Strafrecht
Strafrecht Allgemeiner Teil
Rechtfertigungsgründe
Klimaprotest: Festkleben auf der Straße und Verteidigung der Autofahrer
Klimaprotest: Festkleben auf der Straße und Verteidigung der Autofahrer
14. Februar 2025
15 Kommentare
4,8 ★ (63.859 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Aktivistin A und zwei Mitstreiter kleben als Protest für mehr Klimaschutz ihre Hände mit Sekundenkleber auf die Fahrbahn einer Straße. Autofahrer T kommt zuerst zum Halten. T befürchtet, durch die Blockade die Sportschau zu verpassen. Deswegen reißt er A von der Straße. A erleidet starke Verletzungen der Handinnenflächen.
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Einordnung des Falls
Klimaprotest: Festkleben auf der Straße und Verteidigung der Autofahrer
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Indem T As festgeklebte Hände gewaltsam von der Fahrbahn riss, hat er den Tatbestand der Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB verwirklicht.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Ts Handeln wäre allerdings gerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen der Notwehr vorlagen (§ 32 StGB).
Ja, in der Tat!
3. Da die Straßenblockade gegenüber T als Fahrer der ersten Reihe keine Nötigung darstellt, fehlt es bereits an einem Angriff.
Nein!
4. Da das Angriffsverhalten bereits mit dem Festkleben abgeschlossen ist, fehlt es nach hM an einem „gegenwärtigen“ Angriff.
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Damit eine Notwehrlage besteht, müsste der Angriff auch rechtswidrig gewesen sein.
Ja, in der Tat!
6. Eine „friedliche“ Versammlung und damit die Eröffnung des Schutzbereiches scheidet aus, da A psychischen Zwang auf T ausübt (Art. 8 Abs. 1 GG).
Nein!
7. Ob As Angriff auf Ts allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) als rechtswidrig zu bewerten ist, ist folglich unter Abwägung der beiden Grundrechtspositionen (praktische Konkordanz) zu ermitteln.
Genau, so ist das!
8. Ist As gewaltsames Entfernen geeignet, den Angriff zu beenden?
Ja, in der Tat!
9. Sofern Polizisten mit Lösungsmitteln zur Stelle sind, ist das gewaltsame Entfernen der Demonstranten nicht erforderlich.
Ja!
10. Sofern man Ts Handeln als erforderlich einstuft, liegt aber ein krasses Missverhältnis zwischen beeinträchtigtem Rechtsgut und Verteidigungshandeln vor, sodass es an der Gebotenheit der Verteidigung fehlt.
Nein, das ist nicht der Fall!
11. Sofern die Rechtfertigung über die Notwehr dagegen ausscheidet (fehlende Notwehrlage/fehlende Erforderlichkeit...), ist auf Ebene der Schuld noch ein Verbotsirrtum zu prüfen (§ 17 StGB).
Ja, in der Tat!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
GingerCharme
23.6.2023, 14:51:10
Finde das "neue Layout" sehr ansprechend, gerade mit der Aufzählung der Argumente zu beiden Positionen. Beide Seiten lassen sich definitiv rechtlich gesehen hören und werten, aber egal wie man zu der Thematik eingestellt ist - Hände gewaltsam vom Boden zu reißen, macht hoffentlich nicht die Runde 🙈

Nora Mommsen
26.6.2023, 11:21:18
Hallo GingerCharme, danke für dein Feedback! Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

DeliktusMaximus
17.7.2023, 17:06:00
Vielen Dank für den schön ausgearbeiten Fall! Ist denn nach der Berichterstattung, die (teilweise) ein pauschales Notwehrrecht bezüglich der Straßenblockaden in den Raum stellt, nicht die Annahme eines
Verbotsirrtums geboten?

Nora Mommsen
28.1.2024, 15:15:22
Hallo DeliktusMaximus, danke für deine Rückmeldung. Wie auch im Fall erwähnt, wurde die Debatte ja von Anfang an recht hitzig geführt. Eine Berufung auf die Berichterstattung dürfte daher nicht ausreichend sein - denn in jedem Fall dürfte kaum an einem vorbeigegangen sein, dass es noch keine ausgemachte Sache ist, sondern vielmehr eine hitzige gesamtgesellschaftliche Debatte. Von einem
Verbotsirrtumdurfte daher wohl von Anfang an diesbezüglich nicht auszugehen gewesen sein. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
RealOmnimodo 🇺🇦
27.1.2024, 11:01:04
Mir scheint hier die (in Frage stehende) Notwehrhandlung in einem krassen Missverhältnis zum angegriffenem Rechtsgut zu stehen. Er fügt ihm Schmerzen zu, weil er die Sportschau schauen will? Spätestens bei der
Gebotenheitwäre für mich die Prüfung beendet gewesen. Von der Beschränkung der Fallgruppe der Bagatellangriff auf Abwehrhandlungen, die zum Tod des Angreifers führen, finde ich bei Fischer nichts. (§ 32 Rn. 39)

Nora Mommsen
28.1.2024, 15:08:55
Hallo RealOmnimodo, grundsätzlich unterliegt die Notwehr als "schärfstes Schwert der
Verteidigung" keinen Einschränkungen. Der Angegriffene muss sich nicht auf mildere Mittel verweisen lassen. Einschränkungen finden - wie von dir richtig angebracht im Rahmen der
GebotenheitEingang ins Notwehrrecht. Dazu sind von der Rechtsprechung verschiedene Fallgruppen entwickelt worden. Vom Angriff
Schuldloser, über Bagatellangriffe und dem krassen Missverhältnis sowie noch der ein oder anderen, sind einige Konstellationen abgedeckt. Die Literatur ist sich - wenn sie auch dem Grunde nach einig ist, dass es gewisser Einschränkungen bedarf, zum Teil uneins an welcher Stelle diese zu verorten sind. So sind für manche Bagatellangriffe schon bei dem Merkmal Angriff auszusortieren, da eben zu geringfügig. Die Fallgruppen werden nicht immer einheitlich gebildet und betitelt, erfassen aber gemeinhin alle dieselben Fallgruppen, die in der Rechtsprechung zu finden sind. Zur Fallgruppe des Missverhältnisses stellvertretend für viele (BeckOK StGB/Momsen/Savic, 59. Ed. 1.11.2023, StGB § 32 Rn. 35), der dazu ausführt: "Einschränkungen ergeben sich bei gerade zu "unerträglichem“ Missverhältnis zwischen Art und Umfang der aus dem Angriff drohenden Verletzung und der aus der
Verteidigungshandlung drohenden Beeinträchtigung." (dazu auch BGH NStZ 2011, 630 (631) m. Bspr. Hecker JuS 2012, 465). Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
QuiGonTim
29.10.2024, 05:57:35
Inwiefern sind hier Verstöße gegen das Versammlungsrecht, vor allem gegen die Anmeldepflicht, in die Beantwortung der Frage nach der
Rechtswidrigkeit miteinzubeziehen?