Angriff auf Eigentum
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A überfällt Juwelier J. Er steckt teure Uhren ein und flieht. J rennt A mit einem Revolver hinterher und gibt aus größerer Entfernung einen Schuss auf A ab. Ein gezielter Schuss ist J nicht möglich und er nimmt eine tödliche Verletzung des A in Kauf. Am Kopf getroffen, stirbt A.
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Einordnung des Falls
Angriff auf Eigentum
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. J hat den objektiven Tatbestand des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) verwirklicht.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. J hat A vorsätzlich getötet. J hat den subjektiven Tatbestand des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) verwirklicht.
Genau, so ist das!
3. J müsste auch rechtswidrig gehandelt haben. Das ist der Fall, wenn sein Verhalten nicht durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist.
Ja, in der Tat!
4. Gerechtfertigt handelt, wer eine durch Notwehr gebotene Tat begeht. Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden (§ 32 StGB).
Ja!
5. A hat das Eigentum des J angegriffen (§ 32 StGB).
Genau, so ist das!
6. Der Angriff des A auf das Eigentum des J war gegenwärtig.
Ja, in der Tat!
7. Der Angriff war rechtswidrig.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Vanessa io
5.1.2020, 12:30:29
Wäre hier nicht auch ein Wort zum krassen Missverhältnis zwischen den beteiligten
Rechtsgütern zu verlieren, was zurecht abgelehnt werden kann, aufgrund des erheblichen Angriffs auf einen Juwelier, weil hier teure Uhren gestohlen werden?
Enni
22.1.2020, 11:20:27
Das krasse Missverhältnis der Wertigkeit der
Rechtsgüterist erst in der Gebotenheit der Notwehrhandlung zu prüfen. Vorliegend geht es lediglich um die Notwehrlage.
Lorenz
12.10.2024, 13:15:24
Krasses Missverhältnis gibt es nur ganz ganz selten. Kinder im Kirschbaum zB. Aber sonst besser nie annehmen. Notwehr ist ein scharfes Schwert.
Eda
18.4.2020, 18:45:28
Ist rechtswidrig nicht der 2. Punkt?
Christian Leupold-Wendling
19.4.2020, 23:42:44
Eda, danke für die Anmerkung! Kannst Du noch genauer sagen, was Du meinst?
Eda
20.4.2020, 08:20:39
Ich glaube die Tatbestände in der vorletzten Lösung sind in der falschen reihenfolge
MasterK
3.6.2020, 11:31:14
Es ist egal, ob man Rechtswidrigkeit vor oder nach gegenwärtigkeit oder Angriff prüft. Ein solches Aufbau ist nicht vorgeschrieben und das wäre auch sinnlos
Amelie
11.6.2020, 08:42:31
Gegenwärtigkeit Könnte man bei diesem Fall nicht auch eigentlich sagen, dass der Angriff nicht mehr gegenwärtig ist weil A sich schon sehr entfernt hat und geflohen ist? Ich meine ich hätte mal einen Fall gesehen, wo ein älterer Mann am Fenster steht und den fliehenden Dieb sieht und da eher die Polizei verständigen sollte als selber Notwehr auszuüben, da der Dieb nicht mehr im Haus war und der Angriff mit dem Fliehen vorbei war. Liege ich hier total falsch, oder wann ist ein Angriff üblicherweise beim Fliehen nicht mehr gegenwärtig?
Fräulein Cowds
11.6.2020, 13:17:07
Das kann man hier leider nicht m.E. nicht annehmen. Der Sachverhalt ist so formuliert, dass es sich um zeitlich kurz aufeinanderfolgende Handlungen handelt. Die weggelaufenden Meter sind bei der Frage der Gegenwärtigkeit nicht erheblich. Der Angriff auf des Eigentum des J dauerte noch an und war damit gegenwärtig. Der von A begangene Diebstahl ist erst mit der endgültigen Beutesicherung beendet - Vielleicht für dein Vorstellungsbild, dass sich A so weit entfernt hat, dass er unter keinen denkbaren Umständen mehr von A getroffen werden kann. Unter Umständen hat sein Fall etwas mit der Verhältnismäßigkeit zu tun, dass aus diesem Gerund das notwehrrecht des älteren Herren versagt wurde.
Christian Leupold-Wendling
18.6.2020, 12:17:16
@Amelie, danke für die Frage! Kannst Du den Fall, den Du im Kopf hast, ausfindig machen (Lehrbuch / Rechtsprechung)? @Fräulin Cowds, danke für die Ausführungen. Sehen wir auch so: Erst wenn der Angriff vollständig abgewehrt ist, scheidet Notwehr aus. Der Angriff des A auf das Eigentum des J dauert so lange an, wie der fliehende A die Uhren bei sich trägt. Erst wenn A die Beute gesichert hat, ist der Angriff beendet.
Shermy25
18.7.2020, 07:54:47
@Fräulein Cowds Stimme dir zu, allerdings wäre ich mit dem Wort "Verhältnismäßigkeit" bei der Notwehr sehr vorsichtig, da ja gerade keine Verhältnismäßigkeitsprüfung stattfindet.
