Zivilrecht
Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA)
Die echte GoA – Rechtsfolgen
Verhinderter Suizid – § 679 BGB analog?
Verhinderter Suizid – § 679 BGB analog?
22. Februar 2025
24 Kommentare
4,6 ★ (35.048 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Content-Note: Suizid.
A schwimmt im Rhein, als er sieht, wie B sich mit Suizidbabsicht von einer Brücke in den Fluss stürzt. A gelingt es, den B, der noch bei Bewusstsein ist, zu retten. Anschließend fährt A den B mit dem Taxi ins Krankenhaus.
Diesen Fall lösen 88,3 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Verhinderter Suizid – § 679 BGB analog?
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A kann von B Ersatz für die Taxikosten verlangen, wenn er einen Anspruch auf Aufwendungsersatz nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB hat.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Indem A den B gerettet hat, hat er „ein Geschäft besorgt“ (§ 677 BGB)
Ja, in der Tat!
3. Die Rettungshandlung müsste ein „fremdes Geschäft“ für A sein.
Ja!
4. Nach Ansicht des BGH musst Du As Fremdgeschäftsführungwille positiv feststellen.
Nein, das ist nicht der Fall!
5. § 323c StGB begründet allein eine Pflicht der Allgemeinheit. Hatte A nach § 323c StGB den Auftrag, B zu retten (§ 677 BGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
6. Die Geschäftsführung des A war „berechtigt“, weil sie Bs wirklichen Willen entsprach (§ 683 S. 1 BGB).
Nein!
7. Vorliegend könnte der wirkliche Wille des B jedoch unbeachtlich sein. Umfasst § 679 BGB die Rettungshandlung ausdrücklich?
Nein, das ist nicht der Fall!
8. Die (wohl noch) h.M. wendet § 679 BGB analog auf den Suizidwillen an.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
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Nebenbesitzer einer Fräsmaschine
12.8.2020, 15:04:39
Auch nach Recherche im Netz bin ich nicht fündig geworden: wieso verstößt ein Suizid gegen § 138 BGB?
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Eigentum verpflichtet 🏔️
14.8.2020, 17:59:51
Hallo
Nebenbesitzer ;) danke für die gute Frage. Schau dir dazu mal Palandt-Sprau, § 679 Rn. 6 m.w.N. an!
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Eigentum verpflichtet 🏔️
14.8.2020, 18:34:43
Die herrschende Ansicht wird aber wohl mit dem ganz neuen
Urteildes BVerfG - 2 BvR 2347/15 zur Sterbehilfe, das ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben festsetzt, einigen Gegenwind erfahren. Nach der Gegenansicht, soll eine Berechtigung nur dann in Frage kommen, wenn sich der Selbstmörder nach 104, 105 BGB in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand befindet, bzw. der entgegenstehende Wille nicht ernsthaft ist (Apell
selbstmord).
Dankra01
12.2.2022, 02:19:32
Alternativ kann man die
Sittenwidrigkeitdes Suizids auch sicherlich über den Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden begründen, oder?
jomolino
29.3.2022, 17:07:50
Und ggfs kann man es darauf stützen, dass es für einen nur zufällig vorbeikommenden dritten kaum einschätzbar sein dürfte ob die suizidale Person in freiem Willen oder einem solchen ausschließenden Zustand handelt.
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Simon
17.6.2022, 23:43:22
Mit Blick auf den letzten Beitrag: Ich würde -auch wenn obj. nicht erkennbar ist, ob sich der Suizident in einem Zustand nach §§ 104 Nr. 2, 105 I respektive in einem solchen nach § 105 II befand/befindet- nicht zu einer berechtigten GoA kommen. § 683 S. 1 stellt primär auf den wirklichen (und geäußerten) Willen des GH ab. Begeht jmd. einen Suizidversuch, so bringt er seinen wirklichen Willen entgegen seiner Rettung zum Ausdruck. Dass sich ein obj. Beobachter nicht sicher sein kann, ob dieser Wille wirksam war, ändert nichts daran, dass -iFd tatsächlichen Wirksamkeit- ein entgegenstehender Wille des GH vorlag. Hier geht es mE nicht um eine Auslegung (analog) § 133, vielmehr setzt eine Auslegung eine wirksame
rechtsgeschäftsähnliche Handlung(hier: den geäußeren Willen des GH) voraus. Die Auslegung kann eine Wirksamkeit jedoch nicht in eine Unwirksamkeit verwandeln. Freilich bleibt die GoA eine "echte" und stellt damit eine RF des GF dar. Dieser dürfte (wegen § 680) idR auch nicht nach § 678 zum SE verpflichtet sein. Einen Aufwendungsersatz kann er hingegen nicht verlangen. Das Risiko, entgegen dem wirklichen Willen des GH zu handeln weist § 683 mit Blick auf den Aufwendungsersatz dem GF zu.
