Mittäterexzess

4. Juli 2025

8 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

M1 und M2 kommen stillschweigend überein, der O ihre auf dem Beifahrersitz abgelegte Handtasche wegzunehmen. Während M1 vorgibt, O beim Ausparken zu helfen, will M2 die Beifahrertür öffnen. Diese ist aber verriegelt. Für M2 überraschend, schlägt M1 daher die O K.O. und entwendet selbst die Tasche.

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Einordnung des Falls

Mittäterexzess

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. M1 hat sich wegen Raubes (§ 249 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht, indem er O K.O. schlug und die Tasche entwendete.

Genau, so ist das!

Die Tasche der O war für M1 eine fremde bewegliche Sache. M1 hat durch den Schlag Personengewalt gegen O verübt. Die Wegnahme (=Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams) vollzog M1, indem er der O die Tasche entwendete. Der raubspezifische Zusammenhang ist gegeben. M1 hatte Vorsatz. Die Gewalt diente als Mittel der Gewahrsamserlangung, so dass der Finalzusammenhang zwischen Gewalt und Wegnahme vorliegt. Da M1 in der Absicht rechtswidriger Zueignung sowie rechtswidrig und schuldhaft handelte, ist er strafbar wegen § 249 Abs. 1 StGB. Bezüglich M2 fragt sich, ob ihm die Handlungen des M1 nach § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden können.
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2. M2 ist schon deshalb kein Mittäter, weil der dafür nötige gemeinsame Tatentschluss einer ausdrücklichen Absprache bedarf, M1 und M2 aber nur stillschweigend übereinkamen, der O die Tasche wegzunehmen.

Nein, das trifft nicht zu!

Der gemeinsame Tatentschluss beinhaltet die Verabredung der Beteiligten, durch Erbringung von Tatbeiträgen im Zusammenwirken den Tatbestand zu erfüllen. Dies erfordert die objektive Willensübereinstimmung und den Vorsatz zur gemeinsamen Verwirklichung aller Umstände des objektiven Tatbestandes. Die Willensübereinstimmung kann ausdrücklich, stillschweigend und konkludent (etwa durch gegenseitiges Zunicken) hergestellt werden. Dass M1 und M2 stillschweigend übereinkamen, der O ihre Tasche wegzunehmen, steht dem gemeinsamen Tatentschluss also nicht entgegen. Fraglich ist aber, ob der Einsatz des Raubmittels durch M1 für M2 ein Mittäterexzess ist.

3. Obgleich M1 sich spontan entschloss, Personengewalt einzusetzen, lag ein gemeinsamer Tatplan von M1 und M2 hinsichtlich eines Raubes vor (§§ 249 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB).

Nein!

Jeder Mittäter haftet für das Handeln der anderen nur im Rahmen seines (bedingten) Vorsatzes. Er ist für den Taterfolg mithin nur insoweit verantwortlich, als sein Wille reicht, so dass ihm ein Exzess der anderen nicht zur Last fällt. M1 und M2 waren sich einig, der O die Tasche wegzunehmen, nicht aber dafür ein Raubmittel einzusetzen. Unerheblich sind zwar unwesentliche Abweichungen, also solche, mit denen nach den Umständen des Falles für gewöhnlich zu rechnen ist. Mit der Personengewalt war aber nicht zu rechnen, so dass ein Mittäterexzess vorliegt, für den M2 nicht einzustehen hat. Denkbar bleibt aber ein mittäterschaftlicher Diebstahl.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Natze

Natze

26.8.2024, 09:29:35

also wäre im Ergebnis M1 für einen vollendeten Raub als Einzeltäter (sowie einem versuchten

mittäterschaft

lichen diebstahl? subsidiärer vollender

mittäterschaft

lichen diebstahl?) und M2 für einen

mittäterschaft

lichen Diebstahl zu bestrafen?

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

25.6.2025, 19:03:47

Hallo @[Natze](211625), so ist es. Im Raub ist der vollendete Diebstahl enthalten, dieser wird jedoch im Wege der

Gesetzeskonkurrenz

in Form der Spezialität verdrängt. Auf eine

Mittäterschaft

kommt es auch beim Diebstahl aus Sicht des M1 nicht an, da er alle Tatbestandsmerkmale selbst verwirklicht und es keiner Zurechnung über § 25 Abs. 2 StGB bedarf. Der M2 macht sich des

mittäterschaft

lichen Diebstahls strafbar, da ihm insofern die Tathandlung des M1 zugerechnet wird. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team

Natze

Natze

25.6.2025, 22:28:47

Vielen lieben Dank ☺️

MAG

Magnum

4.11.2024, 21:32:25

Wie würde man den Fall behandeln, wenn wir aufgrund irgendwelcher Umstände (zB. M1 neigt grundsätzlich zu Gewalt) dazu kämen, dass es nicht fern jeder Lebenserfahrung liegt, dass M1 zur Wegnahme Gewalt einsetzt. Dann wäre ja kein

Mittäterexzess

gegeben und ein

mittäterschaft

licher Raub läge vor. Wie wird denn aber behandelt, dass M2 trotzdem ja keinen Vorsatz auf die Gewaltanwendung hatte. Muss man den Vorsatz dann dennoch annehemen, weil es sonst inkonsitent wäre?

VaryNia

VaryNia

4.6.2025, 17:22:04

Wenn M2 bedingten Vorsatz bzgl. der Gewalt hätte (nicht unbedingt dadurch gegeben, dass M1 zur Gewalt neigt), wäre er als Mittäter strafbar. Ansonsten käme nur

fahrlässige Körperverletzung

in Betracht.

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

25.6.2025, 18:43:51

Hi @[Magnum](172647), @[VaryNia](273968) sagt es im Wesentlichen schon ganz richtig: Es gibt keinen Raum zwischen Vorsatz und

Mittäterexzess

. Entweder der Mittäter hat Vorsatz bezüglich der Handlung, dann liegt kein

Mittäterexzess

vor. Oder der Mittäter hat keinen Vorsatz, dann handelt es sich um einen

Mittäterexzess

. All diese Abgrenzungskriterien, ob mit den Abweichungen zu rechnen war oder ob es sich um gleichwertige, unwesentliche Abweichungen handelt oder ob der Mittäter dem gegenüber gleichgültig ist, sind im Endeffekt nur Kriterien, mit denen anhand der ganz normalen Definition geprüft wird, ob die Handlung vom bedingten Vorsatz umfasst ist oder nicht. Das war tatsächlich auch etwas, was ich erst sehr spät im Studium verstanden habe. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team

F. Rosenberg 🦅

F. Rosenberg 🦅

2.12.2024, 12:02:35

Wo spreche ich den gemeinsamen

Tatentschluss

an? Unter dem subj. TB?

CR7

CR7

2.12.2024, 15:24:01

Hey, ich verweise dich mal auf diese Aufgabe hier: https://applink.jurafuchs.de/r7WzjMG9ZOb Der gemeinsame

Tatentschluss

ist nach der gemeinsamen Tatausführung ein weiterer Bestandteil der Prüfung des § 25 II StGB, da es Handlungen gibt, die du zwar in persona nicht ausführst und somit im Rahmen des objektiven Tatbestand selbst nicht erfüllst, dir aber zugerechnet werden müssen, damit eine Täterschaft und nicht bloß eine Teilnahme vorliegen kann. Und § 25 II StGB ist Teil des objektiven Tatbestandes. Ich kann dir auch den Aufsatz hier empfehlen: https://www.zjs-online.com/dat/artikel/2020_5_1425.pdf, LG


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