Corona: Kein Anspruch auf Zugang zu Corona-Todesbescheinigungen über IFG-Antrag


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Corona & Recht

Das Landratsamt übermittelte A auf Anfrage die anonymisierten Meldungen der Todesfälle im Zusammenhang mit Covid 19-Infektionen. A begehrt auch schnellstmöglich anonymisierte Angaben von den Todesbescheinigungen der Verstorbenen nach den Landesinformationsfreiheitsgesetz BaWü.

Einordnung des Falls

Corona: Kein Anspruch auf Zugang zu Corona-Todesbescheinigungen über IFG-Antrag

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Für das Auskunftsbegehren des A ist ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft.

Ja!

Die statthafte Antragsart im Eilrechtsschutz richtet sich nach dem Begehren des Antragstellers (§§ 123 Abs. 4, 122 Abs. 1, 88 VwGO). Grundsätzlich ist der Eilrechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO vorrangig (§ 123 Abs. 5 VwGO). Dieser ist einschlägig, sofern in der Hauptsache ein Verwaltungsakt angefochten wird. Hier begehrt A aber eine zu bescheidende Auskunft einer Behörde, also den Erlass eines Verwaltungsaktes. Daher ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 VwGO) statthaft. A möchte mit der Auskunft seinen Rechtskreis erweitern, daher handelt es sich um eine Regelungsanordnung (§ 123 Abs. 1 S. 2 VwGO).

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet, soweit ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).

Genau, so ist das!

Der Anordnungsanspruch meint den materiell-rechtlichen Anspruch, um den in der Hauptsache gestritten wird und der durch die einstweilige Anordnung gesichert bzw. vorläufig realisiert werden soll. Insoweit prüft das Verwaltungsgericht summarisch die Erfolgsaussichten der Hauptsache. Ein Anordnungsgrund besteht, wenn unter Berücksichtigung der Interessen des Antragstellers und dem öffentlichen Interesse das Abwarten der Hauptsacheentscheidung unzumutbar ist. Der Anordnungsanspruch und -grund sind glaubhaft gemacht, wenn dargelegt wird, dass sie überwiegend wahrscheinlich vorliegen.

3. Ein Anordnungsanspruch könnte sich für A aus dem allgemeinen Auskunftsanspruch aus dem Landesinformationsfreiheitsgesetz Baden-Württemberg (LIFG) ergeben.

Ja, in der Tat!

Die Informationsfreiheitsgesetze des Bundes (§ 1 Abs. 1 IFG) und der Länder (hier § 1 Abs. 2 LIFG) statuieren einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Dieser ist voraussetzungslos ausgestaltet. Es muss kein besonderes Interesse an der Auskunft begründet werden. Amtliche Informationen sind alle bei einer informationspflichtigen Stelle bereits vorhandenen und amtlichen Zwecken dienenden Aufzeichnungen, unabhängig von der Art ihrer Speicherung (§ 2 Nr. 1 S. 1 IFG des Bundes, § 3 Nr. 3 LIFG). Die Angaben auf den Todesbescheinigungen stellen amtliche Informationen dar, sodass A grundsätzlich Auskunft nach dem LIFG verlangen kann.

4. Die Ansprüche nach den Informationsfreiheitsgesetzen haben keine besonderen Tatbestandsvoraussetzungen, ihr Anwendungsbereich unterliegt aber Einschränkungen.

Ja!

Den Bürgern soll der Zugang zu amtlichen Informationen mit den jeweiligen IFG-Ansprüchen erleichtert werden. Er wird aber nicht schrankenlos gewährt. Die Einschränkungen betreffen vor allem den Schutz öffentlicher Belange, behördlicher Entscheidungsprozesse, personenbezogener Daten und geistigen Eigentums (z.B. §§ 3 – 6 IFG des Bundes). Des Weiteren bleiben andere Auskunftsansprüche unberührt. In manchen Bundesländern – so auch in Baden-Württemberg – ist ausdrücklich geregelt, dass andere abschließende Regelungen zum Zugang zu amtlichen Informationen dem allgemeinen Auskunftsanspruch vorgehen (hier im Fall § 1 Abs. 3 LIFG).

5. A begehrt Angaben aus den Todesbescheinigungen. Das Bestattungsgesetz für Baden-Württemberg verfügt über Regelungen für entsprechende Auskünfte. Der Anspruch von A könnte daher ausgeschlossen sein.

Genau, so ist das!

A begehrt Auskunft über Angaben, die auf Todesbescheinigungen vermerkt sind. Das Bestattungsgesetz Baden-Württemberg (BestattG BW) sieht für solche Auskünfte einen Anspruch für öffentliche Einrichtungen zum Zweck der medizinischen Forschung (§ 22 Abs. 4 BestattG BW) oder für natürliche und juristische Personen bei nachgewiesenem besonderen Interesse (§ 22 Abs. 5 BestattG BW) vor. Insoweit besteht eine andere Auskunftsregelung für den Zugang zu amtlichen Informationen. Sofern es sich um eine abschließende Regelung handelt, würde sie gemäß § 1 Abs. 3 LIFG den allgemeinen Auskunftsanspruch verdrängen.

