Leistungsort - Schickschuld

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Wegen des Lockdowns kann Leseratte L nicht wie gewohnt bei B einkaufen. Sie möchte B trotzdem unterstützen und kauft Juli Zehs neuestes Buch. B soll ihr das Buch schicken und die Versandkosten tragen. B beauftragt Postbote P mit dem Transport, wobei es unterwegs zerstört wird.

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Einordnung des Falls

Leistungsort - Schickschuld

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ob Ls Anspruch auf Übergabe und Übereignung des geschuldeten Buches aufgrund von Unmöglichkeit ausgeschlossen ist (§ 275 Abs. 1 BGB), bestimmt sich nach der Art der vereinbarten Schuld.

Ja!

Bei gegenstandsbezogenen Leistungspflichten hängt der Eintritt der Unmöglichkeit davon ab, ob noch ein geeigneter Leistungsgegenstand vorhanden ist. Dabei unterscheidet man Stück- und Gattungsschulden. Stückschuld liegt vor, wenn der Leistungsgegenstand individuell bestimmt wurde, also nur mit einem ganz bestimmten Gegenstand geleistet werden soll. Steht dieser nicht mehr zur Verfügung, so tritt Unmöglichkeit ein. Bei der Gattungsschuld (§ 243 Abs. 1 BGB) bestimmen die Parteien den Leistungsgegenstand bloß nach allgemeinen Merkmalen als Teil einer Gruppe von Gegenständen (Gattung). Vor der Konkretisierung (§ 243 Abs. 2 BGB) führt nur der Untergang der Gattung zur Unmöglichkeit.
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2. L und B haben eine Gattungsschuld vereinbart.

Genau, so ist das!

Eine Gattungsschuld (§ 243 Abs. 1 BGB) liegt vor, wenn der Leistungsgegenstand bloß nach allgemeinen Merkmalen als Teil einer Gruppe von Gegenständen (Gattung) bestimmt ist.L hat ein beliebiges Exemplar von Juli Zehs neuestem Buch bestellt. Damit haben L und B die Leistung nur nach allgemeinen Merkmalen bestimmt und eine Gattungsschuld vereinbart.

3. Ab wann die Gattungsschuld konkretisiert wird, bestimmt sich nach der vereinbarten Leistungshandlung.

Ja, in der Tat!

Mindestvoraussetzung der Konkretisierung ist die Auswahl und Aussonderung von Sachen mittlerer Art und Güte (§ 243 Abs. 1 BGB bzw. § 360 HGB). Im Übrigen ist der Ort an dem die Leistungshandlung zu erbringen ist (Leistungsort bzw. Erfüllungsort) maßgeblich. Hierbei unterscheidet man zwischen Hol-, Bring- und Schickschuld. Im Unterschied zur Bringschuld, ist der Schuldner bei der Schickschuld nicht verpflichtet, den Leistungsgegenstand zum Gläubiger zu bringen. Konkretisierung tritt bereits ein, wenn der Schuldner an seinem Sitz die Ware einer Transportperson übergibt. Achtung: Der Erfolg (Besitz-und Eigentumsübergang) und damit die Erfüllung (§ 362 Abs. 1 BGB) tritt dagegen erst am Sitz des Gläubigers ein.

4. Der Leistungsort ergibt sich vorrangig aus der Parteivereinbarung.

Ja!

Der Leistungsort richtet sich in erster Linie nach der Vereinbarung der Parteien oder den Umständen des Schuldverhältnisses (zB können Malerarbeiten nur im Haus des Gläubigers ausgeführt werden). Ist keine Vereinbarung getroffen und ergibt sich der Leistungsort auch nicht aus den Umständen, so hat der Schuldner die Leistungshandlung an seinem Wohnsitz (§ 269 Abs. 1 BGB) bzw. Gewerbesitz (§ 269 Abs. 2 BGB) vorzunehmen.

