Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Versuch und Rücktritt

Unmittelbares Ansetzen bei Qualifikationstatbeständen 3

Unmittelbares Ansetzen bei Qualifikationstatbeständen 3

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T will sich an O rächen. Dafür lockt sie O in eine Zelle und möchte diese per Fernzündung abschließen. Sie plant, O in der Zelle verhungern zu lassen. Die Fernzündung versagt, da T die Batterien vergessen hat.

Diesen Fall lösen 91,2 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Unmittelbares Ansetzen bei Qualifikationstatbeständen 3

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Versuch einer Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) ist strafbar.

Ja, in der Tat!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Freiheitsberaubung ist ein Vergehen und daher nur im Versuch strafbar, da die Strafbarkeit ausdrücklich bestimmt ist (§§ 12 Abs. 2, 239 Abs. 2 StGB).
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. T hat „Tatentschluss“ bezüglich einer Freiheitsberaubung.

Ja!

Tatentschluss ist der subjektive Tatbestand des Versuchs. Er umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz sowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale. Der Täter hat Tatentschluss, wenn er endgültig entschlossen ist, den Deliktstatbestand zu verwirklichen. Dabei wird zur bloßen Tatgeneigtheit abgegrenzt. T ist fest entschlossen eine Freiheitsberaubung zu begehen.

3. T hat durch das Betätigen der Fernzündung „unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt“ in Bezug auf die Freiheitsberaubung.

Genau, so ist das!

Das objektive Tatbestandselement des Versuchs liegt im unmittelbaren Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung (§ 22 StGB). Das unmittelbare Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle des „Jetzt-geht-es-los“ überschreitet und objektiv – unter Zugrundelegung seiner Vorstellung – Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. T hat gedacht, dass sie den O durch das Betätigen des Fernzünders einsperren würde. Sie hat nach ihrer Vorstellung alles zur Tatbestandsverwirklichung Erforderliche getan, ohne dass weitere Zwischenakte erforderlich wären. T hat unmittelbar angesetzt.

4. Der Versuch einer Freiheitsberaubung mit Todesfolge (§ 239 Abs. 4 StGB) ist strafbar und T hatte Tatentschluss.

Ja, in der Tat!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Freiheitsberaubung mit Todesfolge ist ein Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB). T hatte Tatentschluss bezüglich der Freiheitsberaubung mit Todesfolge. § 12 Abs. 3 StGB gilt lediglich für schwere Fälle und minder schwere Fälle. Qualifikation stellen eigene echte Tatbestände dar und können daher Verbrechen darstellen; dies gilt auch für Erfolgsqualifikationen. § 239 Abs. 4 StGB ist daher bereits im Versuch strafbar.

5. T hat durch das Betätigen der Fernzündung „unmittelbar angesetzt“ zu einer Freiheitsberaubung mit Todesfolge.

Ja!

Die Erfolgsqualifikation stellt einen eigenen Tatbestand dar. Erforderlich ist, dass der Täter unmittelbar zur Erfolgsqualifikation angesetzt hat. T wollte O gerade durch das Einsperren töten, sodass das Einsperren selbst in dem Tod des O münden sollte. Wesentliche Zwischenschritte sind nicht mehr erforderlich. Einzig der zweifelhafte zeitliche Zusammenhang steht zunächst entgegen. Dabei ist dieser jedoch nur eines von vielen Kriterien, welches in den Hintergrund treten kann. Hier hat sich die Lebensgefahr nach der Vorstellung der T bereits hinreichend verdichtet und O war konkret gefährdet (a.A. gut vertretbar).
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MAR

Martymcfly

22.3.2021, 23:21:12

Ich verstehe in diesem Fall nicht ganz, warum eine Antwort falsch sein kann, wenn Ihr schreibt, dass die andere Ansicht gut vertretbar ist. Woher soll man wissen, wofür ihr euch bei 2 vertretbaren Meinungen entschieden habt? Liebe Grüße

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.3.2021, 09:29:46

Lieber Martymcfly, du hast natürlich recht, dass es bei zwei vertretbaren Meinungen schwer ist, eine davon als "falsch" zu bewerten. Anders als zB in der Mathematik gibt es eben häufig nicht nur einen möglichen Lösungsweg. Insofern müssen wir im Hinblick auf die Fragen manchmal Kompromisse machen. Grundsätzlich folgen wir in unseren Fällen der sog. herrschenden Meinung und der Rechtsprechung des BGH. In Fällen wie dem vorliegenden, in dem es nicht um einen Grundsatzstreit, sondern um eine Subsumption im Einzelfall geht, wählen wir das Ergebnis, für das aus unserer Sicht die besten Argumente streiten. Auch die Lösungsskizzen in Klausuren weisen idR nicht nur eine einzige Lösung aus, sondern geben an, dass - mit entsprechender Begründung - auch andere Lösungen vertretbar sind.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.3.2021, 09:34:10

