Zivilrecht
Schuldrecht Allgemeiner Teil
Unmöglichkeit (§ 275 BGB) (Leistungsstörungsrecht)
Leistungsort - Schickschuld
Leistungsort - Schickschuld
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Wegen des Lockdowns kann Leseratte L nicht wie gewohnt bei B einkaufen. Sie möchte B trotzdem unterstützen und kauft Juli Zehs neuestes Buch. B soll ihr das Buch schicken und die Versandkosten tragen. B beauftragt Postbote P mit dem Transport, wobei es unterwegs zerstört wird.
Diesen Fall lösen 88,1 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Leistungsort - Schickschuld
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Ob Ls Anspruch auf Übergabe und Übereignung des geschuldeten Buches aufgrund von Unmöglichkeit ausgeschlossen ist (§ 275 Abs. 1 BGB), bestimmt sich nach der Art der vereinbarten Schuld.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. L und B haben eine Gattungsschuld vereinbart.
Genau, so ist das!
3. Ab wann die Gattungsschuld konkretisiert wird, bestimmt sich nach der vereinbarten Leistungshandlung.
Ja, in der Tat!
4. Der Leistungsort ergibt sich vorrangig aus der Parteivereinbarung.
Ja!
5. Da B die Versandkosten übernimmt, haben die Parteien als Leistungsort den Wohnsitz der L vereinbart (§ 269 Abs. 3 BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
6. Indem B das Buch an P übergeben hat, hat sie die geschuldete Gattungsschuld konkretisiert (§ 243 Abs. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
7. L kann von B Übergabe und Übereignung eines anderen Exemplars verlangen.
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Johaennzen
24.11.2021, 10:19:36
Man könnte bei dieser Aufgabe ggf. als Vertiefungshinweis anführen, dass es sich dabei um einen Fallgruppe der DSL bzw. der §§421ff. HGB (sofern die Transportperson Frachtführer ist) handelt.
Lukas_Mengestu
24.11.2021, 10:54:19
Sehr guter Hinweis, Johaennzen. Sofern hier kein
Verbrauchsgüterkaufvorliegt (vgl.
§ 475 Abs. 2 BGB), ist in der
Tat§ 447 Abs. 1 BGB vollumfänglich anwendbar und bereits zum Zeitpunkt der Versendung geht die Preisgefahr auf L über. Dann stellt sich in der
Tatdie Frage, wie L dieses Geld wiederbekommt. Vorliegend dürfte dies allein über § 421 Abs. 1 S. 2 HGB möglich sein, da Voraussetzung für die Anwendung der Grundsätze der
Drittschadensliquidationist, dass es an einem Anspruch des Geschädigten fehlt. Wir werden diese Aspekte im Rahmen der
Drittschadensliquidationallesamt noch näher beleuchten. Einen kleinen Hinweis haben wir aber vorab schon aufgenommen. Danke Dir und beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
FML
8.12.2021, 11:28:04
Vllt könntet ihr den Sachverhalt etwas genauer gestalten? Bei wiederholten Käufen bei B und der L als „Leseratte“ von Belletristik hatte ich sofort an einen
Verbrauchsgüterkaufund §475 II BGB gedacht.
Lukas_Mengestu
8.12.2021, 12:16:41
Hallo FML, sehr guter und naheliegender Gedanke! Die Frage, ob L Verbraucherin ist oder nicht, ist allerdings für die Frage des Untergangs der
Primärleistungspflichtzunächst unbeachtlich. Denn
§ 475 Abs. 2 BGBbetrifft insoweit nicht die
Leistungsgefahr(muss B das Buch nochmal schicken), sondern nur die Preisgefahr (muss L das Buch bezahlen, obwohl es zerstört wurde). Hier kommt man dan in der
Tatzu unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem, ob V Verbraucherin ist (dann nicht, da B die Preisgefahr nach
§ 475 Abs. 2 BGBzu tragen hat) oder ob sie gewerblich tätig ist (dann greift § 447 Abs. 1 BGB und zu fragen wäre, wie sie das Geld vom Paketdienst wieder bekommt). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
FML
8.12.2021, 12:31:43
Ach da war ja was mit
Leistungsgefahrund Preisgefahr… mein Fehler. Vllt könntet ihr noch eine Einheit machen, in der man unterschiedliche Normen den beiden Begriffen zuordnen muss? (Falls es das noch nicht gibt) So á la 275 vs 326 etc…
Lukas_Mengestu
8.12.2021, 13:09:02
Hi FML, schönee Vorschlag. In diese Richtung gehen die Aufgaben in der Session : Erlöschen der Gegenleistungspflicht am Ende dieses Kapitel ( https://applink.jurafuchs.de/GFvrDrFSOlb). Schau gern einmal rein :-)
QuiGonTim
20.7.2022, 14:30:25
Ihr verweist zur Begründung des Leistungsortes auf die “gesetzliche Konzeption”. Ergibt sich der Leistungsort am Sitz der B nun aus der vereinbarten
Schickschuldoder erst aus dem Rückgriff auf § 269 Abs. 2 BGB?
