+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
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Klassisches Klausurproblem
T, der eine BAK von 2,01‰ aufweist, fährt in so starken Schlangenlinien, dass seine Beifahrerin B eine bedrohliche Begegnung mit dem Gegenverkehr befürchtet. Daher besteht sie darauf, das Steuer des Pkw zu übernehmen.
Einordnung des Falls
§ 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB: Beifahrer als Gefährdungsopfer
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T hat ein Fahrzeug im Straßenverkehr trotz alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit geführt (§ 315c Abs. 1 Nr. 1a Var. 1 StGB).
Ja, in der Tat!
Fahruntüchtigkeit liegt vor, wenn der Fahrzeugführer nicht fähig ist, eine längere Strecke so zu steuern, dass er den Anforderungen des Straßenverkehrs so gewachsen ist, wie es von einem durchschnittlichen Fahrzeugführer zu erwarten ist.
T war mit einer BAK von 1,1‰ im Fahrtzeitpunkt nach gesicherten verkehrsmedizinischen Erkenntnissen unwiderlegbar nicht in der Lage, den Pkw sicher zu führen. T war damit absolut fahruntüchtig (§ 315c Abs. 1 Nr. 1a Var. 1 StGB). T hat den Pkw unter Beherrschung der dafür erforderlichen technischen Funktionen bewegt, mithin ein Fahrzeug geführt. Dies geschah auch im öffentlichen Verkehrsraum und damit im Straßenverkehr.
2. Als Beifahrerin scheidet B als taugliches Gefährdungsopfer aus.
Nein!
§ 315c Abs. 1 StGB setzt eine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert voraus. Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn es zu einer Schädigung oder einem Beinahe-Unfall kommt. Ein anderer ist nach h.M. jeder von der Person des Täters verschiedene lebende Mensch, der nicht Tatbeteiligter ist.
Dass B den T in seiner Fahrabsicht bestärkt hätte, ist nicht ersichtlich. Allein die bloße Mitfahrt im Pkw eines Fahruntüchtigen begründet aber keine Strafbarkeit wegen (psychischer) Beihilfe. B ist mithin taugliches Gefährdungsopfer.
3. Bereits dadurch, dass B sich im Pkw des T befand, ist sie in konkrete Individualgefahr geraten (§ 315c Abs. 1 StGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
Früher hielt der BGH eine konkrete Gefahr des Beifahrers allein aufgrund der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit des Fahrers für möglich. Heute fordert er für eine konkrete Gefahr des Beifahrers wenigstens, dass die alkoholische Beeinflussung des Fahrers einen solchen Grad erreicht hat, dass er nicht mehr in der Lage ist, kontrollierte Fahrmanöver auszuführen, und damit die Situation einem Fahren ohne die notwendigen technischen Einrichtungen vergleichbar ist.
T fuhr zwar in starken Schlangenlinien. Davon, dass er nicht mehr zu kontrollierter Betätigung der wesentlichen technischen Einrichtungen des Pkw in der Lage war, kann aber keine Rede sein.