Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Entscheidungen von 2020
Corona: Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für Betriebsschließungen (§ 28 Abs.1 IfSG)
Corona: Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für Betriebsschließungen (§ 28 Abs.1 IfSG)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A wird durch § 5 CoronaVO der Betrieb ihres Warengeschäfts in Köln untersagt. Sie hält diese Norm für verfassungswidrig, u.a. wegen Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG, und begehrt deren vorläufige Außervollzugsetzung.
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Einordnung des Falls
Corona: Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für Betriebsschließungen (§ 28 Abs.1 IfSG)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 16 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Statthaft ist vorliegend ein Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO.
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. Zuständig für den Antrag der A (§ 47 Abs. 6 VwGO) ist das VG Köln.
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Eine Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO muss zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten sein. Maßgeblich sind dabei insbesondere die Erfolgsaussichten der Hauptsache.
Ja, in der Tat!
4. Die Rechtmäßigkeit einer Rechtsverordnung setzt voraus, dass sie auf einer verfassungsmäßigen Ermächtigungsnorm beruht und selbst formell und materiell rechtmäßig ist.
Ja!
5. Rechtsgrundlage für die CoronaVO ist § 32 S. 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG).
Genau, so ist das!
6. Nach der sog. Wesentlichkeitstheorie müssen besonders grundrechtsrelevante Maßnahmen vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst getroffen werden.
Ja, in der Tat!
7. Auch Gesetze, die die Exekutive zu Rechtsverordnungen ermächtigen, können den Voraussetzungen des Gesetzesvorbehalts und der Wesentlichkeitstheorie genügen.
Ja!
8. Wegen der grundrechtsintensiven Auswirkungen hätte der parlamentarischen Gesetzgeber das flächendeckende Betriebsverbot selbst regeln müssen. Somit verstößt § 5 CoronaSchVO gegen Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG.
Nein, das ist nicht der Fall!
9. Das erforderliche Maß der Bestimmtheit von Verordnungsermächtigungen (Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG) ist einzelfallabhängig und lässt sich nicht allgemein festlegen.
Ja, in der Tat!
10. Die Verordnungsermächtigung ist eine unzulässige „Globalermächtigung“ und verstößt daher gegen das Bestimmtheitsgebot (Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG).
Nein!
11. Nach dem Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG) muss ein grundrechtseinschränkendes Gesetz das eingeschränkte Grundrecht ausdrücklich benennen.
Genau, so ist das!
12. Die Verordnungsermächtigung verstößt gegen das Zitiergebot, da weder Art. 12 Abs. 1 noch Art. 14 Abs. 1 GG als eingeschränkte Grundrechte benannt werden.
Nein, das trifft nicht zu!
13. Im Übrigen muss auch § 5 CoronaSchVO formell und materiell rechtmäßig sein.
Ja!
14. § 5 CoronaSchVO ist unverhältnismäßig, da bestimmte Betriebe von der Schließung ausgenommen sind, z.B. Apotheken und Baumärkte (§ 5 Abs. 1 CoronaSchVO).
Nein, das ist nicht der Fall!
15. § 5 CoronaSchVO ist unverhältnismäßig, da A erheblich in ihrer Berufsfreiheit und ihrem Recht auf eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb beeinträchtigt wird.
Nein, das trifft nicht zu!
16. Der Antrag der A auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 47 Abs. 6 VwGO) zur Außervollzugsetzung des § 5 CoronaSchVO hat Erfolg.
Nein!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Jurakatze1987
26.6.2020, 22:23:46
Ich finde die Begründung hinsichtlich des Zitiergebots nicht für sehr clever. Der Gesetzgeber muss das Grundrecht nicht erwähnen, da er ohnehin weiß, dass die Maßnahme grundrechtseingreifend ist. Die Logik erschließt sich mir nicht so ganz 🤔.
Jurakatze1987
26.6.2020, 23:11:03
Natürlich muss es heißen, ich halte nicht für clever. Sry
Eigentum verpflichtet 🏔️
27.6.2020, 19:12:49
Die Begründung ist korrekt. Da praktisch jedes staatliche Handeln ein Eingriff in die Berufsausübung irgendeines Berufs, oder eine Inhalts- und Schrankbestimmung des Eigentums sein kann, wäre es ein purer Formalismus, wenn der Gesetzgeber, in jedes Gesetz hineinschreiben müsste, dass in Art. 12, 14 GG durch das Gesetz eingegriffen wird. Vgl. Hömig (Hrsg.): Grundgesetz, 8. Auflage 2007, Art. 19 Rn. 4.
Jurakatze1987
27.6.2020, 19:50:09
Warum gibt es das Zitiergebot dann?
Eigentum verpflichtet 🏔️
27.6.2020, 23:33:31
Das Zitiergebot gilt noch in den Fällen der Eingriffe in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie die Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 GG, in den Fällen der Eingriffe in die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG, in den Fällen der Eingriffe in das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 GG, in den Fällen des Eingriffs in die Freizügigkeit nach Art. 11 GG und in den Fällen des Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 GG. Hier muss der Gesetzgeber erkennen, dass er gerade in diese spezifischen Grundrechte eingreift.
Jurakatze1987
28.6.2020, 12:40:22
Warum diese Unterscheidung? Im Wortlaut selbst ist sie nicht zu finden 🤔.
Eigentum verpflichtet 🏔️
28.6.2020, 13:46:06
Weil der Gesetzgeber sonst einfach Pro forma in jedes Gesetz einen Paragraph 2 einbauen könnte und da reinschreiben könnte, dieses Gesetzt greift in die Grundrecht aus Art 1-19 GG ein. So muss er sich Gedanken machen, in welche Grundrechte er konkret eingreift.
Jurakatze1987
28.6.2020, 14:32:24
Okay. Das leuchtet ein. Nur nicht die Art, bei welchen Grundrechten ein Zitat notwendig ist und wo nicht.
Delfinsohn
25.5.2021, 11:27:28
Ich finde Epping Grundrechte Rn 759 sehr aufschlussreich. Das Zitiergebot hat seinem Zweck nach eine Warn- und Besinnungsfunktion. Der Gesetzgeber soll vor der Einschränkung von GrR gewarnt werden, damit er die Folgen des seines Gesetzes bedenken kann. Darüber hinaus hat es eine Klarstellungsfunktion für die Gesetzesauslegung und Anwendung. Da das Zitiergebot aber die Nichtigkeit von Gesetzen zur Folge hat hat es eine sehr schwere rechtsfolge und droht bei zu extensiver Auslegung zu einer leeren Förmlichkeit zu erstarren und den Gesetzgeber unnötig bei seiner Arbeit zu behindern. Deswegen muss es sehr restriktiv gehandhabt werden. Zunächst kann es die Warn und Klarstellungsfunktion ja nur erfüllen, wenn es sich um einen unmittelbaren Eingriff nach dem klassischen
Eingriffsbegriffhandelt. Denn mittelbar faktische Eingriffe können sich dem Gesetzgeber nicht von vornherein in ihrer Gänze erschließen. Beim Erweiterten
Eingriffsbegrifffindet Es also keine Anwendung. Aus Art 19 I 1 GG ergibt sich außerdem, dass es nur für Gesetze gelten soll, die unter einem Gesetzesvorbehalt stehen. Vorbehaltlose Grundrechte fallen somit raus (zB Art 4 I), aber auch Grundrechte, die nur einem sog Regelungsvorbehalt (zB Art 4 III 2 GG) unterfallen. Denn hier darf an sich der Gesetzgeber nur etwa ein Verfahren regeln , ohne den Schutzbereich des GrR zu verkürzen. Da Art 12 dem Wortlaut nach auch vom „Regeln“ spricht, soll es auch nicht unter das Zitiergebot fallen. Dies ist aber etwas inkonsequent, weil der Regelungsvorbehalt hier eigentlich wie ein einfacher Gesetzesvorbehalt behandelt wird. Auch normgeprägten Grundrechten ((zB Art 14) — hier wird der Schutzbereich ja gerade ausgestaltet) und Gleichheitsrechte unterfallen demnach nicht Art 19 I GG. Darüber hinaus kann das Zitiergebot seine Funktion nicht erfüllen bei: Art 2 I GG (praktisch würde fast jedes Gesetz sonst darunter fallen) Enteignende Gesetze (Junktimklausel nach Art 14 III 2 GG übernimmt nämlich die gleiche Funktion) Allgemeine Gesetze (zB iSd Art 5 II GG) — auch hier können die meisten Gesetze einschränkende Wirkung haben. Darüber hinaus wohl auch bei offenkundigkeit der Grundrechtseinschränkung — das ist aber sehr umstritten, ich finde auch nicht überzeugend Bedeutung hat das Zitiergebot demnach nur für: Art 2 II GG, Art 6 III GG Art 8 II, Art 10 GG, Art 11 GG, Art 13 GG und Art 16 I 2 GG
WillezurGerechtigkeit
3.2.2021, 00:12:49
Bei der ersten Antwort muss neben § 47 Abs. 1 VwGO für die Bezeichnung als VGH auch der § 184 VwGO genannt werden. Zumindest sind bayerische Korrektoren recht penibel ;)
Eigentum verpflichtet 🏔️
4.2.2021, 18:17:19
Hallo Wille zur Gerechtigkeit, danke für den guten Hinweis! Haben wir korrigiert :)
Tr(u)mpeltier junior
15.2.2021, 00:11:46
Ggfs könnte man in den Antworttext als Update noch einbauen, dass zwischenzeitlich §28a IFSG eingeführt wurde, um den Bedenken, die hinsichtlich §28 IFSG und dessen unbestimmtheit bestanden etwas zu entgegnen. Denn je länger die Pandemie andauerte, desto kritischer wurde der Rückgriff auf diese generalklausel beäugt.
Lukas_Mengestu
21.12.2021, 11:20:04
Danke Tj, das haben wir nun mit aufgenommen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team