt nach dem BGH erst dann vor, wenn der Täter völlig abwegige Vorstellungen über gemeinhin bekannte Ursachenzusammenhänge hat. Dabei muss jeder durchschnittliche Mensch das erforderliche Wissen haben. Nach dem BGH kann ein Irrtum über die erforderliche Dosis nicht ausreichen, auch sei vorliegend nicht für jedermann die Untauglichkeit ersichtlich. Die Vorschrift des § 23 Abs. 3 StGB ist eine Strafzumessungsregelung und daher nach der Schuld zu prüfen. Die Entscheidung erfuhr Kritik, weil durch die Beschränkungen kein praktischer Anwendungsbereich verbleibt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

GIU

Giulio

12.9.2022, 12:51:39

Wieso kann das Essen des Brotes durch O als unwesentlicher Zwischenschritt angesehen werden? Sollte man nicht, zumindest kurz, die Problematik des Tatmittlers gegen sich selbst ansprechen?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

13.9.2022, 11:56:39

Hallo Giulio, dies ist eine mitunter schwierige Abgrenzungsfrage. Hilfreich kann an dieser Stelle immer sein zu fragen: ist es quasi der natürliche Verlauf, dass diese Handlung vorgenommen wird oder ist es ein unwägbarer Faktor. Wird z.B. eine Bombe an einen Lichtschalter gekoppelt, der sich neben der Wohnungstür befindet, stellt die Betätigung des Schalters durch das Opfer lediglich einen unwesentlichen Zwischenschritt dar. Das der Schalter betätigt wird, ist quasi sicher. Genauso hier, T bereitet dem O Essen zu und stellt es ihm zu Verzehr hin. Dass O noch eine Gabel aufnehmen musste und diese in seinen Mund schieben musste, ist quasi sicher vorhersehbares Geschehen. Daher stellt es einen unwesentlichen Zwischenschritt dar. Anders, wenn sie z.B. das Gift in einer Flasche Wasser verstecken würde, die ihr Mann immer auf Wandertouren mitnimmt und dieser erst noch den Entschluss zur nächsten Tour fassen muss und aufbrechen muss. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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