6. Zwischen den Auskunftsansprüchen aus dem LIFG und dem BestattungsG BW besteht Normenkonkurrenz.

Ja, in der Tat!

Die Auskunftsansprüche nach dem LIFG und dem BestattungsG BW haben eine identische Teilmenge, da sie beide den Zugang zu amtlichen Informationen regeln. Insoweit besteht eine Normenkonkurrenz. Diese wird nicht dadurch aufgehoben, dass die Auskünfte nach dem BestattungsG BW teilweise nur öffentlichen Einrichtungen erteilt werden. Der nach bestimmten Kriterien festgelegte engere Personenkreis der Berechtigten ist ein starkes Indiz für eine Regelung, welche das LIFG verdrängt (RdNr. 10).

7. A begehrt nur anonymisierte Daten aus den Angaben der Todesbescheinigungen. Die Auskunft nach dem BestattungsG BW liefert konkrete Angaben. Deswegen besteht keine Normenkonkurrenz.

Nein!

Die Konkurrenz der Auskunftsansprüche wird nicht dadurch beseitigt, dass A lediglich anonymisierte Angaben fordert. Das BestattungsG BW vermittelt für Auskünfte zur medizinischen Forschung (§ 22 Abs. 4 BestattG BW) nur Zugang zu anonymisierten Daten, um schutzwürdige Belange der Verstorbenen oder der Hinterbliebenen nicht zu beeinträchtigen. Soweit Auskünfte bei besonderem Interesse erteilt werden (§ 22 Abs. 5 BestattG BW), ist dies nur hinsichtlich eines konkreten Verstorbenen möglich. Insofern scheiden anonymisierte Angaben ohnehin aus (RdNr. 10).

8. Der Anspruch nach dem LIFG ist aber nur ausgeschlossen, wenn es sich bei dem Auskunftsanspruch nach dem BestattungsG BW um eine abschließende Regelung handelt.

Genau, so ist das!

Ob ein spezialgesetzlicher Zugang zu amtlichen Informationen abschließend geregelt ist, stellt eine Frage des Einzelfalles dar. Maßgeblich ist, ob ein Informationsanspruch nach dem LIFG dem Schutzzweck des Spezialgesetzes zuwiderlaufen würde (RdNr. 11).

9. Die Angaben auf den Todesbescheinigungen stellen sensible Daten dar. Mit dem eingeschränkten Zugriff auf diese Angaben werden die Belange der Verstorbenen und deren Hinterbliebenen geschützt.

Ja, in der Tat!

Die Angaben auf einer Todesbescheinigung betreffen wegen den Daten zur Gesundheit und Todesursache der verstorbenen Person ebenfalls auch Gesundheitsdaten eines schwer zu überblickenden Kreises von noch lebenden Verwandten. Des Weiteren schließt eine Anonymisierung der Daten deren Zuordnung zu einer konkreten verstorbenen Personen nicht aus , v.a. wenn sich die Auskunft auf eine überschaubare Zahl an Verstorbenen in einer engen örtlichen Zuständigkeit eines Landratsamts bezieht (RdNr. 14). Daraus ergibt sich die Sensibilität der Daten. Um diese zu schützen, wurde der Zugang durch den Gesetzgeber eingeschränkt.

10. Eine Auskunft nach dem LIFG läuft diesem Schutzzweck des BestattG BW zuwider.

Ja!

Das BestattungsG BW enthält ein umfassendes Regelwerk, unter welchen Voraussetzungen Informationen aus den Todesbescheinigungen zugänglich sind. Ein Zugriff soll für die medizinische Forschung möglich sein, ist aber bewusst auf öffentliche Stellen beschränkt, um die Belange der Verstorbenen und deren Hinterbliebenen zu schützen. Der Auskunftsanspruch aus dem LIFG umgeht diese Einschränkungen und läuft dem Schutz der sensiblen Daten daher zuwider. Das BestattG BW enthält eine abschließende Regelung zum Zugriff zu amtlichen Informationen. Der Informationsanspruch des A ist nach § 1 Abs. 3 LIFG ausgeschlossen.

11. Der Antrag ist unbegründet.

Genau, so ist das!

A kann keinen Anordnungsanspruch glaubhaft machen. Ein Anspruch nach § 1 Abs. 2 LIFG ist nach § 1 Abs. 3 LIFG wegen der Regelungen des BestattungsG BW ausgeschlossen. Für einen Anspruch nach dem BestattungsG BW gehört er nicht zum Kreis der Berechtigten (§ 22 Abs. 4 BestattungsG BW). Daher ist der Antrag unbegründet. Darüber hinaus würde es auch an einem Anordnungsgrund fehlen, da A nicht vorträgt, warum ein Abwarten in der Hauptsache unzumutbar ist (vgl. dazu VG Freiburg, Beschl. v. 04.06.2020 - 5 K 1473/20, RdNr. 9).

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