Gattungsschuld: Konkretisierung (Bringschuld)

14. Juli 2025

21 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

V kommt mit dem Einkaufen nicht hinterher. Deswegen bestellt er beim Lieferdienst Schimpanse (S) eine Monatsration Tiefkühlpizza. Kurz vor Vs Haustür fällt S der Stapel um und alle Pizzen gehen kaputt.

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Einordnung des Falls

Gattungsschuld: Konkretisierung (Bringschuld)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Vs Anspruch auf Übergabe und Übereignung der Pizzen ist entstanden (§ 433 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Bei Abschluss eines Kaufvertrages ist der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen (§ 433 Abs. 1 BGB). V und S haben einen Kaufvertrag über eine Monatsration Tiefkühlpizza abgeschlossen.
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2. Ob die Übergabe und Übereignung für S unmöglich ist, bestimmt sich nach der Art der vereinbarten Schuld.

Ja!

Bei gegenstandsbezogenen Leistungspflichten hängt der Eintritt der Unmöglichkeit davon ab, ob noch ein geeigneter Leistungsgegenstand vorhanden ist. Dabei unterscheidet man Stück- und Gattungsschulden.Stückschuld liegt vor, wenn der Leistungsgegenstand individuell bestimmt wurde, also nur mit einem ganz bestimmten Gegenstand geleistet werden soll. Steht dieser nicht mehr zur Verfügung, so tritt Unmöglichkeit ein. Bei der Gattungsschuld (§ 243 Abs. 1 BGB) bestimmen die Parteien den Leistungsgegenstand bloß nach allgemeinen Merkmalen als Teil einer Gruppe von Gegenständen (Gattung). Vor der Konkretisierung (§ 243 Abs. 2 BGB) führt nur der Untergang der Gattung zur Unmöglichkeit.

3. V und S haben eine Stückschuld vereinbart.

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Stückschuld liegt vor, wenn der Leistungsgegenstand individuell bestimmt wurde, also nur mit einem ganz bestimmten Gegenstand geleistet werden soll. Eine Gattungsschuld (§ 243 Abs. 1 BGB) liegt vor, wenn der Leistungsgegenstand bloß nach allgemeinen Merkmalen als Teil einer Gruppe von Gegenständen (Gattung) bestimmt ist.Hier haben sich V und S über serienmäßig gefertigte Pizzen geeinigt.

4. Sofern S alles für seine Leistung Erforderliche getan hat, ist durch die Zerstörung der Pizzen Unmöglichkeit eingetreten (§ 275 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Sofern der Schuldner alles zu seiner Leistung Erforderliche getan, so konkretisiert sich die Gattungsschuld (§ 243 Abs. 2 BGB). In der Konsequenz wird die Gattungsschuld ab dem Zeitpunkt der Konkretisierung behandelt wie eine Stückschuld. Geht der Leistungsgegenstand nach der Konkretisierung unter, so tritt also Unmöglichkeit ein (§ 275 Abs. 1 BGB).Man spricht hier auch von einem Übergang der Leistungsgefahr, also der Gefahr des zufälligen Untergangs des Leistungsgegenstandes. Bis zur Konkretisierung trägt diese der Schuldner, ab der Konkretisierung der Gläubiger.

5. Ab wann Konkretisierung eintritt, bestimmt sich nach der vereinbarten Leistungshandlung.

Ja!

Mindestvoraussetzung der Konkretisierung ist die Auswahl und Aussonderung von Sachen mittlerer Art und Güte (§ 243 Abs. 1 BGB bzw. § 360 HGB). Im Übrigen ist der Ort, an dem die Leistungshandlung zu erbringen ist (Leistungsort bzw. Erfüllungsort) maßgeblich. Hierbei unterscheidet man zwischen Hol-, Bring- und Schickschuld. Bei der Bringschuld liegt der Leistungsort beim Gläubiger. Der Schuldner ist daher verpflichtet, dem Gläubiger die ausgewählte Sache an dessen Wohnsitz tatsächlich anzubieten. Achtung, Verwechslungsgefahr! Leistungs- und Erfüllungsort sind Synonyme. Als Erfolgsort bezeichnet man dagegen den Ort, an dem der geschuldete Leistungserfolg (nicht die Handlung) eintritt.

6. S ist verpflichtet, die Tiefkühlpizzen zu V nach Hause bringen. Liegt eine Bringschuld vor?

Genau, so ist das!