5. Da B die Versandkosten übernimmt, haben die Parteien als Leistungsort den Wohnsitz der L vereinbart (§ 269 Abs. 3 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Leistungsort richtet sich zunächst nach der Vereinbarung der Parteien oder den Umständen des Schuldverhältnisses. Dabei ist explizit normiert, dass sich aus dem Umstand, dass der Schuldner die Versandkosten trägt, keine Anhaltspunkte für den Willen der Parteien hinsichtlich der Bestimmung des Leistungsortes ergeben (§ 269 Abs. 3 BGB). Die Übernahme der Versandkosten durch B stellt damit kein Indiz für eine Vereinbarung hinsichtlich des Leistungsortes dar. Die Parteien haben bezüglich des Leistungsortes auch sonst nichts vereinbart. Damit liegt der Leistungsort nach der gesetzlichen Konzeption am Sitz der B. Es handelt sich um eine Schickschuld.

6. Indem B das Buch an P übergeben hat, hat sie die geschuldete Gattungsschuld konkretisiert (§ 243 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Konkretisierung tritt bei der Schickschuld ein, wenn der Schuldner die ausgesonderte Ware mittlerer Art und Güte an seinem Sitz einer Transportperson übergibt. B hat durch Übergabe an P alles zur Erfüllung ihrer Leistung Erforderliche getan. Damit tritt die Konkretisierung ein.

7. L kann von B Übergabe und Übereignung eines anderen Exemplars verlangen.

Nein!

Nach der Konkretisierung der Gattungsschuld ist der Eintritt der Unmöglichkeit nach den gleichen Grundsätzen wie bei der Stückschuld zu beurteilen. Die Leistungspflicht beschränkt sich auf die Sache, an der der Schuldner das Erforderliche vorgenommen hat (§ 243 Abs.2 BGB). Indem B alles zur Erfüllung ihrer Leistung erforderliche vorgenommen hat, hat B die geschuldete Gattungssschuld auf das ausgesonderte Buch beschränkt (§ 243 Abs. 2 BGB). Da dieses bei dem Transport zerstört wurde, ist Bs Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Buches untergegangen (§ 275 Abs. 1 BGB). Sofern L den Kaufpreis trotzdem bezahlen muss (§ 447 Abs. 1 BGB), stellt sich die Frage, ob er diesen ersetzt bekommt. In Betracht kommt hierbei ein Anspruch gegen die Post (§ 421 Abs. 1 S. 2 HGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Johaennzen

Johaennzen

24.11.2021, 10:19:36

Man könnte bei dieser Aufgabe ggf. als Vertiefungshinweis anführen, dass es sich dabei um einen Fallgruppe der DSL bzw. der §§421ff. HGB (sofern die Transportperson Frachtführer ist) handelt.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

24.11.2021, 10:54:19

Sehr guter Hinweis, Johaennzen. Sofern hier kein Verbrauchsgüterkauf vorliegt (vgl. § 475 Abs. 2 BGB), ist in der Tat § 447 Abs. 1 BGB vollumfänglich anwendbar und bereits zum Zeitpunkt der Versendung geht die Preisgefahr auf L über. Dann stellt sich in der Tat die Frage, wie L dieses

Geld

wiederbekommt. Vorliegend dürfte dies allein über § 421 Abs. 1 S. 2 HGB möglich sein, da Voraussetzung für die Anwendung der Grundsätze der

Drittschadensliquidation

ist, dass es an einem Anspruch des Geschädigten fehlt. Wir werden diese Aspekte im Rahmen der

Drittschadensliquidation

allesamt noch näher beleuchten. Einen kleinen Hinweis haben wir aber vorab schon aufgenommen. Danke Dir und beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

FML

FML

8.12.2021, 11:28:04

Vllt könntet ihr den Sachverhalt etwas genauer gestalten? Bei wiederholten Käufen bei B und der L als „Leseratte“ von Belletristik hatte ich sofort an einen Verbrauchsgüterkauf und §

475 II

BGB gedacht.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.12.2021, 12:16:41

