Mord (§ 211 StGB)

14. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A will endlich mal einen Menschen sterben sehen. Zu diesem Zweck möchte er seinen Nachbarn B mit mehreren Messerstichen töten. Er sticht 25-mal auf B ein. B verblutet.

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Einordnung des Falls

Mord (§ 211 StGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Jeder Totschlag (§ 212 StGB) ist zugleich ein Mord (§ 211 StGB).

Nein!

Die Differenzierung zwischen Mord und Totschlag entspricht langer deutscher Rechtstradition. Totschlag ist der „Normalfall“ des vorsätzlichen Tötungsverbrechens. Wer einen anderen Menschen vorsätzlich tötet, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft (§ 212 Abs. 1 StGB). Nach § 211 Abs. 1 StGB ist der „Mörder“ mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu sanktionieren. Die Androhung dieser Sanktion macht deutlich, dass als Mord höchst strafwürdige Fälle der Tötung erfasst werden sollen. In § 211 Abs. 2 StGB sind die Mordmerkmale (besondere Beweggründe, Begehungsweisen und Absichten) abschließend aufgezählt, die eine vorsätzliche Tötung als Mord klassifizieren. Liegt ein Mordmerkmal vor, lautet der Schuldspruch auf Mord.
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2. A hat B aus Mordlust (Mordmerkmal 1. Gruppe) getötet. Er ist strafbar wegen Mordes (§ 211 StGB).

Genau, so ist das!

Die in der ersten Gruppe des § 211 Abs. 2 StGB zusammengefassten Mordmerkmale umschreiben mordtypische Beweggründe. Mordlust liegt vor, wenn es dem Täter allein darauf ankommt, einen Menschen aus reiner Freude an der Vernichtung des Lebens oder aber aus Neugierde sterben zu sehen. Hier ist der einzige Zweck der Tötung des B, dass A ihn sterben sehen möchte. A handelte aus Mordlust.

3. Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft (§ 211 Abs. 1 StGB). Dies bedeutet, dass A bis an sein Lebensende eine Haftstrafe verbüßen wird.

Nein, das trifft nicht zu!

§ 211 Abs. 1 StGB schreibt für den Mörder eine lebenslange Freiheitsstrafe vor. Diese wird im Ansatz ohne zeitliche Begrenzung tatsächlich lebenslang vollstreckt. Doch muss dem Verurteilten aus verfassungsrechtlichen Gründen (Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1, und Freiheit der Person, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) zumindest die Chance eingeräumt werden, im Fall einer Resozialisierung die Freiheit wiederzuerlangen. In der Praxis beträgt die durchschnittliche Vollstreckungsdauer 19 Jahre. Die durchschnittliche Vollstreckungsdauer von Freiheitsstrafen wegen Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) beträgt fünfeinhalb Jahre. Diese Differenz verdeutlicht den gravierenden Unterschied zwischen Verurteilungen wegen Mordes und Totschlags.

4. Das Gericht kann nach einiger Zeit die Vollstreckung des Restes der lebenslangen Freiheitsstrafe unter bestimmten Voraussetzungen zur Bewährung aussetzen.

Ja!

Dies ergibt sich aus § 57a Abs. 1 S. 1 StGB und setzt voraus, dass 15 Jahre der Strafe verbüßt sind, nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und eine positive Legalprognose (durch Sachverständigengutachten belegt) sowie Einwilligung des Verurteilten vorliegt. Sind diese Anforderungen erfüllt, hat die Aussetzung von Amts wegen zu erfolgen. Die Dauer der Bewährungszeit beträgt nach § 57a Abs. 3 S. 1 StGB fünf Jahre. Gibt der Verurteilte während dieser Zeit keinen Anlass zum Widerruf der Strafaussetzung (etwa durch Begehung neuer Straftaten), wird ihm die Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Max.S

Max.S

20.1.2022, 02:48:57

Ist die lebenslange Freiheitsstrafe nicht an die 25 Jahre???

Marilena

Marilena

20.1.2022, 08:25:02

Guten Morgen Max.S, herzlich willkommen bei Jurafuchs und danke für die Frage! 25 Jahre können es durchaus werden, wenn im Urteil über die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe zusätzlich die besondere Schwere der Schuld festgestellt worden und daher die Weitervollstreckung geboten ist. Die besondere Schwere der Schuld ist anzunehmen, wenn gegenüber vergleichbaren Taten ein deutlich höheres Maß an Schuld vorliegt – aufgrund der Tat (mehrfacher Mord, erbarmungslose Brutalität, höchst grausame bzw. qualvolle Behandlung des Opfers), der Motive (besondere Verwerflichkeit) oder der Täterpersönlichkeit (abartige sexuelle oder gewalttätige Neigungen). Es gibt aber keine gesetzliche Normierung dieses Begriffes, die Gerichte müssen sich an den Urteilsbegründungen des BGH orientieren. Die Strafvollstreckungskammer legt normalerweise nach rund 13 Haftjahren fest, wie viel Strafe zusätzlich zur Mindesthaftdauer von 15 Jahren noch verbüßt werden muss, bis der Verurteilte auf Bewährung entlassen werden kann – falls dies dann unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Dabei gibt es weder eine feste Unter- noch eine feste Obergrenze. 25 Jahre sind also nicht der Regelfall, wie auch diese Statistik zeigt: Die Kriminologische Zentralstelle erhebt seit 2002 jährlich Daten zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Demnach wurden von 2002 bis einschließlich 2015 insgesamt 760 Personen regulär (also nach § 57a StGB) aus einer lebenslangen Haft entlassen. Im Durchschnitt waren sie 18,9 Jahre in Haft (Median: 17,0), 13 % von ihnen länger als 25 Jahre (https://de.m.wikipedia.org/wiki/Lebenslange_Freiheitsstrafe#Gesetzliche_Regelung_der_vorzeitigen_Freilassung). Liebe Grüße Marilena für das Jurafuchs-Team