Aus diesem Grund haben auch wir den entsprechenden Hinweis auf andere Ansichten aufgenommen. Letztlich müssen wir uns indes für eine Lösung entscheiden. Schließlich noch der Hinweis, dass eine Abweichung von der Lösungsskizze dann auch eine hinreichend tiefe Begründung notwendig macht, da man sonst häufig dafür kritisiert wird, dass es an der nötigen "Begründungs-/Eindringtiefe" fehle. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

FF0815

FF0815

21.7.2022, 20:59:39

Schade. Völlig einen ewig langen Streak kaputt gemacht. Wenn eine a.M. vertretbar ist programmiert doch bitte beide Buttons als richtige Antwort :)

BASA

Barbara Salesch

28.4.2022, 22:50:08

Könnte man hier nicht grundsätzlich einen untauglichen Versuch annehmen? In einem mangels Batterien nicht funktionstüchtigen Fernzünder könnte ja durchaus ein untaugliches Tatmittel liegen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

29.4.2022, 15:22:17

Hallo Barbara Salesch, das kann man durchaus. Das ändert aber zunächst nichts an der Strafbarkeit der Handlung. Denn aus § 23 Abs. 3 StGB folgt, dass auch der untaugliche Versuch strafbar ist (und lediglich die Strafe gemildert bzw. von ihr abgesehen werden kann). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SN

Sniter

23.12.2022, 17:21:21

Macht es nicht mehr Sinn, diesen Fall in ein neues Level mit dem Namen "

Unmittelbares Ansetzen

bei Erfolgsqualifikationen" zu verschieben? Ich finde es sehr verwirrend, wenn § 239 IV hier als Qualifikation benannt wird...

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.1.2023, 16:22:18

Hallo Sniter, danke für dein Feedback. Wir machen es uns nicht leicht, mit der Frage der Unterteilung der Kapitel. Es gibt auch noch einiges zu Erfolgsqualifikationen. Auch wenn wir uns bemühen alles so kleinschrittig wie möglich darzustellen, bleibt es manchmal nicht aus auch neue Dinge anzusprechen wenn sie relevant werden. Wir nehmen deine Rückmeldung nochmal mit für die Unterteilung neuer Kapitel. :) Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Natze

Natze

1.2.2024, 22:43:33

Ich stehe auf dem Schlauch: Müsste nicht bei dem 239 IV der Erfolg, der tod, nicht auch tatsächlich eingetreten sein? ich hätte intuitiv neben den versuchten 239 I an den versuchten 211/212 gedacht (in Tateinheit!?) und dann das unmittelbare ansetzen verneint.

LELEE

Leo Lee

3.2.2024, 18:01:44

Hallo Natze, vielen Dank für die sehr gute Frage! Für den § 239 IV als „normaler“ Vollendungstatbestand ist in der Tat – wie du richtig anmerkst – der Eintritt eines Erfolgs nötig, da § 239 IV eine Erfolgsqualifikation ist. Beachte allerdings, dass gem. § 12 Abs. 3 StGB auch solche Erfolgsqualifikationen – so denn sie ein Verbrechen darstellen oder bei Vergehen eine ausdrückliche Strafbarkeit angeordnet ist – auch „normale“ Delikte sind, die versucht werden können. Deshalb haben wir hier die Konstellation des sog. „Versuchs der Erfolgsqualifikation“ von § 239 IV (der als Verbrechen – nicht unter drei Jahren – versucht werden kann. Abgesehen davon hast du auch völlig Recht damit, dass man auch den versuchten § 211/212 anprüfen kann. Diesen Versuch würde man allerdings BEJAHEN, da T bereits die Schwelle zum jetzt-geht’s los überschritten hat, da sie nur noch auf den Knopf drücken musste und dies auch getan hat! Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre von MüKo-StGB 4. Auflage, Wieck-Noodt § 239 Rn. 48 sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Natze

Natze

4.2.2024, 00:00:47

Vielen Dank! Dann bin ich gedanklich falsch abgebogen :)

KAT

Katharina

27.9.2024, 11:41:29

Liebes Jura-Fuchsteam. Könntet ihr bitte anlässlich dieses Falles im StrafR AT auch einen Bereich zum Überblick für Qualifikationen, minder schwere Fälle etc. und deren Anwendbarkeit erstellen? Das wäre als Übersicht sehr hilfreich! Vielen Dank im Voraus!


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community