Hallo FML, sehr guter und naheliegender Gedanke! Die Frage, ob L Verbraucherin ist oder nicht, ist allerdings für die Frage des Untergangs der Primär

leistungspflicht

zunächst unbeachtlich. Denn § 475 Abs. 2 BGB betrifft insoweit nicht die

Leistungsgefahr

(muss B das Buch nochmal schicken), sondern nur die Preisgefahr (muss L das Buch bezahlen, obwohl es zerstört wurde). Hier kommt man dan in der Tat zu unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem, ob V Verbraucherin ist (dann nicht, da B die Preisgefahr nach § 475 Abs. 2 BGB zu tragen hat) oder ob sie gewerblich tätig ist (dann greift § 447 Abs. 1 BGB und zu fragen wäre, wie sie das

Geld

vom Paketdienst wieder bekommt). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

FML

FML

8.12.2021, 12:31:43

Ach da war ja was mit

Leistungsgefahr

und Preisgefahr… mein Fehler. Vllt könntet ihr noch eine Einheit machen, in der man unterschiedliche Normen den beiden Begriffen zuordnen muss? (Falls es das noch nicht gibt) So á la 275 vs 326 etc…

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.12.2021, 13:09:02

Hi FML, schönee Vorschlag. In diese Richtung gehen die Aufgaben in der Session : Erlöschen der Gegen

leistungspflicht

am Ende dieses Kapitel ( https://applink.jurafuchs.de/GFvrDrFSOlb). Schau gern einmal rein :-)

QUIG

QuiGonTim

20.7.2022, 14:30:25

Ihr verweist zur Begründung des Leistungsortes auf die “gesetzliche Konzeption”. Ergibt sich der Leistungsort am Sitz der B nun aus der vereinbarten Schickschuld oder erst aus dem Rückgriff auf § 269 Abs. 2 BGB?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

11.8.2022, 09:43:00

Hallo QuiGonTim, der Leistungsort ergibt sich aus der gesetzlichen Konzeption der Schickschuld. Diese führt dazu, dass Leistungsort sprich die Vornahme der geschuldeten Leistungshandlung und der

Erfolgsort

, also der Eintritt der Erfüllung auseinanderfallen. Der Leistungsort liegt dann beim Schuldner, hier also die gewerbliche Niederlassung. Der

Erfolgsort

hingegen liegt beim Gläubiger, also dem Wohnsitz der L. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Pilea

Pilea

10.12.2022, 12:15:19

§ 269 III spricht ja vom Schuldner. Woher weiß ich, ob der Schuldner des

Geld

es oder der

Kaufsache

gemeint ist?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

16.12.2022, 18:10:34

Hallo Pilea, bei einem Austauschvertrag ist jede Partei zugleich Schuldner und Gläubiger. B schuldet die Übergabe und

Übereignung

des Buches (§ 433 Abs. 1 BGB) und ist diesbezüglich Schuldnerin. L wiederum schuldet die Zahlung des Kaufpreises (§ 433 Abs. 2 BGB), sodass sie diesbezüglich Schuldnerin ist. Für beide Leistungen ist §

269 BGB

anwendbar, sodass die Leistungsorte auseinanderfallen. Beide haben ihre Leistungshandlung also im Zweifel bei sich zu erbringen (beachte bzgl.

Geld

schulden auch § 270 BGB, der allerdings die Regeln zum Leistungsort unberührt lässt). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

RAP

Raphaeljura

3.6.2023, 01:26:58

Ich habe eine grundsätzliche Frage. Warum wird bei der Schickschuld das Risiko auf den Empfänger verlagert? Man könnte es ja auch andersrum machen. Also wie ist da die rechtliche Wertung?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.6.2023, 18:40:43

Hallo Raphaeljura, danke für die Frage. Der Hintergrund dieser Regelung des Übergangs der Sach- und Preisgefahr ist eine politische Frage. Man hat sich entschieden, den Empfänger der Schickschuld das Risiko tragen zu lassen (aufgrund europarechtlicher Vorgaben weicht der Verbrauchsgüterkauf davon ab). Als Überlegung könnte man hier beispielsweise die Beweislastverteilung anführen. Dem Grunde nach ist es aber nicht zwingend. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

VALA

Vanilla Latte

15.10.2023, 23:39:43

Eine Frage: Wie unterscheide ich Bringschuld und Schickschuld, wenn Letzteres auch durch eigene Mitarbeiter ausgeführt werden darf?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

