Zivilrecht
Sonstige vertragliche Schuldverhältnisse
Bürgschaft, §§ 765ff. BGB
Blankourkunde (Grundfall, Ausfüllungsermächtigung)
Blankourkunde (Grundfall, Ausfüllungsermächtigung)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
S möchte ein Boot kaufen, benötigt dafür aber einen Kredit. Um diesen aufzunehmen, übergibt Bruder B der S eine unterschriebene Bürgschaftsurkunde. Die Höhe ist nicht eingetragen, damit S die Bürgschaft auf das passende Boot bis €10.000 anpasst. B ermächtigt S mündlich, die Höhe einzutragen. S trägt abredegemäß einen Betrag von €9.000 in die Urkunde ein.
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Einordnung des Falls
Blankourkunde (Grundfall, Ausfüllungsermächtigung)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Bürgschaftserklärung bedarf grundsätzlich der Schriftform (§ 766 S. 1 BGB).
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Im Zeitpunkt der Unterzeichnung erfüllt B die Anforderungen an die Schriftform.
Nein, das trifft nicht zu!
3. S agiert durch die Eintragung der Höhe als Bote.
Nein!
4. S hat den B wirksam vertreten.
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Der Formmangel kann jedoch geheilt werden (§ 766 S. 3 BGB), wenn B zahlt.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Jopies
18.12.2023, 16:58:52
Wie würde sich der Fall gestalten, wenn ein Gläubiger nur aufgrund dieser Bürgschaftsurkunde das Geschäft abschloss, und Unwirksamkeit überrascht ist?
Dogu
18.2.2024, 20:39:28
Meines Erachtens besteht durch eine
Blankobürgschaftein Rechtsschein entsprechend § 172 BGB analog. Solange Gläubiger gutgläubig war (d.h. keine Kenntnis darüber, dass nicht alle Teile der Urkunde vom Bürgen stammen!), haftet der Bürge aufgrund des geschaffenen Rechtsscheins.
Simon
2.8.2024, 15:34:06
Soweit ich mich an eine entsprechende Klausur richtig erinnern kann, "schlägt" § 766 S. 1 BGB hier die Rechtsscheinsvollmacht analog § 172 BGB. Wie @[Dogu](137074) richtig ausführt, schafft ein Blankett grundsätzlich einen zurechenbaren Rechtsschein, der bei Gutgläubigkeit des Geschäftsgegners analog § 172 BGB zu einer Rechtsscheinsvollmacht führt. Hier besteht allerdings die Besonderheit, dass eine Vollmachtserteilung nach h.M. in teleologischer Reduktion des § 167 II BGB (m.E. durchaus fraglich, da fast jede Formvorschrift Warnfunktion hat und damit contra legem die gesetzgeberische Grundentscheidung unterlaufen würde; Stichwort: Gewaltenteilung, Art. 20 II 2 GG) ausnahmsweise der Form des § 766 S. 1 BGB bedarf. Würde man nun eine Rechtsscheinsvollmacht annehmen, könnte man sich die teleologische Reduktion gleich sparen. Dogmatisch sauber kann man daher die Zurechenbarkeit des Rechtsscheins ablehnen, da - wegen § 766 S. 1 BGB - zum Schutz des Bürgen strengere Maßstäbe an die Veranlassung zu stellen sind.
Simon
2.8.2024, 15:45:44
@[Jopies](144186): Spontan würde ich bzgl. des Darlehensvertrags an § 139 BGB oder § 158 I/II BGB denken, sofern ein entsprechender Parteiwille besteht. Unter Umständen ergibt sich auch eine Haftung des Bürgen (und auch des das Blankett ausfüllenden Hauptschuldners) aus c.i.c., wobei man bzgl. des Bürgen dann klären müsste, inwieweit eine Haftung den Schutzzweck der Formvorschrift umgeht. Eine Anfechtung kommt wohl nicht in Betracht, da lediglich ein
Motivirrtumvorliegt und es für § 123 BGB an der Arglist fehlt.
Jessica
17.2.2024, 13:48:36
Müsste es bei der letzten Frage nicht heißen, dass der Formmangel gemäß §766 S. 3 BGB dadurch geheilt wird, wenn die S zahlt und nicht, wenn B zahlt?
LR
10.5.2024, 20:46:58
Ich dachte, es käme deshalb auf die Zahlung des B an, weil dann die Warnfunktion ihm gegenüber entfällt, wegen der überhaupt nur ein Formmangel bestand.
Jessica
31.5.2024, 12:04:19
Danke. Ich hab mir den Fall nochmal angeschaut habe es jetzt verstanden :)
Falsus Prokuristor
18.5.2024, 23:59:25
Liebes Team, bei der Lösung des Falles stellt sich mir folgende Frage. Im Rahmen der Lektion zur Stellvertretung wird auch die Blanko Unterschrift unter einen Darlehensvertrag behandelt. Dort wird das Ausfüllen des Darlehensbetrages als Skriptur und reines Realhandeln kategorisiert. Dementsprechend finden die Vorschriften der Stellvertretung keine Anwendung. Könntet ihr bitte einmal erklären, warum es hier im Rahmen einer Bürgschaft anders zu beurteilen ist? Vielen Dank!
Franz
18.7.2024, 12:26:09
Würde mich auch interessieren! Eine eigene Recherche hat aber so weit ergeben (kann aber auch völlig falsch sein): es gibt einen Unterschied zwischen einer (nicht ausgefüllten) Blanko-Urkunde und einer (ausgefüllten) Blankett-Urkunde. Blankourkunde bzw. ein Blankett = "bewusst unvollständige / gänzlich fehlende Erklärung" wird unterschrieben Ausgefüllte Blankett-Urkunde = es muss nur noch etwas ergänzt werden Bei einer Blanko-Urkunde bzw. ein Blankett finden die Regeln der Stellvertretung keine Anwendung. Das, was durch den Dritten in das Blankett geschrieben wird, muss sich der Unterschreibende als eigene Willenserklärung zurechnen lassen. Es fehlt das Handeln in fremdem Namen. Wenn die Urkunde aber schon ausgefüllt ist und eben nur noch z.B. einzelnes eingetragen werden muss, soll das Stellvertretungsrecht gelten. Es ähnele einer Vollmachtsurkunde. Zurück zu den Fällen: Wenn ich den Fall gefunden habe, den Du meinst, wurde dort eigentlich auch lediglich
abredewidrigdie Höhe des Darlehens eingefügt. Nach meinem Verständnis ist dort dann wie hier das Stellvertretungs-Recht anwendbar, da es sich eben nicht um ein völliges Blankett handelt. Fundstelle, wo es auch noch einmal ausführlicher erklärt wird: Schubert, in: MüKo BGB, 9. Auflage 2021, § 172 Rn. 2 - 5.