Angriff auf Eigentum

22. November 2024

4,6(69.910 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A überfällt Juwelier J. Er steckt teure Uhren ein und flieht. J rennt A mit einem Revolver hinterher und gibt aus größerer Entfernung einen Schuss auf A ab. Ein gezielter Schuss ist J nicht möglich und er nimmt eine tödliche Verletzung des A in Kauf. Am Kopf getroffen, stirbt A.

Diesen Fall lösen 95,4 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Angriff auf Eigentum

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. J hat den objektiven Tatbestand des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) verwirklicht.

Ja!

Der objektive Tatbestand umfasst beim vollendeten vorsätzlichen Begehungsdelikt den Eintritt, die Verursachung und die objektive Zurechnung des tatbestandlichen Erfolgs.J's Schuss ist nicht hinwegzudenken, ohne dass A's Tod (Erfolg § 212 StGB) entfiele (Kausalität). Das Abfeuern von tödlichen Schüssen auf Menschen ist ein von der Rechtsordnung missbilligtes Handeln. Die dadurch geschaffene Gefahr hat sich im Tod des J realisiert (Zurechnung).
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. J hat A vorsätzlich getötet. J hat den subjektiven Tatbestand des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) verwirklicht.

Genau, so ist das!

Der Täter hat bedingten Vorsatz, wenn er sich mit dem als möglich erkannten Erfolg abfindet (Ernstnahmetheorie der hL) bzw. den als möglich erkannten Erfolg billigend in Kauf nimmt.J erkennt, dass mangels eines gezielten Schusses A tödlich getroffen werden könnte. Dennoch findet er sich mit dieser Möglichkeit ab und schießt.

3. J müsste auch rechtswidrig gehandelt haben. Das ist der Fall, wenn sein Verhalten nicht durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist.

Ja, in der Tat!

Eine Handlung ist rechtswidrig, wenn sie den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht und nicht durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist. Bei der Anerkennung von Rechtfertigungsgründen geht es um die Frage, ob von dem generellen Verbot (im Fall des § 212 Abs. 1 StGB: „Du sollst nicht töten.“) unter den in Rechtfertigungsgründen näher umschriebenen konkreten Voraussetzungen im Einzelfall Ausnahmen gemacht werden. Mit den Rechtfertigungsgründen stehen den Straftatbeständen somit Erlaubnistatbestände gegenüber, die das rechtsgutsverletzende, tatbestandliche Verhalten ausnahmsweise gestatten.

4. Gerechtfertigt handelt, wer eine durch Notwehr gebotene Tat begeht. Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden (§ 32 StGB).

Ja!

Der Rechtfertigungsgrund der Notwehr setzt (1) einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff (Notwehrlage) sowie (2) eine erforderliche gebotene Verteidigungshandlung (Notwehrhandlung), die (3) von einem Verteidigungswillen gedeckt ist, voraus. Das Notwehrrecht dient dem Interesse des Einzelnen an einem effektiven Rechtsgüterschutz und verfolgt zudem generalpräventive Zwecke: Jeder erfolgreich abgewehrte Angriff zeigt, dass die Rechtsordnung nicht risikolos verletzt werden kann.

5. A hat das Eigentum des J angegriffen (§ 32 StGB).

Genau, so ist das!

Die Notwehrlage wird durch einen (1) gegenwärtigen, (2) rechtswidrigen (3) Angriff begründet. Ein Angriff ist jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung rechtlich geschützter Güter oder Interessen. Notwehrfähig ist jedes dem Angegriffenen oder Dritten zustehende Gut und rechtlich anerkannte Interesse. Gegenstand eines Angriffs kann z.B. sein: Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Ehre, Eigentum, Vermögen, das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht am eigenen Bild.Darin, dass A sich mit den Uhren des J auf die Flucht begeben hat, liegt eine durch menschliches Verhalten drohende Verletzung des Eigentums des J.

6. Der Angriff des A auf das Eigentum des J war gegenwärtig.

Ja, in der Tat!

Die Notwehrlage wird durch einen (1) gegenwärtigen, (2) rechtswidrigen (3) Angriff begründet. Gegenwärtig ist ein Angriff, der unmittelbar bevorsteht, begonnen hat oder noch andauert. Erst wenn der Angriff vollständig abgewehrt oder bereits ein endgültiger Verlust des Rechtsguts eingetreten ist, scheidet Notwehr aus. Beim Diebstahl dauert der Angriff so lange an, bis der Täter die Beute gesichert hat.Im Zeitpunkt der Schussabgabe war A mit den Uhren auf der Flucht, aber noch in Schussweite des J. A hatte die Uhren noch nicht gesichert.

7. Der Angriff war rechtswidrig.

Ja!