16.10.2023, 16:42:31

Hallo Vanilla Latte, letztlich handelt es sich dabei um eine Auslegung des Vertrages. Maßgebliches Abgrenzungskriterium ist die Frage der Gefahrtragung. Im Fall der Schickschuld trägt der Schuldner nur die Verantwort bis zur Übergabe an eine Transportperson, bei der Bringschuld ist er für die Anlieferung an den Ort des Gläubigers verantwortlich. Hier musst Du den Sachverhalt jeweils auswerten. Der Transport durch eigene Mitarbeiter kann aber durchaus ein Indiz für die Vereinbarung einer Bringschuld sein. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

PAULA2

Paula23

21.12.2023, 10:12:56

Würde das Ergebnis anders ausfallen, wenn man einen Verbrauchsgüterkauf annähme? Nach 447II BGB verlagert sich die Gefahr des zufälligen Untergangs nur in einem begrenzten Rahmen auf den Käufer.

NI

Nikudo

4.1.2024, 13:50:01

Wenn es sich im vorliegenden Fall um einen Verbrauchsgüterkauf gem. § 474 I BGB gehandelt hätte, wäre §

475 II

BGB einschlägig gewesen. Dann wäre die Gefahr des zufälligen Untergangs nur auf die Käuferin übergegangen, wenn sie die Transportperson (P) ausgesucht und mit der Lieferung beauftragt und P nicht vorher durch den Verkäufer benannt worden wäre.

NI

Nikudo

4.1.2024, 14:17:14

Um auf deine Frage einzugehen, ob sich etwas ändern würde: Es ändert sich lediglich etwas im Hinblick auf die Preisgefahr, also die Gefahr selber leisten zu müssen, aber keine Gegenleistung zu erhalten. Grundsätzlich geht die Preisgefahr erst mit der Übergabe des Kaufgegenstandes gem. § 446 BGB auf den Käufer über. Beim

Versendungskauf

geht die Preisgefahr jedoch bereits mit der Übergabe an den Transporteur auf den Käufer über, § 447 BGB. §

475 II

BGB bestimmt zu Gunsten von Verbrauchern, dass die Preisgefahr beim

Versendungskauf

, welcher sich zugleich als Verbrauchsgüterkauf darstellt, erst mit der Übergabe auf ihn übergeht. §

475 II

BGB ist also für die Kaufpreiszahlungspflicht des Käufers von entscheidender Bedeutung und spielt bei § 326 BGB eine Rolle.

0815jurafuchs

0815jurafuchs

24.3.2024, 09:31:46

Hallo liebes Jurafuchs-Team. Ihr schreibt L könnte über 421 HGB einen Anspruch gegen den Frachtführer auf Schadensersatz haben. Ist hier 421 HGB direkt auch für Verbraucher anwendbar oder müsste dies durch B über die

Drittschadensliquidation

erfolgen, weil nur sie Kaufmann ist?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

27.3.2024, 13:54:58

Hallo 0815jurafuchs, danke für deine Frage! Bei der Abwicklung eines Frachtvertrages ist gem § 421 I 2 HGB der Transportempfänger berechtigt, den Schadenersatzanspruch des Auftraggebers geltend zu machen. Einer

Drittschadensliquidation

bedarf es deshalb bei Einschaltung eines Frachtführers beim

Versendungskauf

nicht. L kann damit direkt aus § 421 I 2 HGB gegen U vorgehen. Wird hingegen innerhalb eines

Versendungskauf

es ein Spediteur (§ 453 HGB) mit dem Transport beauftragt, so ist § 421 I 2 HGB nur dann direkt auf den Spediteur anwendbar, wenn er den Transport selbst ausführt (§ 458 S 2 HGB). Bedient sich der Spediteur wiederum eines Frachtführers, so kann sich der Empfänger aus dem Transportverhältnis grds nur an den Frachtführer, nicht jedoch an den Spediteur halten. Insgesamt spielt der

Versendungskauf

gem § 447 BGB hinsichtlich der Anwendung der

Drittschadensliquidation

damit nur eine untergeordnete Rolle. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

0815jurafuchs

0815jurafuchs

27.3.2024, 14:27:51

Alles klar, danke!


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