PPAA

Philipp Paasch

20.5.2022, 00:10:43

Hallo und vielen Dank für die kurze Übersicht. Ihr habt hier den Totschlag als "Normalfall" der Tötungsdelikte bezeichnet. Das ist zumindest recht umstritten. Vielleicht könntet ihr zumindest ein "nach h.L." anfügen. Es gibt auch andere Stimmen. So geht Sachs davon aus, dass Mord und Totschlag nur zeigen sollen, dass der Grundsatz du sollst nicht töten damit im Gesetz einen Ausdruck findet. Und beide Nomen sind nur dessen Sanktionen. Küper wiederum diskutiert, den Mord als Normalfall anzusehen. Der BGH geht von einer Selbständigkeitsthese aus.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.5.2022, 15:19:35

Vielen Dank für Deinen wichtigen Hinweis, Philipp. In der Tat ist das Verhältnis zwischen Mord und Totschlag nach wie vor stark umstritten. Während die herrschende L

ehre

den Totschlag als Grunddelikt und den Mord als Qualifikation einstuft, so geht der BGH davon aus, dass es sich hierbei um zwei selbstständige Delikte handelt. Hierauf gehen wir auch in den Lektionen zum Totschlag/Mord ein und insbesondere auf die Konsequenzen, die daraus erwachsen (insb. hinsichtlich der Anwendung §

28 StGB

). Im Kurs "Allgemeinbildung Recht" wollen wir juristische Inhalte auch einem breiteren Publikum zugänglich machen. Auf diesen spezifischen Streit kommt es hier nicht an. Hier geht es primär darum zu verstehen, dass sich der Mord tatbestandlich vom Totschlag dadurch unterscheidet, dass zusätzlich zur Tötung eines Menschen auch ein spezifisches Mordmerkmal vorliegen muss. Zur Vertiefung empfiehlt sich dann der systematische Kurs zu den Tötungsdelikten. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

MASC

Mario Schmidt

24.7.2022, 10:33:54

Mordmerkmale sind doch m. E. der Vorsatz bzw die Planung oder?

PPAA

Philipp Paasch

24.7.2022, 14:55:33

Kommt drauf an.

PPAA

Philipp Paasch

24.7.2022, 16:01:53

Mord in der Fassung vor dem 15.09.1941 behinaltete das Merkmale der Überlegung. Beim jetzigen benötigen wird Vorsatz auch bzgl. der (objektiven) Merkmale der 2. Gruppe. Bei denen der 1. und 3. Gruppe handelt es sich ohnehin um subjektive Merkmale, die vorliegen müssen.

MASC

Mario Schmidt

24.7.2022, 10:27:33

Und wie sieht das mit anschliessender SV (Sicherungsverwahrung) aus und wie läuft dieses Procedere ab?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.8.2022, 14:59:55

Hallo Mario Schmidt, unter bestimmten Voraussetzungen kann diese gem. § 66 StGB bei Erlass des Urteils angeordnet werden. § 66 b StGB erlaubt nur in zwei eng umgrenzten Ausnahmefällen die nachträgliche Anordnung einer Sicherungsverwahrung. Dabei ist die Sicherungsverwahrung ultima ratio und muss sich gemäß dem von der Rechtsprechung entwickelten "Abstandsgebot" vom normalen Strafvollzug unterscheiden, eben weil es keine Strafe mehr ist. Zusätzlich wird die Sicherungsverwahrung in sich immer kürzer aufeinanderfolgenden Intervallen überprüft, um die Verhältnismäßigkeit sicherzustellen. Des Weiteren muss die Sicherungsverwahrung therapiegerichtet gestaltet sein, damit sie ihren präventiven Charakter erfüllt. Ist deine Frage damit beantwortet? Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Pilea

Pilea

5.1.2023, 10:51:44

Da es um juristische Allgemeinbildung geht, würde ich hier mit reinnehmen, dass es nicht um die Unterscheidung 'Absicht/keine Absicht' geht, sondern beide Delikte grds. vorsätzlich begangen werden.


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