Der Leistungsort richtet sich in erster Linie nach der Vereinbarung der Parteien oder den Umständen des Schuldverhältnisses. Ist keine Vereinbarung getroffen und ergibt sich der Leistungsort auch nicht aus den Umständen, so muss der Schuldner die Leistungshandlung an seinem Wohnsitz (§ 269 Abs. 1 BGB) bzw. Gewerbesitz (§ 269 Abs. 2 BGB) vornehmen.Bei Lieferdiensten ergibt sich auch ohne explizite Abrede, dass die geschuldete Leistung am Wohnort des Gläubigers erbracht wird.Bei der Bringschuld liegen der Leistungsort (Anbieten der Pizza) und der Erfolgsort (Übergang des Eigentums der PIzzen) beide am Sitz des Gläubigers.

7. S hat die geschuldete Gattungsschuld konkretisiert, weshalb durch die Zerstörung der Pizzen Unmöglichkeit eingetreten ist (§ 275 Abs. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Bei der Bringschuld tritt Konkretisierung ein, wenn der Schuldner die ausgesonderte Sache von mittlerer Art und Güte (§ 243 Abs. 1 BGB bzw. § 360 HGB) dem Gläubiger bringt und in annahmeverzugsbegründender Weise so anbietet, dass er bloß noch zugreifen muss. Erforderlich ist hierfür ein tatsächliches Angebot(§ 294 BGB). Erst durch das Anbieten am Wohnsitz des V hätte S die notwendige Leistungshandlung erbracht. Hier sind die Pizzen aber schon davor kaputtgegangen. Insofern ist keine Unmöglichkeit eingetreten und S weiterhin zur Lieferung verpflichtet.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Sambajamba10

Sambajamba10

11.6.2023, 10:28:55

Sehr nice Zeichnung!

Charles "Chuck" McGill

Charles "Chuck" McGill

22.2.2025, 08:45:01

Im Rep wurde uns beigebracht, dass der BGH bei Essenslieferungen stehts eine

Schickschuld

annimmt, "als Kompensation für die Erleichterung" oder so in der Art. Also weil das quasi das Mittelding ist und der Käufer ja sehr von der Lieferung profitiert (Nach den Motto: "früher musste man selbst abholen"), so dass konludrnt eine

Schickschuld

vereinbart sei. Hat jemand dazu vllt. Urteile?

fwerf

fwerf

4.3.2025, 23:56:37

Ich glaube die Unterscheidung ergibt sich danach, ob man bspw. direkt bei einer Pizzeria bestellt und diese auch liefert (dann je nach den Umständen

Schickschuld

) oder ob man bei einem Lieferanten wie Lieferando bestellt, wo dann ein Lieferando-Fahrer das Essen eines Dritten liefert (dann jedenfalls

Bringschuld

). Wäre jetzt aber nur geraten 😅

JES

Jessica

25.3.2025, 11:26:12

Würde mich auch sehr interessieren warum man hier keine

Schickschuld

annimmt, zumal der Gesetzgeber in 269 III die

Bringschuld

ja als subsidiär ansieht.

Shark

Shark

1.5.2025, 02:27:10

Aber man bezahlt den Lieferdienst doch extra dafür, dass er das Ding bringt. Finde ich jetzt nicht schlüssig. Man profitiert als Kunde ja immer, wenn etwas gebracht wird.

Nadim Sarfraz

Nadim Sarfraz

10.6.2025, 15:03:15

Lieber @[Charles "Chuck" McGill](291345), vielen Dank für Deine Nachfrage. In Rspr. und Lit. lassen sich keine einschlägigen Entscheidungen / Passagen finden, die konkreten Aufschluss liefern. Wenn man allerdings im Rahmen der "Natur des

Schuld

verhältnisses" gem. § 269 Abs. 1 BGB argumentiert, so lassen sich zumindest bei unserem Fall Argumente sowohl für eine Schick- als auch eine

Bringschuld

finden. Zunächst zum ebenfalls aufgeworfenen Fall einer Bestellung warmer Speisen ("Lieferando"). Hier würde ich stark dazu tendieren, dass die Natur des

Schuld

verhältnisses für eine

Bringschuld

spricht: Wie @[Shark](264930) bereits ausgeführt hat, ist hier maßgebliche Vertragsleistung, dass das warme Essen vor die Haustür gebracht wird. Der "Versand" (also der Transport des Essens) ist für den Besteller nicht nur ein neben der Hauptleistung zusätzlicher Komfort wie beim Versandhandel. Vielmehr prägt der Erfolg, dass das Essen warm und heil an der Haustür ankommt, den gesamten Vertragstyp und stellt mE sogar eine

