Blankourkunde (Grundfall, Ausfüllungsermächtigung)

24. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

S möchte ein Boot kaufen, benötigt dafür aber einen Kredit. Um diesen aufzunehmen, übergibt Bruder B der S eine unterschriebene Bürgschaftsurkunde. Die Höhe ist nicht eingetragen, damit S die Bürgschaft auf das passende Boot bis €10.000 anpasst. B ermächtigt S mündlich, die Höhe einzutragen. S trägt abredegemäß einen Betrag von €9.000 in die Urkunde ein.

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Einordnung des Falls

Blankourkunde (Grundfall, Ausfüllungsermächtigung)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Bürgschaftserklärung bedarf grundsätzlich der Schriftform (§ 766 S. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Die Bürgschaftserklärung ist grundsätzlich schriftlich zu erteilen (§ 766 S. 1 BGB). Die genauen Anforderungen bestimmen sich nach § 126 BGB. Die Unterzeichnung des Blankoformulars durch den Bürgen müsste den Anforderungen des § 126 BGB genügen.
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2. Im Zeitpunkt der Unterzeichnung erfüllt B die Anforderungen an die Schriftform.

Nein, das trifft nicht zu!

Die gesetzliche Anordnung der Schriftform bezweckt die Warnfunktion. Entsprechend dem Schutzzweck der Schriftform bezieht sich die diese inhaltlich auf alle für die Bürgschaftserklärung wesentlichen Umstände. Erforderlich ist, dass die wesentlichen Umstände zumindest bestimmbar sind (Bestimmtheitsgrundsatz). Im Zeitpunkt der Unterzeichnung ist die Höhe nicht eingetragen, sodass ein wesentlicher Vertragsinhalt fehlt.

3. S agiert durch die Eintragung der Höhe als Bote.

Nein!

Ein Bote übermittelt bloß eine fremde Willenserklärung. In Abgrenzung dazu gibt ein Vertreter eine eigene Willenserklärung im fremden Namen ab. Im Bereich der Bürgschaft ist die sogenannte Ausfüllungsermächtigung anerkannt. Diese beinhaltet die Ermächtigung, fehlende Inhalte der Bürgschaft nachträglich einzufügen. Die Vorschriften der Vollmacht gelten aufgrund der Ähnlichkeit entsprechend. S übermittelte nicht bloß die Erklärung des B, sondern ihr oblag es zusätzlich die Höhe der Bürgschaft einzutragen. S handelt aufgrund einer sogenannten Ausfüllungsermächtigung.

4. S hat den B wirksam vertreten.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Wirksamkeitsanforderungen richten sich entsprechend §§ 164ff. BGB. Grundsätzlich bedarf die Vollmacht nicht der für das Vertretergeschäft vorgeschriebenen Form (analog § 167 Abs. 2 BGB). In Ausnahmefällen kann eine teleologische Reduktion erforderlich sein. Die Schutzfunktion des Formerfordernisses (§ 766 S. 1 BGB) erfordert eine solche. Die Ausfüllungsermächtigung bedarf ebenso wie die Erklärung der Bürgschaft der Schriftform. Hier erteilte B dem S die Ausfüllungsermächtigung mündlich. Damit ist diese gemäß § 125 S. 1 BGB nichtig.

5. Der Formmangel kann jedoch geheilt werden (§ 766 S. 3 BGB), wenn B zahlt.

Ja, in der Tat!

Wenn der Bürge seiner Verpflichtung nachkommt, entfällt die mit der Schriftform verbundene Warnfunktion (§ 766 S. 3 BGB). Im vorliegenden Fall ist es bislang nicht zur Zahlung seitens des B gekommen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Jopies

Jopies

18.12.2023, 16:58:52

Wie würde sich der Fall gestalten, wenn ein Gläubiger nur aufgrund dieser Bürgschaftsurkunde das Geschäft abschloss, und Unwirksamkeit überrascht ist?

Dogu

Dogu

18.2.2024, 20:39:28

Meines Erachtens besteht durch eine

Blankobürgschaft

ein Rechtsschein entsprechend § 172 BGB analog. Solange Gläubiger gutgläubig war (d.h. keine Kenntnis darüber, dass nicht alle Teile der Urkunde vom Bürgen stammen!), haftet der Bürge aufgrund des geschaffenen Rechtsscheins.

Simon

Simon

2.8.2024, 15:34:06

Soweit ich mich an eine entsprechende Klausur richtig erinnern kann, "schlägt" § 766 S. 1 BGB hier die Rechtsscheinsvollmacht analog § 172 BGB. Wie @[Dogu](137074) richtig ausführt, schafft ein Blankett grundsätzlich einen zurechenbaren Rechtsschein, der bei Gutgläubigkeit des Geschäftsgegners analog § 172 BGB zu einer Rechtsscheinsvollmacht führt. Hier besteht allerdings die Besonderheit, dass eine Vollmachtserteilung nach h.M. in teleologischer Reduktion des § 167 II BGB (m.E. durchaus fraglich, da fast jede Formvorschrift Warnfunktion hat und damit contra legem die gesetzgeberische Grundentscheidung unterlaufen würde; Stichwort: Gewaltenteilung, Art. 20 II 2 GG) ausnahmsweise der Form des § 766 S. 1 BGB bedarf. Würde man nun eine Rechtsscheinsvollmacht annehmen, könnte man sich die teleologische Reduktion gleich sparen. Dogmatisch sauber kann man daher die Zurechenbarkeit des Rechtsscheins ablehnen, da - wegen § 766 S. 1 BGB - zum Schutz des Bürgen strengere Maßstäbe an die Veranlassung zu stellen sind.

Simon

Simon

2.8.2024, 15:45:44

@[Jopies](144186): Spontan würde ich bzgl. des Darlehensvertrags an § 139 BGB oder § 158 I/II BGB denken, sofern ein entsprechender Parteiwille besteht. Unter Umständen ergibt sich auch eine Haftung des Bürgen (und auch des das Blankett ausfüllenden Hauptschuldners) aus c.i.c., wobei man bzgl. des Bürgen dann klären müsste, inwieweit eine Haftung den Schutzzweck der Formvorschrift umgeht. Eine Anfechtung kommt wohl nicht in Betracht, da lediglich ein

Motivirrtum

vorliegt und es für § 123 BGB an der Arglist fehlt.

JES

Jessica

17.2.2024, 13:48:36

Müsste es bei der letzten Frage nicht heißen, dass der Formmangel gemäß §766 S. 3 BGB dadurch geheilt wird, wenn die S zahlt und nicht, wenn B zahlt?

LR

LR

10.5.2024, 20:46:58

Ich dachte, es käme deshalb auf die Zahlung des B an, weil dann die Warnfunktion ihm gegenüber entfällt, wegen der überhaupt nur ein Formmangel bestand.

JES

Jessica

31.5.2024, 12:04:19

Danke. Ich hab mir den Fall nochmal angeschaut habe es jetzt verstanden :)

Falsus Prokuristor

Falsus Prokuristor

18.5.2024, 23:59:25

Liebes Team, bei der Lösung des Falles stellt sich mir folgende Frage. Im Rahmen der Lektion zur Stellvertretung wird auch die Blanko Unterschrift unter einen Darlehensvertrag behandelt. Dort wird das Ausfüllen des Darlehensbetrages als Skriptur und reines Realhandeln kategorisiert. Dementsprechend finden die Vorschriften der Stellvertretung keine Anwendung. Könntet ihr bitte einmal erklären, warum es hier im Rahmen einer Bürgschaft anders zu beurteilen ist? Vielen Dank!

FRA

Franz

18.7.2024, 12:26:09

Würde mich auch interessieren! Eine eigene Recherche hat aber so weit ergeben (kann aber auch völlig falsch sein): es gibt einen Unterschied zwischen einer (nicht ausgefüllten) Blanko-Urkunde und einer (ausgefüllten) Blankett-Urkunde. Blankourkunde bzw. ein Blankett = "bewusst unvollständige / gänzlich fehlende Erklärung" wird unterschrieben Ausgefüllte Blankett-Urkunde = es muss nur noch etwas ergänzt werden Bei einer Blanko-Urkunde bzw. ein Blankett finden die Regeln der Stellvertretung keine Anwendung. Das, was durch den Dritten in das Blankett geschrieben wird, muss sich der Unterschreibende als eigene Willenserklärung zurechnen lassen. Es fehlt das Handeln in fremdem Namen. Wenn die Urkunde aber schon ausgefüllt ist und eben nur noch z.B. einzelnes eingetragen werden muss, soll das Stellvertretungsrecht gelten. Es ähnele einer Vollmachtsurkunde. Zurück zu den Fällen: Wenn ich den Fall gefunden habe, den Du meinst, wurde dort eigentlich auch lediglich

abredewidrig

die Höhe des Darlehens eingefügt. Nach meinem Verständnis ist dort dann wie hier das Stellvertretungs-Recht anwendbar, da es sich eben nicht um ein völliges Blankett handelt. Fundstelle, wo es auch noch einmal ausführlicher erklärt wird: Schubert, in: MüKo BGB, 9. Auflage 2021, § 172 Rn. 2 - 5.


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