Nora Mommsen
11.8.2022, 09:43:00
Hallo QuiGonTim, der Leistungsort ergibt sich aus der gesetzlichen Konzeption der
Schickschuld. Diese führt dazu, dass Leistungsort sprich die Vornahme der geschuldeten Leistungshandlung und der
Erfolgsort, also der Eintritt der Erfüllung auseinanderfallen. Der Leistungsort liegt dann beim Schuldner, hier also die gewerbliche Niederlassung. Der
Erfolgsorthingegen liegt beim Gläubiger, also dem Wohnsitz der L. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Pilea
10.12.2022, 12:15:19
§ 269 III spricht ja vom Schuldner. Woher weiß ich, ob der Schuldner des Geldes oder der Kaufsache gemeint ist?
Lukas_Mengestu
16.12.2022, 18:10:34
Hallo Pilea, bei einem Austauschvertrag ist jede Partei zugleich Schuldner und Gläubiger. B schuldet die Übergabe und
Übereignungdes Buches (§ 433 Abs. 1 BGB) und ist diesbezüglich Schuldnerin. L wiederum schuldet die Zahlung des Kaufpreises (§ 433 Abs. 2 BGB), sodass sie diesbezüglich Schuldnerin ist. Für beide Leistungen ist §
269 BGBanwendbar, sodass die Leistungsorte auseinanderfallen. Beide haben ihre Leistungshandlung also im Zweifel bei sich zu erbringen (beachte bzgl. Geldschulden auch § 270 BGB, der allerdings die Regeln zum Leistungsort unberührt lässt). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Raphaeljura
3.6.2023, 01:26:58
Ich habe eine grundsätzliche Frage. Warum wird bei der
Schickschulddas Risiko auf den Empfänger verlagert? Man könnte es ja auch andersrum machen. Also wie ist da die rechtliche Wertung?
Nora Mommsen
3.6.2023, 18:40:43
Hallo Raphaeljura, danke für die Frage. Der Hintergrund dieser Regelung des Übergangs der Sach- und Preisgefahr ist eine politische Frage. Man hat sich entschieden, den Empfänger der
Schickschulddas Risiko tragen zu lassen (aufgrund europarechtlicher Vorgaben weicht der
Verbrauchsgüterkaufdavon ab). Als Überlegung könnte man hier beispielsweise die Beweislastverteilung anführen. Dem Grunde nach ist es aber nicht zwingend. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Vanilla Latte
15.10.2023, 23:39:43
Eine Frage: Wie unterscheide ich Bringschuld und
Schickschuld, wenn Letzteres auch durch eigene Mitarbeiter ausgeführt werden darf?
Lukas_Mengestu
16.10.2023, 16:42:31
Hallo Vanilla Latte, letztlich handelt es sich dabei um eine Auslegung des Vertrages. Maßgebliches Abgrenzungskriterium ist die Frage der Gefahrtragung. Im Fall der
Schickschuldträgt der Schuldner nur die Verantwort bis zur Übergabe an eine Transportperson, bei der Bringschuld ist er für die Anlieferung an den Ort des Gläubigers verantwortlich. Hier musst Du den Sachverhalt jeweils auswerten. Der Transport durch eigene Mitarbeiter kann aber durchaus ein Indiz für die Vereinbarung einer Bringschuld sein. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Paula23
21.12.2023, 10:12:56
Würde das Ergebnis anders ausfallen, wenn man einen
Verbrauchsgüterkaufannähme? Nach 447II BGB verlagert sich die Gefahr des zufälligen Untergangs nur in einem begrenzten Rahmen auf den Käufer.