Hauptleistungspflicht

dar. Hierfür spricht auch, dass der Dienstleister nicht nur wie beim Versandhandel die Versendungskosten auf den Käufer abwälzt, sondern sich die Transportleistung noch einmal extra vergüten lässt. Im Falle der Lieferung von Tiefkühlpizzen bewegt man sich in einem Bereich zwischen Versandhandel (idR

Schickschuld

) und Essensbestellung (nach meinen Darlegungen

Bringschuld

). Hier ließen sich mE beide Wege vertreten, wobei ich grundsätzlich auch eher zu einer

Bringschuld

tendieren würde, da auch hier der Transport eine nicht unwesentliche

Leistungspflicht

des Verkäufers darstellt (auch hier ließe sich das Arg. verwerten, dass idR der Transport noch einmal zu Extrakosten, die über den bloßen Versand hinausgehen, führt). Gerade weil der Käufer den Transport noch einmal extra vergütet, sollte das Risiko eines zufälligen Untergangs beim Transport auch hier beim Verkäufer liegen. Je nach vertraglicher Ausgestaltung im Einzelfall ließe sich aber auch eine Gegenmeinung vertreten, insbesondere wenn der Preis für Tiefkühlpizza und Transport beinahe dem Preis, der im Supermarkt zu entrichten wäre, entspricht. Dann wäre der Fall eher in Richtung des konventionellen Versandhandels einzuordnen. Man könnte dann eine Unterscheidung dahingehend treffen zwischen Lieferdiensten wie Flink (Transportdienstleistung stark eingepreist, schneller Transport als maßgebliche

Leistungspflicht

) und dem Lieferservice einschlägiger Supermarktketten wie REWE (Transportdienstleistung nicht derart starkt eingepreist, Versand innerhalb weniger Werktage). Da die Frage soweit ersichtlich noch nicht entschieden ist, bin ich natürlich auch gespannt auf Eure Meinung dazu bzw. weitere Ideen für Unterscheidungskriterien, welche im Rahmen der "Natur des

Schuld

verhältnisses" aufgegriffen werden könnten. Liebe Grüße, Nadim für das Jurafuchs-Team

OKA

okalinkk

17.3.2025, 23:19:29

was meint denn ein tatsächliches Anbieten iSv

294 BGB

? muss der

Schuld

ner hier am Haus klingeln? Zugang ist ja unstreitig nicht nötig, da ein

tatsächliches Angebot

ein

Realakt

und keine Willenserklärung ist (im Gegensatz zum wörtlichen Angebot, welches eine

rechtsgeschäftsähnliche Handlung

darstellt)

LMA

Lt. Maverick

20.4.2025, 20:34:31

Tatsächliches Angebot

meint, dass der Gläubiger nichts weiter tun muss als zuzugreifen. Das Angebot ist zwar ein

Realakt

, aber ich versuche mir im Geiste immer die Parallele zum Angebot als Willenserklärung herzuleiten, die so formuliert sein muss, dass der Annehmende nur noch mit „Ja“ antworten muss.

OKA

okalinkk

29.5.2025, 18:18:07

@[Lt. Maverick](229751) das leuchtet ein:) hier hätte also zumindest mal geklingelt werden müssen

JCF

JCF

14.5.2025, 14:41:38

In einem Maßstabskasten fehlen in dem Satz "Im Übrigen ist der Ort an dem die Leistungshandlung zu erbringen ist (Leistungsort bzw.

Erfüllungsort

) maßgeblich" zwei Kommas. In einem anderen Maßstabskasten steht "Bei der

Bringschuld

tritt

Konkretisierung

ein, wenn der

Schuld

ner die ausgesonderten Sache [...] bringt [...]". Hier müsste es "Sachen" heißen. 😉

Linne Hempel

Linne Hempel

19.5.2025, 12:48:43

Hallo JCF, vielen Dank für Deinen Hinweis! Wir haben den Fehler auf unsere Liste gesetzt und werden ihn im nächsten Korrekturgang beheben. Deine Aufmerksamkeit hilft uns, die Qualität unserer Inhalte hochzuhalten. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald wir den Fehler behoben haben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team


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