n00b
28.8.2022, 11:56:22
Ihr solltet sen Begriff "
Selbstmord" durch Suizid ersetzen. Kein Mensch suizidiert sich selbst Heimtückisch usw. finde das eher umgangssprachlich. Selbstmörder = Suizident
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Linne_Karlotta_
18.2.2025, 15:46:40
Hey in die Runde, danke für die vielen Anmerkungen, die wir jetzt in der Aufgabe berücksichtigt haben. Insbesondere hinsichtlich des „Recht auf selbstbestimmten Sterbens“ und des Wordings. Viele Grüße! Linne, für das Jurafuchs-Team
Carl
11.12.2020, 19:05:43
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w.laura.l
14.12.2021, 20:41:14
Würde mich auch interessieren. M.E. ist heute schwer vertretbar, dass der ernsthafte Wille zum
Bilanzsuizidsittenwidrig sein soll. Zumal für
§ 679 BGBkeine sittlichen Pflichten ausreichen sollen und über die Analogie diese Überlegung einfach ausgehebelt wird. Wenn ich mich recht erinnere, ist das Problem im Wandt recht gut erklärt.
Sniter
22.12.2023, 13:49:27
Hi, im Lehrbuch von Wandt zu den gesetzlichen
Schuldverhältnissen gibt es eine Aufschlüsselung nach Appell-Suizidversuch, sog.
Bilanzsuizidund Suizidversuch, der im Zustand geistiger Störungen getroffen wurde. Hier wird auch auf das
Urteildes BVerfG eingegangen.
lexahufnagel
30.1.2025, 22:12:32
Gute Frage! Wegen der Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts aus Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG haben wir in der Uni gelernt, dass ein Suizidwille nicht als Verstoß gegen die
öffentliche Ordnungi. S. d.
§ 679 BGBgewertet werden kann. Stattdessen werden wohl zwei Lösungsmöglichkeiten vertreten: (1) Anwendung des § 105 BGB analog, da der Suizidwille in der Situation oftmals im Rahmen eines die freie Willensbildung beeinflussenden Zustands geäußert wird; (2) Anwendung des § 138 BGB
Bilbo
12.2.2025, 10:59:26
@[Carl](1633) @[w.laura.l](106744) @[Sniter](188129) @[lexahufnagel](200465) Zitat aus NK-BGB/Martin Schwab, 4. Aufl. 2021,
§ 679 BGB, Rn. 13 zum ernst gemeinten und in freier Willensentschließung vollzogenen Suizidversuch: "Die Anwendung des § 679 ließe sich überzeugend begründen, wenn den Menschen eine im öffentlichen Interesse liegende Pflicht träfe, von einem
Selbsttötungsversuch abzusehen. Einer solchen Handhabung ist aber durch das Sterbehilfe-
Urteildes BVerfG der Boden entzogen: Darin hat das BVerfG ein grundrechtlich verbürgtes Recht auf selbstbestimmtes Sterben und damit auch auf
Selbsttötunganerkannt. Aus dem gleichen Grund ist es nicht mehr möglich, den der Rettung entgegenstehenden Willen des Suizidenten deshalb für unbeachtlich zu erklären, weil dieser Wille gegen die guten Sitten verstoße. Eine Handlung, die das Grundgesetz als Ausübung eines Grundrechts legitimiert, kann vom Anwender des Privatrechts nicht als sittenwidrig gebrandmarkt werden. Es bleibt in der Tat nur das unerfreuliche Ergebnis, dass dem Retter gegen den Suizidenten keine Ansprüche aus §§ 683, 670 zustehen." Mit anderen Worten, die Aufgabe müsste m.E. überholt werden. @[Lukas_Mengestu](136780)
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Linne_Karlotta_
18.2.2025, 15:49:00
Hey in die Runde, danke für eure Auseinandersetzung mit diesem relevanten Thema. Die Kritik der Rspr. des BGH zur Analogie des
§ 679 BGBin diesem Fall halte ich für mehr als angebracht und es ist wichtig, sich mit dieser auseinanderzusetzen. Wir haben die Aufgabe entsprechend überarbeitet. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team
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Edward Hopper
27.7.2022, 21:52:28
Erinnert so ein bisschen an den animationsfilm The Incredibles. Da hat auch das Opfer den Retter verklagt. Spaß bei Seite, finde das sehr kritisch. Hier wird die Menschenwürde tangiert, wenn man sagt dass suizif sittenwidrig sei.