Die Notwehrlage wird durch einen (1) gegenwärtigen, (2) rechtswidrigen (3) Angriff begründet. Rechtswidrig ist der Angriff, wenn er objektiv im Widerspruch zur Rechtsordnung steht. Einen Straftatbestand muss das Angriffsverhalten aber nicht erfüllen. An der Rechtswidrigkeit fehlt es, wenn der Angriff seinerseits durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist.Der Angriff auf das Eigentum des J steht objektiv im Widerspruch zur Rechtsordnung und erfüllt sogar einen Straftatbestand (Diebstahl, § 242 StGB). Eine Notwehrlage ist folglich gegeben.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Vanessa io

Vanessa io

5.1.2020, 12:30:29

Wäre hier nicht auch ein Wort zum krassen Missverhältnis zwischen den beteiligten

Rechtsgüter

n zu verlieren, was zurecht abgelehnt werden kann, aufgrund des erheblichen Angriffs auf einen Juwelier, weil hier teure Uhren gestohlen werden?

EN

Enni

22.1.2020, 11:20:27

Das krasse Missverhältnis der Wertigkeit der

Rechtsgüter

ist erst in der Gebotenheit der Notwehrhandlung zu prüfen. Vorliegend geht es lediglich um die Notwehrlage.

LO

Lorenz

12.10.2024, 13:15:24

Krasses Missverhältnis gibt es nur ganz ganz selten. Kinder im Kirschbaum zB. Aber sonst besser nie annehmen. Notwehr ist ein scharfes Schwert.

EDA

Eda

18.4.2020, 18:45:28

Ist rechtswidrig nicht der 2. Punkt?

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

19.4.2020, 23:42:44

Eda, danke für die Anmerkung! Kannst Du noch genauer sagen, was Du meinst?

EDA

Eda

20.4.2020, 08:20:39

Ich glaube die Tatbestände in der vorletzten Lösung sind in der falschen reihenfolge

MAS

MasterK

3.6.2020, 11:31:14

Es ist egal, ob man Rechtswidrigkeit vor oder nach gegenwärtigkeit oder Angriff prüft. Ein solches Aufbau ist nicht vorgeschrieben und das wäre auch sinnlos

Amelie

Amelie

11.6.2020, 08:42:31

Gegenwärtigkeit Könnte man bei diesem Fall nicht auch eigentlich sagen, dass der Angriff nicht mehr gegenwärtig ist weil A sich schon sehr entfernt hat und geflohen ist? Ich meine ich hätte mal einen Fall gesehen, wo ein älterer Mann am Fenster steht und den fliehenden Dieb sieht und da eher die Polizei verständigen sollte als selber Notwehr auszuüben, da der Dieb nicht mehr im Haus war und der Angriff mit dem Fliehen vorbei war. Liege ich hier total falsch, oder wann ist ein Angriff üblicherweise beim Fliehen nicht mehr gegenwärtig?

Fräulein Cowds

Fräulein Cowds

11.6.2020, 13:17:07

Das kann man hier leider nicht m.E. nicht annehmen. Der Sachverhalt ist so formuliert, dass es sich um zeitlich kurz aufeinanderfolgende Handlungen handelt. Die weggelaufenden Meter sind bei der Frage der Gegenwärtigkeit nicht erheblich. Der Angriff auf des Eigentum des J dauerte noch an und war damit gegenwärtig. Der von A begangene Diebstahl ist erst mit der endgültigen Beutesicherung beendet - Vielleicht für dein Vorstellungsbild, dass sich A so weit entfernt hat, dass er unter keinen denkbaren Umständen mehr von A getroffen werden kann. Unter Umständen hat sein Fall etwas mit der Verhältnismäßigkeit zu tun, dass aus diesem Gerund das notwehrrecht des älteren Herren versagt wurde.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

18.6.2020, 12:17:16

@Amelie, danke für die Frage! Kannst Du den Fall, den Du im Kopf hast, ausfindig machen (Lehrbuch / Rechtsprechung)? @Fräulin Cowds, danke für die Ausführungen. Sehen wir auch so: Erst wenn der Angriff vollständig abgewehrt ist, scheidet Notwehr aus. Der Angriff des A auf das Eigentum des J dauert so lange an, wie der fliehende A die Uhren bei sich trägt. Erst wenn A die Beute gesichert hat, ist der Angriff beendet.

SHE

Shermy25

18.7.2020, 07:54:47

@Fräulein Cowds Stimme dir zu, allerdings wäre ich mit dem Wort "Verhältnismäßigkeit" bei der Notwehr sehr vorsichtig, da ja gerade keine Verhältnismäßigkeitsprüfung stattfindet.

Fräulein Cowds

Fräulein Cowds

18.7.2020, 07:59:49

@shermy25 das stimmt ... es ist eher ein Punkt der Geeignetheit oder Gebotenheit der Angriffshandlung. Habe den falschen Fachausdruck genommen ;-) danke für den Hinweis!!

