Landesrecht (im Aufbau)

Kommunalrecht NRW

Grundlagen

Beschränkung durch Aufsichtsmaßnahme und Rechtsschutz (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG) - "Weihnachtsmarkt III"

Beschränkung durch Aufsichtsmaßnahme und Rechtsschutz (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG) - "Weihnachtsmarkt III"

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der Gemeinderat der kreisangehörigen Gemeinde Zoffenhausen beschließt, erstmalig einen Weihnachtsmarkt zu veranstalten. Nachbargemeinde Nörgeldorf unterhält bereits einen Weihnachtsmarkt. Landrätin L aus Nörgeldorf weist Bürgermeister B allein aus diesem Grund an, den Beschluss zu beanstanden.

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Einordnung des Falls

Beschränkung durch Aufsichtsmaßnahme und Rechtsschutz (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG) - "Weihnachtsmarkt III"

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Zoffenhausen hat das Recht und die Verbandszuständigkeit zur Veranstaltung einen Weihnachtsmarktes.

Ja, in der Tat!

Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG garantiert den Gemeinen einen Aufgabenbereich, der grundsätzlich alle „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ umfasst. In diesem Aufgabenbereich dürfen die Gemeinden ihre Geschäfte eigenverantwortlich regeln. Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben. Dies ist der Fall, wenn sie den Gemeindeeinwohnerinnen gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der politischen Gemeinde betreffen. Dies ist speziell bei einer besonderen sozialen, kulturellen oder traditionellen Prägung einer Angelegenheit für die Gemeindeeinwohner der Fall. Der Weihnachtsmarkt ist eine Angelegenheit, die Tradition hat und einen sozialen Begegnungsraum für die Gemeinde schafft. Hier treffen die Einwohnerinnen auf vertraute und geschätzte kulturelle Angebote.
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2. Beeinträchtigungen der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, die nicht durch ein Gesetz erfolgen, sind wegen Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verfassungswidrig.

Nein!

Auch Beeinträchtigungen aufgrund eines Gesetzes (nicht: durch ein Gesetz) können verfassungsgemäß sein. Sie bedürfen jedoch einer besonderen verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, insbesondere eines Rechtfertigungsgrundes. Zulässig ist es, wenn das Land den Gemeinden inhaltliche Vorgaben zu Erledigung örtlicher Angelegenheiten macht, um eine ordnungsgemäße Erledigung dieser Aufgaben sicherzustellen.

3. Landrätin L darf Zoffenhausen grundsätzlich Vorgaben über die Regelung örtlicher Angelegenheiten machen.

Genau, so ist das!

Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gewährleistet die kommunale Selbstverwaltungsgarantie nur „im Rahmen der Gesetze“. Die staatliche Aufsicht über die Kommunen ist in NRW (wie in allen Ländern) gesetzlich vorgesehen (§ 119 GO NRW-§ 128 GO NRW). Die allgemeine Aufsicht über die kreisangehörigen Gemeinden führt der Landrat (§ 120 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GO NRW). L hat Bürgermeister B angewiesen, den Beschluss des Gemeinderats zu beanstanden. Diese Maßnahme ist gesetzlich ausdrücklich vorgesehen (§ 122 Abs. 1 S. 1 GO NRW).

4. Die Beeinträchtigung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG) Zoffenhausens durch die Anweisung der L ist gerechtfertigt.

Nein, das trifft nicht zu!

Sämtliche Akte öffentlicher Gewalt, die Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG beeinträchtigen, bedürfen insbesondere einer besonderen verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, also eines Rechtfertigungsgrundes. L verbietet Zoffenhausen, einen Weihnachtsmarkt auszurichten. Allein der Umstand, dass Nörgeldorf bereits einen Weihnachtsmarkt ausrichtet, rechtfertigt die Beeinträchtigung von Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG noch nicht. Dahinstehen kann daher, ob das Verbot einen Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) darstellt.

5. Kann Zoffenhausen unter Berufung auf Art. 78 Abs. 1 S. 1 LV NRW vor dem LVerfG Rechtsschutz gegen die Anweisung der L suchen?

Nein!

Das LVerfG entscheidet über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden („Kommunalverfassungsbeschwerden“), die mit der Behauptung erhoben werden können, dass Landesrecht das Recht auf Selbstverwaltung (Art. 78 Abs. 1 S. 1 LV NRW ) verletze (Art. 75 Nr. 5b LV NRW; § 12 Nr. 8 VerfGHG NRW; § 52 VerfGHG NRW). Landesrecht meint alle materiellen Gesetze des Landes, also insbesondere Parlamentsgesetze, Rechtsverordnungen oder Satzungen. Die Anweisung der L ist kein materielles Gesetz und mithin kein Landesrecht. Dabei handelt es sich also um keinen tauglichen Beschwerdegegenstand. Die Kommunalverfassungsbeschwerde vor BVerfG und VerfGH sind primär als Normenkontrollverfahren ausgestaltet. Sie bieten nur Rechtsschutz gegen Beeinträchtigungen der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, die durch materielle Gesetzen erfolgen.

6. Kann Zoffenhausen unter Berufung auf Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG vor dem BVerfG Rechtsschutz gegen die Anweisung der L suchen?

Nein, das ist nicht der Fall!