Nikudo
4.1.2024, 13:50:01
Wenn es sich im vorliegenden Fall um einen
Verbrauchsgüterkaufgem. § 474 I BGB gehandelt hätte, wäre § 475 II BGB einschlägig gewesen. Dann wäre die Gefahr des zufälligen Untergangs nur auf die Käuferin übergegangen, wenn sie die Transportperson (P) ausgesucht und mit der Lieferung beauftragt und P nicht vorher durch den Verkäufer benannt worden wäre.
Nikudo
4.1.2024, 14:17:14
Um auf deine Frage einzugehen, ob sich etwas ändern würde: Es ändert sich lediglich etwas im Hinblick auf die Preisgefahr, also die Gefahr selber leisten zu müssen, aber keine Gegenleistung zu erhalten. Grundsätzlich geht die Preisgefahr erst mit der Übergabe des Kaufgegenstandes gem. § 446 BGB auf den Käufer über. Beim
Versendungskaufgeht die Preisgefahr jedoch bereits mit der Übergabe an den Transporteur auf den Käufer über, § 447 BGB. § 475 II BGB bestimmt zu Gunsten von Verbrauchern, dass die Preisgefahr beim
Versendungskauf, welcher sich zugleich als
Verbrauchsgüterkaufdarstellt, erst mit der Übergabe auf ihn übergeht. § 475 II BGB ist also für die Kaufpreiszahlungspflicht des Käufers von entscheidender Bedeutung und spielt bei §
326 BGBeine Rolle.
0815jurafuchs
24.3.2024, 09:31:46
Hallo liebes Jurafuchs-Team. Ihr schreibt L könnte über 421 HGB einen Anspruch gegen den Frachtführer auf Schadensersatz haben. Ist hier 421 HGB direkt auch für Verbraucher anwendbar oder müsste dies durch B über die
Drittschadensliquidationerfolgen, weil nur sie Kaufmann ist?
Nora Mommsen
27.3.2024, 13:54:58
Hallo 0815jurafuchs, danke für deine Frage! Bei der Abwicklung eines Frachtvertrages ist gem § 421 I 2 HGB der Transportempfänger berechtigt, den Schadenersatzanspruch des Auftraggebers geltend zu machen. Einer
Drittschadensliquidationbedarf es deshalb bei Einschaltung eines Frachtführers beim
Versendungskaufnicht. L kann damit direkt aus § 421 I 2 HGB gegen U vorgehen. Wird hingegen innerhalb eines
Versendungskaufes ein Spediteur (§ 453 HGB) mit dem Transport beauftragt, so ist § 421 I 2 HGB nur dann direkt auf den Spediteur anwendbar, wenn er den Transport selbst ausführt (§ 458 S 2 HGB). Bedient sich der Spediteur wiederum eines Frachtführers, so kann sich der Empfänger aus dem Transportverhältnis grds nur an den Frachtführer, nicht jedoch an den Spediteur halten. Insgesamt spielt der
Versendungskaufgem § 447 BGB hinsichtlich der Anwendung der
Drittschadensliquidationdamit nur eine untergeordnete Rolle. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
0815jurafuchs
27.3.2024, 14:27:51
Alles klar, danke!
der D
16.10.2024, 09:44:21
Ich denke ein anderes Beispiel würde sich hier besser eignen? Hier wird, auch im Zusammenspiel mit dem Bild, davon ausgegangen, dass das Buch bei einer Bücherei bestellt wird, wobei eine solche im Regelfall unter 14 BGB fallen würde? Damit würde ein
Verbrauchsgüterkaufvorliegen und 447 BGB mit der Maßgabe des 475 II BGB gelten. Vielleicht wäre es geeigneter, wenn hier eine Sache bei einer offensichtlichen Privatperson (bspw. über eine Internetplattform) bestellt würde.
hardymary
2.12.2024, 23:19:16
Habe deswegen auch die letzte Frage falsch beantwortet. Fand es eigentlich deutlich, dass eine B2C vorliegt.
hardymary
2.12.2024, 23:21:38
Allerdings ändert sich bei § 475 II nichts bzgl. der
Leistungsgefahr, sondern nur bzgl. der Preisgefahr