Fräulein Cowds
18.7.2020, 07:59:49
@shermy25 das stimmt ... es ist eher ein Punkt der Geeignetheit oder Gebotenheit der Angriffshandlung. Habe den falschen Fachausdruck genommen ;-) danke für den Hinweis!!
bibu knows best
21.6.2022, 13:31:13
In dem Juwelier hier in meinem Stadtteil so tatsächlich geschehen, nur verwendete der betagte Juwelier einen Baseball Schläger und der Täter überlebte äußerst schwer verletzt mit ein Schädelbasis Bruch
Kephan Steck
28.3.2023, 18:07:01
Muss bei Prüfung einer Notwehrhandlung, das verwendete Hilfsmittel (erlaubnispflichtige Schusswaffe) nicht berücksichtigt werden? Sprich, sofern der Juwelier die Waffe unrechtmäßig besitzt, ändert dies etwas an der
Rechtmäßigkeitder Notwehrhandlung? Auch im Hinblick auf das mutmaßlich versicherte Diebesgut, dass einen Sachwert hat, im Vergleich auf die körperliche Unversehrtheit des Diebes. Ohne der Waffe hätte er sich ja derart nicht verteidigen können und der Täter wäre zur Sicherung der Tatbeute über "alle Berge" gewesen.
JCF
2.5.2023, 13:31:20
Ob J die Waffe rechtmäßig besaß, ist hier irrelevant. Man darf im Rahmen der Notwehr grundsätzlich alle Mittel verwenden, die man zur Verfügung hat. Eine Abwägung (Leben gegen Schmuck) findet bei § 32 (anders als bei § 34) gerade nicht statt. Nur bei einem krassen Missverhältnis wird teilweise die Gebotenheit der Notwehrhandlung verneint. Lehrbuchbeispiel ist das Kind, das erschossen wird, weil es einen Apfel klauen wollte.
Shark
30.9.2024, 13:20:15
Das Verhältnis zwischen den
Rechtsgütern kannst du im Rahmen der „Gebotenheit“ ansprechen, aber es ist keine Interessenabwägung vorzunehmen. Allein ein „krasses Missverhältnis“ oder ein „Bagatellangriff“ führen hier zur Ablehnung der Notwehr, daran sind aber sehr strenge Maßstäbe zu stellen.
Artimes
15.12.2023, 10:01:02
In welchen Fällen kommen die unterschiedl. Ansichten zur Definition der Rechtswidrigkeit (kein Erfolgsunrecht bzw. kein Handlungsunrecht) zu unterschiedl. Ergebnissen?
Artimes
5.11.2024, 02:08:35
Kann auch die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) taugliches Rechtsgut im Sinne eines Angriffes gem.
§ 32 StGBsein?
Linne_Karlotta_
5.11.2024, 13:01:36
Hallo @[Artimes](3106), danke für die Frage! Diese lässt sich – wie so oft – nicht einfach mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten. Grundsätzlich sind die notwehrfähigen Individualgüter nach dem Wortlaut des
§ 32 StGBnicht auf bestimmte Güter beschränkt. Klassisch sind natürlich die
RechtsgüterLeib und Leben. Die allgemeine Handlungsfreiheit kann aber grds. als
Schutzguti.R.v.
§ 32 StGBin Betracht kommen. Allerdings kann dies nicht vollumfänglich geschützt werden i.S.v.: „Ich kann tun und lassen, was ich will und sobald jemand diese Freiheit – in irgendeiner Weise – einschränkt, kann ich mich hiergegen nach
§ 32 StGBgerechtfertigt w
ehren.“ Der Anspruch, in jeder Lebenslage Beliebiges tun zu können, ist von vornherein schon realitätsfern (siehe hierzu z.B. Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, 30.A. 2019, § 32 RdNr. 5a, beckonline). Allerdings ginge es ebenfalls zu weit, wenn man für die Annahme einer Notwehrlage nach
§ 32 StGBverlangen würde, dass die Schwelle einer rechtswidrigen Nötigung i.S.d. § 240 StGB erreicht ist. Dies hätte nämlich z.B. zu Folge, dass dem Berechtigten, dem der Zugang zu einem Gebäude versperrt wird, kein Notwehrrecht zustünde. Die allgemeine Handlungsfreiheit muss daher insofern ein notwehrfähiges Rechtsgut sein, als es um den Schutz vor sozialinadäquaten Zwängen geht, die, obwohl keine Gewalt i.S.v. § 240 StGB gegeben ist, ähnlich wie diese wirken und im Verhältnis zu dem verfolgten Zweck unangemessen sind. Zur Erläuterung anhand eines konkreten Fallbeispiels siehe: Sickor, Die Notwehrfähigkeit einer Zutrittsverweigerung durch Türsteher, Jura 2008, 14. Für die Klausur kannst Du dir merken: Wenn die Schwelle des § 240 StGB erreicht ist, kannst Du einen rechtswidrigen, notwehrfähigen Angriff unproblematisch annehmen. Alles, was „unter“ dieser Schwelle liegt, sollte man sich genauer anschauen und hier entsprechend abwägen und argumentieren. Das Ergebnis dürfte in diesen Fällen weniger relevant sein, als dass man sich mit der Problematik auseinandersetzt. Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team
Amelie7
17.11.2024, 14:13:39
Wäre hier nicht sogar die Habgier erfüllt, so dass man statt Totschlag Mord anprüfen könnte?