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Lukas_Mengestu
28.7.2022, 20:03:20
Hallo Edward, die Themen Suizid und Sterbehilfe sind in der Tat recht kontrovers, weswegen die pauschalierende Lösung der hM hier in der Tat etwas verwundern kann. Aus diesem Grund gibt es auch Ansätze, die hier einen differenzierteren Blick wählen und zB zwischen dem
Appellsuizidund dem
Bilanzsuizidunterscheiden. Während es im ersteren Fall dem Suizident gerade um seine Rettung geht (Stichwort: Aufmerksamkeit), so ist der Suizident im letzteren Fall voll Geschäftsfähig und der Wunsch zu sterben entspricht seiner autonomen Entscheidung. Nach diesem differenzierteren Ansatz wäre ein
Aufwendungsersatzanspruchaus berechtigter GoA deshalb zu versagen, da der entgegenstehende Wille nicht ohne weiteres als unbeachtlich deklariert werden kann (mehr dazu: MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, BGB § 683 Rn. 22). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Kai
8.2.2024, 20:29:13
Wie sieht es denn mit dem
Fremdgeschäftsführungswillen aus, wenn der Geschäftsführer zur Rettung verpflichtet ist, z.B. als Bademeister? In Anbetracht der Fälle oben zu diesem Thema würde ich den FGW eigentlich verneinen, da er das Geschäft in Erfüllung seiner Verpflichtung als eigenes führt. Es wäre aber im Ergebnis irgendwie widersinnig, dem Dritten einen GoA-Anspruch zu geben, dem Bademeister aber nicht, zumal der Bademeister sich ja nicht gegenüber dem Geretteten zur Rettung verpflichtet hat, sondern den Vertrag mit jemand anderem geschlossen hat.
Leo Lee
10.2.2024, 20:01:03
Hallo Kai, vielen Dank für diese sehr gute und wichtige Frage! In der Tat ist der Bademeisterfall kein einfacher, da er allen voran auch deshalb einschreitet, weil er vertraglich verpflichtet ist. Dieser Fall ist schließlich etwas vergleichbar mit dem Fall des Abschlappunternehmers, der im Auftrag des Grundstückeigentümers den Wagen des Falschparkers abschleppt. Hierfür gibt es die Sondergruppe des sog. PFLICHTGEBUNDENEN Geschäftsführers. Dieser Geschäftsführer nimmt neben einem fremden Geschäft (was bei einer Rettung erstmal vorliegt) auch eigene privat- oder öffentlich-rechtliche Pflichten ggü. dem Geschäftsherren oder Dritten wahr --> also wie bei dem Badmeister! Bei einer solchen Konstellation ist es zunächst umstritten; allerdings nimmt die Rspr. hier grds. ein „auch-fremdes“ Geschäft an. Allerdings wird dies wiederum lt. BGH insoweit eingeschränkt, als die GoA dann unanwendbar ist, wenn zw. dem Geschäftsführer (Bademeister) und dem Dritten vertraglich die Entgeltfrage abschließend geregelt ist! Hingegen lehnt die Gegenauffassung ein fremdes Geschäft ab; eine solche Behandlung würde schließlich die Relativität durchbrechen und den Vertrag zw. dem Geschäftsführer und dem Dritten (Bademeister – Arbeitsgeber) zum Vertrag zu Lasten Dritter machen. Du sieht aber: Deine Beobachtungen und Ideen sind im Grunde die Argumente, die für/gegen das fremde Geschäft sprechen; du hast also den Streit schon mal „getroffen“ und dir vor allem selbst erarbeitet (das ist schon eine Errungenschaft, die nicht selbstverständlich ist und auf die du stolz sein kannst!) :). Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, F. Schäfer § 677 Rn. 47 und Seite 9 des frei zugänglichen Skripts der Uni Passau zur GoA sehr empfehlen (findest du hier unter: https://studip.uni-passau.de/studip/sendfile.php?type=0&file_id=4a0603514550c0a6344ac6e3594759ca&file_name=Skript+GoA.pdf) :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Kai
10.2.2024, 21:21:33
Danke für die super ausführliche Antwort, erklärt alles sehr gut!
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CR7
27.6.2024, 10:16:18
Es sei noch erwähnt, dass eine nachträgliche Genehmigung des Suizidenten nach § 684 S. 2 BGB den Streit entbehrlich macht :)
as.mzkw
4.10.2024, 16:11:45
Stimmt in der Theorie, jedoch schwer vorstellbar, dass derjenige, der den Entschluss gefasst hat nicht mehr leben zu wollen, dann auch noch für die Aufwendungen seiner Rettung aufkommen möchte.
friedrichbarz
16.12.2024, 09:19:30
§ 134 BGB kann keine Anwendung finden, weil es keine Norm gibt, die eine
Selbsttötungverbietet; auch kann § 138 BGB nicht immer Anwendung finden, weil nicht jeder Suizid sittenwidrig ist, siehe Schwerkranker, der mit weiteren Behandlungen finanziell seine Erben belastet. die Meinung überzeugt mich deshalb nicht :(