BBE

bibu knows best

21.6.2022, 13:31:13

In dem Juwelier hier in meinem Stadtteil so tatsächlich geschehen, nur verwendete der betagte Juwelier einen Baseball Schläger und der Täter überlebte äußerst schwer verletzt mit ein Schädelbasis Bruch

Kephan Steck

Kephan Steck

28.3.2023, 18:07:01

Muss bei Prüfung einer Notwehrhandlung, das verwendete Hilfsmittel (erlaubnispflichtige Schusswaffe) nicht berücksichtigt werden? Sprich, sofern der Juwelier die Waffe unrechtmäßig besitzt, ändert dies etwas an der

Rechtmäßigkeit

der Notwehrhandlung? Auch im Hinblick auf das mutmaßlich versicherte Diebesgut, dass einen Sachwert hat, im Vergleich auf die körperliche Unversehrtheit des Diebes. Ohne der Waffe hätte er sich ja derart nicht verteidigen können und der Täter wäre zur Sicherung der Tatbeute über "alle Berge" gewesen.

JCF

JCF

2.5.2023, 13:31:20

Ob J die Waffe rechtmäßig besaß, ist hier irrelevant. Man darf im Rahmen der Notwehr grundsätzlich alle Mittel verwenden, die man zur Verfügung hat. Eine Abwägung (Leben gegen Schmuck) findet bei § 32 (anders als bei § 34) gerade nicht statt. Nur bei einem krassen Missverhältnis wird teilweise die Gebotenheit der Notwehrhandlung verneint. Lehrbuchbeispiel ist das Kind, das erschossen wird, weil es einen Apfel klauen wollte.

Shark

Shark

30.9.2024, 13:20:15

Das Verhältnis zwischen den

Rechtsgüter

n kannst du im Rahmen der „Gebotenheit“ ansprechen, aber es ist keine Interessenabwägung vorzunehmen. Allein ein „krasses Missverhältnis“ oder ein „Bagatellangriff“ führen hier zur Ablehnung der Notwehr, daran sind aber sehr strenge Maßstäbe zu stellen.

Artimes

Artimes

15.12.2023, 10:01:02

In welchen Fällen kommen die unterschiedl. Ansichten zur Definition der Rechtswidrigkeit (kein Erfolgsunrecht bzw. kein Handlungsunrecht) zu unterschiedl. Ergebnissen?

Artimes

Artimes

5.11.2024, 02:08:35

Kann auch die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) taugliches Rechtsgut im Sinne eines Angriffes gem.

§ 32 StGB

sein?

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

5.11.2024, 13:01:36

Hallo @[Artimes](3106), danke für die Frage! Diese lässt sich – wie so oft – nicht einfach mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten. Grundsätzlich sind die notwehrfähigen Individualgüter nach dem Wortlaut des

§ 32 StGB

nicht auf bestimmte Güter beschränkt. Klassisch sind natürlich die

Rechtsgüter

Leib und Leben. Die allgemeine Handlungsfreiheit kann aber grds. als

Schutzgut

i.R.v.

§ 32 StGB

in Betracht kommen. Allerdings kann dies nicht vollumfänglich geschützt werden i.S.v.: „Ich kann tun und lassen, was ich will und sobald jemand diese Freiheit – in irgendeiner Weise – einschränkt, kann ich mich hiergegen nach

§ 32 StGB

gerechtfertigt w

ehre

n.“ Der Anspruch, in jeder Lebenslage Beliebiges tun zu können, ist von vornherein schon realitätsfern (siehe hierzu z.B. Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, 30.A. 2019, § 32 RdNr. 5a, beckonline). Allerdings ginge es ebenfalls zu weit, wenn man für die Annahme einer Notwehrlage nach

§ 32 StGB

verlangen würde, dass die Schwelle einer rechtswidrigen Nötigung i.S.d. § 240 StGB erreicht ist. Dies hätte nämlich z.B. zu Folge, dass dem Berechtigten, dem der Zugang zu einem Gebäude versperrt wird, kein Notwehrrecht zustünde. Die allgemeine Handlungsfreiheit muss daher insofern ein notwehrfähiges Rechtsgut sein, als es um den Schutz vor sozialinadäquaten Zwängen geht, die, obwohl keine Gewalt i.S.v. § 240 StGB gegeben ist, ähnlich wie diese wirken und im Verhältnis zu dem verfolgten Zweck unangemessen sind. Zur Erläuterung anhand eines konkreten Fallbeispiels siehe: Sickor, Die Notwehrfähigkeit einer Zutrittsverweigerung durch Türsteher, Jura 2008, 14. Für die Klausur kannst Du dir merken: Wenn die Schwelle des § 240 StGB erreicht ist, kannst Du einen rechtswidrigen, notwehrfähigen Angriff unproblematisch annehmen. Alles, was „unter“ dieser Schwelle liegt, sollte man sich genauer anschauen und hier entsprechend abwägen und argumentieren. Das Ergebnis dürfte in diesen Fällen weniger relevant sein, als dass man sich mit der Problematik auseinandersetzt. Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

AME

Amelie7

17.11.2024, 14:13:39

Wäre hier nicht sogar die Habgier erfüllt, so dass man statt Totschlag Mord anprüfen könnte?


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen