Verhinderter Suizid – § 679 BGB analog?

17. April 2025

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Content-Note: Suizid.
A schwimmt im Rhein, als er sieht, wie B sich mit Suizidbabsicht von einer Brücke in den Fluss stürzt. A gelingt es, den B, der noch bei Bewusstsein ist, zu retten. Anschließend fährt A den B mit dem Taxi ins Krankenhaus.

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Einordnung des Falls

Verhinderter Suizid – § 679 BGB analog?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A kann von B Ersatz für die Taxikosten verlangen, wenn er einen Anspruch auf Aufwendungsersatz nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB hat.

Genau, so ist das!

Voraussetzung für einen Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB ist, dass A (1) ein fremdes Geschäft (2) mit Fremdgeschäftsführungswillen, (3) ohne Auftrag oder einer sonstigen Berechtigung geführt hat und die (4) Geschäftsführung berechtigt war.
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2. Indem A den B gerettet hat, hat er „ein Geschäft besorgt“ (§ 677 BGB)

Ja, in der Tat!

Eine Geschäftsbesorgung ist wie im Auftragsrecht (§ 662 BGB) weit zu verstehen und umfasst jede tatsächliche oder rechtsgeschäftliche Tätigkeit, auch von kurzer Dauer. Die Rettungsaktion ist eine tatsächliche (Rettung selbst) und rechtliche (Taxi-Bestellung) Tätigkeit.

3. Die Rettungshandlung müsste ein „fremdes Geschäft“ für A sein.

Ja!

Der Geschäftsführer besorgt das Geschäft „für einen anderen“ (§ 677 BGB), wenn er das Geschäft jedenfalls nicht nur als eigenes, sondern auch als fremdes Geschäft führt. Ein Geschäft ist objektiv fremd, wenn es äußerlich in den Pflichten-, Rechts-, oder Interessenkreis des anderen fällt. Nach der Rspr. ist der Suizid ein Unglücksfall im Sinne von § 323c StGB. Da § 323c StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt keinen konkreten Normenadressaten nennt und keine spezielle Pflicht auferlegt (sog. abstrakt öffentlich rechtliche Pflicht), liegt ausschließlich ein fremdes Geschäft für den Hilfeleistenden vor. Nach anderer Ansicht handelt der Hilfeleistende nicht nur im Interessenkreis des Betroffenen, sondern wird auch seiner Hilfeleistungspflicht aus § 323c StGB gerecht. Danach soll ein auch-fremdes Geschäft vorliegen.

4. Nach Ansicht des BGH musst Du As Fremdgeschäftsführungwille positiv feststellen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Bei einem objektiv-fremden Geschäft wird der Fremdgeschäftsführungswille unstrittig (widerleglich) vermutet. Folgt man der Ansicht, die in solchen Fällen ein auch-fremdes Geschäft bejaht, so kann man den Fremdgeschäftsführungswille auch hier nach Ansicht des BGH (widerleglich) vermuten. Folgst Du der Ansicht des BGH zum Fremdgeschäftsführungswillen, so kannst Du hier also offen lassen, ob die Rettung ein objektiv-fremdes oder auch-fremdes Geschäft handelt.

5. § 323c StGB begründet allein eine Pflicht der Allgemeinheit. Hatte A nach § 323c StGB den Auftrag, B zu retten (§ 677 BGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Berechtigung zur Rettungsaktion ergibt sich nicht aus § 323c StGB. Die Berechtigung muss nämlich gerade gegenüber dem Geschäftsherrn, also hier dem B bestehen. Die Pflicht aus § 323c StGB besteht aber nur gegenüber der Allgemeinheit. A handelte ohne Auftrag oder sonstiger Berechtigung.

6. Die Geschäftsführung des A war „berechtigt“, weil sie Bs wirklichen Willen entsprach (§ 683 S. 1 BGB).

Nein!

Die Geschäftsführung ist berechtigt, wenn sie dem Interesse und dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht. Der wirkliche Wille kann entweder ausdrücklich oder konkludent geäußert werden. Aus dem konkludent geäußertem Willen des B ergibt sich, dass B Suizid begehen will und gerade nicht gerettet werden möchte. Die Geschäftsführung des A war somit nicht berechtigt (§ 683 S. 1 BGB).

7. Vorliegend könnte der wirkliche Wille des B jedoch unbeachtlich sein. Umfasst § 679 BGB die Rettungshandlung ausdrücklich?

Nein, das ist nicht der Fall!

Der wirkliche Wille des Geschäftsherrn kann ausnahmsweise nach §§ 683 S. 2, 679 BGB unbeachtlich sein, wenn: (1) ohne die Geschäftsführung eine Pflicht des Geschäftsherrn, deren Erfüllung im öffentlichen Interesse liegt, oder (2) eine gesetzliche Unterhaltspflicht des Geschäftsherrn nicht rechtzeitig erfüllt würde. Auf den Suizid-Fall ist keine der in § 679 BGB genannten Konstellationen direkt anwendbar. Allerdings wird nach h.M. § 679 BGB analog beim Suizidwillen angewendet. § 679 BGB solle entsprechend angewendet werden, wenn der wirkliche Wille gegen ein Gesetz verstößt (§ 134 BGB) oder sittenwidrig (§ 138 BGB) ist. Der Wille zum Suizid sei sittenwidrig und verstoße gegen § 138 Abs. 1 BGB.Der Suizidwille des B ist nach diesern Ansicht analog § 679 BGB unbeachtlich. Diese Sichtweise ist sehr umstritten und erfährt erhebliche Kritik: Die analoge Anwendung von § 679 BGB könnte mit der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und dem Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben (BVerfG, Urt. v. 26.02.2020) kollidieren. Die Entscheidung findest Du hier.

8. Die (wohl noch) h.M. wendet § 679 BGB analog auf den Suizidwillen an.

Ja, in der Tat!

BGH und h.M. wenden den § 679 BGB analog insbesondere dann an, wenn der Suizid „nicht auf einem freien, wohlüberlegten Entschluss beruht“ (z. B. bei akuter psychischer Erkrankung). Problematisch hieran könnte sein, dass es schwer erkennbar ist, wann ein Suizid „frei“ oder „krankheitsbedingt“ ist. Kritische Gegenpositionen schlagen daher vor, nicht § 697 BGB analog anzuwenden, sondern die Geschäftsführung durch einen Notstand (§ 34 StGB, § 228 BGB) zu rechtfertigen. Der Vorteil: Diese Regelungen berücksichtigen eine Abwägung der widerstreitenden Interessen. Es bleibt abzuwarten, wie der BGH auf das richtungsweisende Urteil des BVerfG aus dem Jahr 2020 zum selbstbestimmten Sterben in Bezug auf § 679 BGB reagiert.
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