Corona: Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für Betriebsschließungen (§ 28 Abs.1 IfSG)


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird durch § 5 CoronaVO der Betrieb ihres Warengeschäfts in Köln untersagt. Sie hält diese Norm für verfassungswidrig, u.a. wegen Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG, und begehrt deren vorläufige Außervollzugsetzung.

Einordnung des Falls

Corona: Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für Betriebsschließungen (§ 28 Abs.1 IfSG)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 16 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Statthaft ist vorliegend ein Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO.

Nein!

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ist zwar ebenfalls ein Verfahren des verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes, richtet sich aber nur gegen Verwaltungsakte. Hier ist der Angriffsgegenstand jedoch ein anderer, denn A möchte vielmehr gegen eine Rechtsnorm vorgehen. Die CoronaVO ist eine „im Rang unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift“ (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 109a JustG NRW). Statthafte Antragsart ist daher ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO - ein spezielles Eilverfahren für die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle.

2. Zuständig für den Antrag der A (§ 47 Abs. 6 VwGO) ist das VG Köln.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Wortlaut spricht nur von dem „Gericht“ (§ 47 Abs. 6 VwGO). Für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gelten allerdings die Vorschriften über das Hauptsacheverfahren sinngemäß. Über die Gültigkeit von untergesetzlichen Rechtsnormen im Wege der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle entscheidet grundsätzlich das Oberverwaltungsgericht (OVG) (§ 47 Abs. 1 VwGO), in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern der Verwaltungsgerichtshof (VGH) (vgl. § 184 VwGO).

3. Eine Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO muss zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten sein. Maßgeblich sind dabei insbesondere die Erfolgsaussichten der Hauptsache.

Ja, in der Tat!

OVG: Maßgeblich seien zunächst die Erfolgsaussichten der Hauptsache, soweit sich diese bereits absehen lassen. Ist die Hauptsache voraussichtlich (d.h. bei summarischer Prüfung) unzulässig oder unbegründet, sei auch der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht dringend geboten. Ist die Hauptsache voraussichtlich erfolgreich, sei dies ein wesentliches Indiz dafür, dass die Anordnung ergehen muss. Sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache offen, sei über den Erlass der einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung (Doppelhypothese) zu entscheiden (RdNr. 36). Dieser Prüfungsmaßstab entspricht der hM in Rechtsprechung und Literatur.

4. Die Rechtmäßigkeit einer Rechtsverordnung setzt voraus, dass sie auf einer verfassungsmäßigen Ermächtigungsnorm beruht und selbst formell und materiell rechtmäßig ist.

Ja!

Genau, das ergibt sich aus Art. 80 Abs. 1 S. 1, 20 Abs. 3 GG.

5. Rechtsgrundlage für die CoronaVO ist § 32 S. 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG).

Genau, so ist das!

§ 32 S. 1 IfSG ermächtigt die Landesregierungen, unter bestimmten Voraussetzungen auch durch Rechtsverordnung Schutzmaßnahmen (§ 28 Abs. 1 S. 1 IfSG) zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG fungiert dabei als Generalklausel für Infektionsschutzmaßnahmen, § 32 S. 1 i.V.m. § 28 IfSG als Verordnungsermächtigung. Die Landesregierungen können diese Ermächtigung wiederum durch Rechtsverordnung auch auf andere Stellen übertragen (§ 32 S. 2 IfSG). Das OVG beschäftigt sich im vorliegenden Fall zunächst mit der Frage, ob die Verordnungsermächtigung möglicherweise gegen höherrangiges Recht verstößt (RdNr. 39ff.).

6. Nach der sog. Wesentlichkeitstheorie müssen besonders grundrechtsrelevante Maßnahmen vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst getroffen werden.

Ja, in der Tat!

Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1-3 GG) folgt der Vorbehalt des Gesetzes. Danach ist eine hoheitliche Maßnahme nur rechtmäßig, wenn sie durch eine Rechtsnorm gestattet wird. Darüber hinaus verlangt die Wesentlichkeitstheorie des BVerfG, dass alle Entscheidungen, die für das Zusammenleben im Staat wesentlich sind, vom Gesetzgeber selbst getroffen werden müssen. So müssen besonders grundrechtsrelevante Maßnahmen grundsätzlich in einem Parlamentsgesetz geregelt werden und dürfen nicht der Entscheidungsmacht der Exekutive (z.B. durch Erlass von Rechtsverordnungen) überlassen werden (RdNr. 42).

7. Auch Gesetze, die die Exekutive zu Rechtsverordnungen ermächtigen, können den Voraussetzungen des Gesetzesvorbehalts und der Wesentlichkeitstheorie genügen.

Ja!

OVG: Die wesentlichen Entscheidungen müssen aber durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst erfolgen. Das Bestimmtheitserfordernis für Rechtsverordnungen (Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG), wonach Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden müssen, stelle insoweit eine notwendige Ergänzung und Konkretisierung des Gesetzesvorbehalts dar. Mit anderen Worten: Genügt die Verordnungsermächtigung den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, sei der staatliche Eingriff durch die Exekutive nachvollziehbar und auf eine hinreichende parlamentarische Willensäußerung zurückzuführen (RdNr. 44).

8. Wegen der grundrechtsintensiven Auswirkungen hätte der parlamentarischen Gesetzgeber das flächendeckende Betriebsverbot selbst regeln müssen. Somit verstößt § 5 CoronaSchVO gegen Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG.

Nein, das ist nicht der Fall!

Dies wird in Teilen der Literatur vertreten. Die Generalklausel des § 28 Abs. 1 IfSG sei zu weit gefasst. Selbst wenn dies zutrifft, ergäbe sich daraus laut OVG „derzeit“ nicht die Unanwendbarkeit der CoronaSchVO. Es sei anerkannt, dass es bei unvorhergesehenen Entwicklungen aus übergeordneten Gründen des Gemeinwohls geboten sein kann, gravierende Regelungslücken für einen Übergangszeitraum auf der Grundlage von Generalklauseln zu schließen und damit auch eingriffsintensive Maßnahmen, die an sich einer besonderen Regelung bedürfen, vorübergehend zu ermöglichen. Diese Voraussetzungen lägen bei der aktuellen Corona-Pandemie vor (RdNr. 63ff.).

9. Das erforderliche Maß der Bestimmtheit von Verordnungsermächtigungen (Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG) ist einzelfallabhängig und lässt sich nicht allgemein festlegen.

Ja, in der Tat!

OVG: Die Ermächtigungsnorm müsse in ihrem Wortlaut nicht so genau wie irgend möglich gefasst sein, sie habe von Verfassungs wegen nur hinreichend bestimmt zu sein. Dazu genüge es, wenn sich die gesetzlichen Vorgaben mithilfe allgemeiner Auslegungsmethoden erschließen lassen. Die konkreten Bestimmtheitsanforderungen seien jedoch einzelfallabhängig; es komme vor allem auf die Eigenart des Sachverhalts und die Intensität der grundrechtsrelevanten Auswirkungen an (RdNr. 46).

10. Die Verordnungsermächtigung ist eine unzulässige „Globalermächtigung“ und verstößt daher gegen das Bestimmtheitsgebot (Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG).

Nein!

OVG: Zwar ist die Regelung generalklauselartig ausgestaltet, dies soll dem Verordnungsgeber aber ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Schutzmaßnahmen eröffnen. Die Fülle an Maßnahmen, die bei einer Pandemie in Frage kommen, konnte bei Erlass der Regelung schlicht nicht vorhergesagt werden. Der Wortlaut des § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG regele hinreichend bestimmt, dass sowohl punktuelle als auch flächendeckende Maßnahmen erlassen werden können. Zudem beschränke sich die Befugnis des Verordnungsgebers auf „notwendige Schutzmaßnahmen“, sodass dessen Regelungsermessen stets den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsgebots unterliegt (RdNr. 48ff.). Der Gesetzgeber hat reagiert und mit § 28a IfSG eine spezielle gesetzliche Grundlage für die verschiedenen Maßnahmen geschaffen.

11. Nach dem Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG) muss ein grundrechtseinschränkendes Gesetz das eingeschränkte Grundrecht ausdrücklich benennen.

Genau, so ist das!

Richtig - indem das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG den Gesetzgeber zwingt, mögliche Grundrechtseingriffe im Gesetzeswortlaut auszuweisen, will es sicherstellen, dass nur wirklich gewollte Eingriffe erfolgen und dass sich der Gesetzgeber über die Auswirkungen seiner Regelungen für die betroffenen Grundrechte bewusst wird (Warn- und Besinnungsfunktion des Zitiergebots) (RdNr. 67).

12. Die Verordnungsermächtigung verstößt gegen das Zitiergebot, da weder Art. 12 Abs. 1 noch Art. 14 Abs. 1 GG als eingeschränkte Grundrechte benannt werden.

Nein, das trifft nicht zu!

Regelungen, die der Gesetzgeber in Ausführung der ihm obliegenden verfassungsrechtlichen Regelungsaufträge vornimmt, unterfallen nicht dem Zitiergebot. Hier laufe dessen Warn- und Besinnungsfunktion leer, weil dem Gesetzgeber ohnehin bewusst sei, dass er sich im grundrechtsrelevanten Bereich bewegt (sog. normgeprägte Grundrechte). Zu diesen Regelungen zählen sowohl Inhalts- und Schrankenbestimmungen (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG) als auch berufsregelnde Gesetze (Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG). Mit der Regelung des § 28 Abs. 1 IfSG kommt der Gesetzgeber seinen verfassungsrechtlichen Regelungsaufträgen nach; das Zitiergebot ist nicht verletzt (RdNr. 67ff.).

13. Im Übrigen muss auch § 5 CoronaSchVO formell und materiell rechtmäßig sein.

Ja!

Richtig - bislang ging es nur um die Frage, ob die Ermächtigungsnorm ihrerseits verfassungskonform ist und insbesondere den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG genügt. In einem zweiten Schritt ist nun zu prüfen, ob die Verordnung selbst in formeller und materieller Hinsicht rechtmäßig ist. Formelle Bedenken gegen das Zustandekommen der CoronaSchVO seien laut OVG jedenfalls nicht ersichtlich (RdNr. 72).

14. § 5 CoronaSchVO ist unverhältnismäßig, da bestimmte Betriebe von der Schließung ausgenommen sind, z.B. Apotheken und Baumärkte (§ 5 Abs. 1 CoronaSchVO).

Nein, das ist nicht der Fall!

OVG: Die Privilegierung beruhe nicht etwa darauf, dass nur diesen Betrieben die Einhaltung der gebotenen Hygienemaßnahmen zugetraut wird. Sie seien vielmehr „Teil der Infrastruktur zur Grundversorgung der Bevölkerung bzw. dienen der Deckung des Bedarfs von Handwerkern und Gewerbetreibenden“. Welche Betriebe in diesem Sinne privilegiert sind, unterfalle der Einschätzungsprärogative des Verordnungsgebers und sei hier nicht zu beanstanden (RdNr. 93f.). Diese Rechtsauffassung des OVG ist in Bezug auf einige Ausnahmen - etwa zugunsten von Baumärkten - umstritten. Die Privilegierung könnte gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.

15. § 5 CoronaSchVO ist unverhältnismäßig, da A erheblich in ihrer Berufsfreiheit und ihrem Recht auf eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb beeinträchtigt wird.

Nein, das trifft nicht zu!

OVG: Die Rechte der A aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG sind zwar erheblich betroffen, gelten jedoch nicht unbeschränkt, sondern unterliegen einem Gesetzesvorbehalt. Angesichts der akuten Überforderung des Gesundheitswesens treten diese Rechte gegenüber dem mit der Verordnung bezweckten Schutz von Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) zurück. Zudem bestünden Maßnahmen, um den Grundrechtseingriff abzumildern (z.B. Ausnahme für Versandhandel, Unterstützung durch Soforthilfe und Kurzarbeitergeld sowie die zeitliche Befristung der Verordnung) (RdNr. 103). Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen ist umstritten.

16. Der Antrag der A auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 47 Abs. 6 VwGO) zur Außervollzugsetzung des § 5 CoronaSchVO hat Erfolg.

Nein!

Laut OVG erweist sich der in der Hauptsache anhängige Normenkontrollantrag bei summarischer Prüfung als unbegründet. Selbst wenn man von offenen Erfolgsaussichten der Hauptsache ausginge, sei der Erlass der einstweiligen Anordnung nicht dringend geboten. Im Rahmen der erforderlichen Folgenabwägung sei das Schutzgut der menschlichen Gesundheit und des Lebens gegenüber den wirtschaftlichen Einbußen der betroffenen Unternehmen als höherrangig einzustufen (RdNr. 104).

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