Das BVerfG entscheidet über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden („Kommunalverfassungsbeschwerden“, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b Hs. 1 GG; §§ 13 Nr. 8a; 91 S. 1 BVerfGG) wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG). Beschwerdegegenstand der Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem BVerfG (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG; §§ 13 Nr. 8a; 91 S. 1 BVerfGG) kann nur ein Gesetz sein (Rechtssatzverfassungsbeschwerde). Beschwerdegegenstand ist hier die Anweisung der L und somit kein Gesetz. Obendrein wäre die Zuständigkeit des BVerfG im Falle eines Gesetzes nur subsidiär zu jener des VerfGH (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b Hs. 2 GG; §§ 13 Nr. 8a; 91 S. 2 BVerfGG).

7. Kann Zoffenhausen unter Berufung auf die kommunale Selbstverwaltungsgarantie Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten gegen die Anweisung der L suchen?

Nein, das trifft nicht zu!

Es besteht keine Klagemöglichkeit gegen die Anweisung. Eine Anfechtungsklage scheitert an der fehlenden Außenwirkung der Anweisung. Eine auf Rückgängigmachung der Anweisung gerichtete Leistungsklage wäre unzulässig, da die Anweisung rein innerstaatlich wirkt und (noch) keine subjektiven Rechte der Gemeinde verletzen kann (analog § 42 Abs. 2 VwGO).

8. Könnte Zoffenhausen unter Berufung auf die kommunale Selbstverwaltungsgarantie Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten gegen die Beanstandung durch B suchen?

Ja!

Statthafte Klageart ist die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO). Die vom Bürgermeister ausgesprochene Beanstandung ist ein Verwaltungsakt, welcher der Aufsichtsbehörde zuzurechnen ist. Weil B im Wege der Organleihe für den Kreis tätig wird, ist die Beanstandung der staatlichen Aufsichtsbehörde zuzurechnen und entfaltet mithin gegenüber der Gemeinde Außenwirkung. Der Regelungscharakter ergibt sich aus der aufschiebenden Wirkung für die Wirksamkeit des Ratsbeschlusses. Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie ist ein subjektives Recht im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO. Vor dem VG kann sich Zoffenhausen sowohl auf Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG als auch auf die kommunale Selbstverwaltungsgarantie der Landesverfassung berufen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

kokapidis

kokapidis

22.10.2023, 12:51:45

Wenn man eine Zulässigkeit prüfen würde, käme als

statthafte Klageart

eine Feststellungklage in Betracht, weil die Anweisung zu Beanstandung keine Regelungswirkung entfaltet und mithin kein Verwaltungsakt ist. Zudem wird auch kein hoheitliches Unterlassen oder Handeln begehrt, weshalb keine

Leistungsklage

einschlägig ist. Dann müsste die Gemeinde klagebefugt sein, § 42 II VwGO analog. Das Vorliegen der Analogievoraussetzungen kann dahinstehen, wenn die Gemeinde klagebefugt ist. Das ist der Fall, wenn die Möglichkeit der Rechtsverletzung besteht. Die Anweisung zur Beanstandung ist jedoch lediglich der Zwischenschritt vor der tatsächlichen Beanstandung und hat zudem keinerlei verbindliche Folge für die Gemeinde. Mithin besteht keine Möglichkeit der Rechtsverletzung. Nun müsste man noch kurz ablehnen, dass die Analogie von § 42 II VwGO iRd

Feststellungsklage

entbehrlich ist. Insgesamt ist die Klage dann aber unzulässig. Stimmt das soweit?

JOA

Joana

27.3.2024, 19:41:43

Ich habe gelesen, dass die Gemeinde gegen Maßnahmen der allgemeinen Aufsicht (Rechtsaufsicht) im Wege der Anfechtungsklage gegen die Maßnahme vorgehen kann. Die Maßnahme habe Außenwirkung, weil die Gemeinde in ihrem Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 II 1 GG und Art. 78 LV NRW betroffen ist. Demzufolge könnte die Gemeinde ja bereits durch Erhebung der Anfechtungsklage gegen die Weisung der Landrätin vorgehen und müsste nicht auf die Beanstandung durch den Bürgermeister warten und dann gegen diese vorgehen.

JOA

Joana

28.3.2024, 13:51:28

Hallo ich nochmal: 1. Ich habe übersehen, dass die Anweisung der Aufsichts

behörde

an den Bürgermeister den Ratsbeschluss zu beanstanden keine Außenwirkung hat, weil der Bürgermeister hierdurch im Wege der Organ

leihe

für die Aufsichts

behörde

tätig wird. Mangels Außenwirkung liegt natürlich auch kein VA vor gegen den sich die Gemeinde w

ehre

n kann. 2. Jetzt habe ich gelesen, dass die infolge der Weisung erfolgte Beanstandung durch den Bürgermeister (und die Anweisung selbst) gem. § 44a VwGO nicht angreifbar ist, da diese nur eine unselbstständige Vorbereitungshandlung darstellt. 3. Im Ergebnis führt das dazu, dass die Gemeinde nur gegen die Aufhebung (§ 122 I 2 GO NRW) im Wege der Anfechtungsklage klagen kann.

VALA

Vanilla Latte

30.7.2024, 03:33:45

So kenne ich das auch..Dass die Beanstandung nur eine Selbstkontrolle auslösen soll und daher nicht angreifbar ist. Allg RSB (-). Erst die Ablehnungsverfügung ist angreifbar. Stimmr das, ihr lieben Füchse? @[Jurafuchs ](51195)

LI

lisa1345

5.6.2024, 13:26:00

was wäre die Streitenentscheidende Norm für die Beanstandung durch den Bürgermeister? ist es §41 III GO NRW?

AS

as.mzkw

21.8.2024, 20:33:00

§ 122 I GO NRW oder?


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