Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Rechtfertigungsgründe

Scheinangriff/ objektive Bestimmung des Angriffs - Erlaubnistatbestandsirrtum

Scheinangriff/ objektive Bestimmung des Angriffs - Erlaubnistatbestandsirrtum

8. April 2025

20 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

O streckt seine Arme aus, um T zu umarmen. T deutet Os Bewegung fälschlicherweise als Angriff und schlägt O zu Boden.

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Einordnung des Falls

Scheinangriff/ objektive Bestimmung des Angriffs - Erlaubnistatbestandsirrtum

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat den Tatbestand einer Körperverletzung (§ 223 I StGB) erfüllt, indem er O zu Boden schlug.

Ja, in der Tat!

Der Tatbestand der Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) setzt in Form einer körperlichen Misshandlung eine üble und unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt wird voraus. Dabei muss er Vorsatz (§ 16 Abs. 1 StGB) bezüglich aller objektiven Merkmale gehabt haben.Ts Schlag ist nicht hinwegzudenken, ohne, dass Os Sturz entfiele (Kausalität). T ist die körperliche Misshandlung auch objektiv zurechenbar. Indem T den O wissentlich und willentlich geschlagen hat, hat er eine körperliche Misshandlung des O mindestens billigend in Kauf genommen (Vorsatz)
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2. T handelte in Notwehr (§ 32 StGB). Seine Körperverletzung gegen O ist gerechtfertigt.

Nein!

Eine Notwehrlage setzt einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff durch einen Menschen voraus. Ein Angriff ist jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung rechtlich geschützter Güter oder Interessen. Entscheidend für die Beurteilung eines Angriffs sind allein die objektiven Umstände. Diese sind aus Sicht eines neutralen Beobachters nachträglich (ex post) zu ermitteln.Rückblickend waren durch die bevorstehende Umarmung des O objektiv keine Rechtsgüter des T bedroht. T hat sich den Angriff nur vorgestellt (sog. Putativnotwehrlage).

3. Ist die Rechtsfolge eines Irrtums über die tatsächlichen Umstände eines Rechtfertigungsgrundes in §§ 16, 17 StGB explizit geregelt?

Nein!

§ 16 regelt den Tatumstandsirrtum, bei dem der Täter einen Tatumstand seines objektiven Tatbestands nicht kennt. § 17 regelt im Bereich der Rechtfertigungsgründe nur den „Erlaubnisirrtum“, bei dem der Täter zu seinen Gunsten einen Rechtfertigungsgrund annimmt, den die Rechtsordnung ihm so nicht gewährt.Über die Merkmale des objektiven Tatbestandes der Körperverletzung (andere Person, körperliche Misshandlung, Gesundheitsschädigung) irrt sich T nicht (=kein Tatumstandsirrtum, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB). Die Rechtsordnung gewährt bei der vorgestellten Notwehrlage auch die Verteidigung in dem Umfang, den T beansprucht hat (=kein Erlaubnisirrtum, 17 StGB). Da eine ausdrückliche Regelung im StGB fehlt, ist umstritten, welche Rechtsfolge der Erlaubnistatbestandsirrtum nach sich zieht. Mehr dazu im Kapitel Erlaubnistatbestandsirrtum-Rechtsfolge.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Z

z

27.7.2020, 23:02:02

Hat T sich denn nun strafbar gemacht? Könnte man hier sagen, dass T die Grenzen der

Notwehr

aus Verwirrung überschritten hat (§ 33 StGB) oder muss für eine Grenzüberschreitung erstmal

Notwehr

geboten sein und lediglich die Intensität usw. dürfte überschritten werden?

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

28.7.2020, 10:09:08

Hallo, danke für deine Frage. § 33 StGB umfasst nach h.M. nur den sogenannten intensiven

Notwehr

exzess, also bei gegenwärtiger

Notwehr

lage das überschreiten der erforderlichen

Notwehrhandlung

. Hier irrt der Täter über das bestehen einer

Notwehr

lage. Demnach liegt hier ein sogenannter

Erlaubnistatbestandsirrtum

vor. Der Täter denkt, er sei in einer

Notwehr

lage in der seine

Notwehrhandlung

gerechtfertigt wäre. Nach der herrschenden

Vorsatzunrecht

sauschließenden eingeschränkten Schuldtheorie entfällt analog § 16 I StGB die Strafbarkeit wegen des vorsätzlichen Delikts (SEHR STRITTIG!). Der Täter könnte sich danach nur noch wegen fahrlässiger Körperverletzung,

§ 229 StGB

strafbar machen.

Z

z

5.8.2020, 23:11:20

Danke

CLAUD

Claudia

29.10.2021, 10:38:51

Könnt ihr bitte noch einen Abschnitt zum

ETBI

, gerne auch zum Erlaubnisgrundirrtum und Erlaubnisgrenzirrtum hinzufügen?

Alfonso_Nitti

Alfonso_Nitti

28.5.2024, 20:11:59

§ 17 regelt im Bereich der Rechtfertigungsgründe nur den „

Erlaubnisirrtum

“, bei dem der Täter zu seinen Gunsten einen Rechtfertigungsgrund annimmt, den die Rechtsordnung ihm so nicht gewährt. Heißt: Der Täter handelt schuldlos, sofern er bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, nicht hat, weil er aus irgendeinem Grund den Irrtum nicht vermeiden konnte?

LUC1502

luc1502

6.6.2024, 13:18:41

Hi Alfonso_Nitti, richtig! Aber man muss dann bei dem §17 StGb die hohen Hürden der

Vermeidbarkeit

beachten.

PD

probatio diabolica

12.6.2024, 16:40:43

Ich finde es nicht gut, dass ihr den

ETBI

unter den Reiter “Rechtfertigungsgründe“ anführt. Es liegt objektiv doch gerade kein Rechtfertigungsgrund vor; folgt man (nach h.M.) der rechtsfolgenverweisenden Variante der eingeschränkten Schuldtheorie ist doch gerade

Rechtswidrigkeit

(+) und der Prüfungspunkt

Erlaubnistatbestandsirrtum

muss (!) in der Schuld geprüft werden. Natürlich irrt der Täter auf

Rechtswidrigkeit

sebene, aber gerade deshalb sollte hier besonders aufgepasst werden (zumal ihr die anderen Themen in den jeweiligen „Prüfungspunkten“ verortet).

LEAB

Lea B

24.2.2025, 21:00:29

Man könnte den Punkt auch zwischen Rechtfertigung und Schuld prüfen, um nicht den Streig vorweg zu nehmen. Anzusprechen ist der Irrtum aber das erste Mal in der Rechtfertigung, denn die wird ja mit Hinweis darauf abgelehnt.


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