Scheinangriff/ objektive Bestimmung des Angriffs - Erlaubnistatbestandsirrtum


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Klassisches Klausurproblem

O streckt seine Arme aus, um T zu umarmen. T deutet Os Bewegung fälschlicherweise als Angriff und schlägt O zu Boden.

Einordnung des Falls

Scheinangriff/ objektive Bestimmung des Angriffs - Erlaubnistatbestandsirrtum

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat den Tatbestand einer Körperverletzung (§ 223 I StGB) erfüllt, indem er O zu Boden schlug.

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Ja, in der Tat!

Der Tatbestand der Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) setzt in Form einer körperlichen Misshandlung eine üble und unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt wird voraus. Dabei muss er Vorsatz (§ 16 Abs. 1 StGB) bezüglich aller objektiven Merkmale gehabt haben.Ts Schlag ist nicht hinwegzudenken, ohne, dass Os Sturz entfiele (Kausalität). T ist die körperliche Misshandlung auch objektiv zurechenbar. Indem T den O wissentlich und willentlich geschlagen hat, hat er eine körperliche Misshandlung des O mindestens billigend in Kauf genommen (Vorsatz)

2. T handelte in Notwehr (§ 32 StGB). Seine Körperverletzung gegen O ist gerechtfertigt.

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Nein!

Eine Notwehrlage setzt einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff durch einen Menschen voraus. Ein Angriff ist jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung rechtlich geschützter Güter oder Interessen. Entscheidend für die Beurteilung eines Angriffs sind allein die objektiven Umstände. Diese sind aus Sicht eines neutralen Beobachters nachträglich (ex post) zu ermitteln.Rückblickend waren durch die bevorstehende Umarmung des O objektiv keine Rechtsgüter des T bedroht. T hat sich den Angriff nur vorgestellt (sog. Putativnotwehrlage).

3. Ist die Rechtsfolge eines Irrtums über die tatsächlichen Umstände eines Rechtfertigungsgrundes in §§ 16, 17 StGB explizit geregelt?

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Nein!

§ 16 regelt den Tatumstandsirrtum, bei dem der Täter einen Tatumstand seines objektiven Tatbestands nicht kennt. § 17 regelt im Bereich der Rechtfertigungsgründe nur den „Erlaubnisirrtum“, bei dem der Täter zu seinen Gunsten einen Rechtfertigungsgrund annimmt, den die Rechtsordnung ihm so nicht gewährt.Über die Merkmale des objektiven Tatbestandes der Körperverletzung (andere Person, körperliche Misshandlung, Gesundheitsschädigung) irrt sich T nicht (=kein Tatumstandsirrtum, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB). Die Rechtsordnung gewährt bei der vorgestellten Notwehrlage auch die Verteidigung in dem Umfang, den T beansprucht hat (=kein Erlaubnisirrtum, 17 StGB). Da eine ausdrückliche Regelung im StGB fehlt, ist umstritten, welche Rechtsfolge der Erlaubnistatbestandsirrtum nach sich zieht. Mehr dazu im Kapitel Erlaubnistatbestandsirrtum-Rechtsfolge.

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