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Ärztin T möchte die künstliche Ernährung ihres Komapatienten O einstellen. Dafür schaltet sie das Gerät ab, belässt die Schläuche aber noch an Ort und Stelle. Ein Neustart dauert etwa 20 Minuten. Der Tod soll nach der Vorstellung der T durch Verdursten nach 48 Stunden eintreten.

Einordnung des Falls

Bei versuchter Unterlassung 11

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der versuchte Totschlag durch Unterlassen ist strafbar (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB).

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Ja, in der Tat!

Der Versuch durch Unterlassen ist dann strafbar, wenn es sich um ein Delikt handelt, bei dem der Versuch auch durch Handlung strafbar ist. Rechtsfolge des § 13 Abs. 1 StGB ist die Gleichstellung des Unterlassens mit einer Handlung im engeren Sinne. Dabei ist wie sonst auch der Versuch eines Verbrechens stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Totschlag ist ein Verbrechen, da die angedrohte Mindestfreiheitsstrafe 5 Jahre beträgt (§§ 212 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB).

2. T hatte „Tatentschluss“ bezüglich der objektiven Merkmale des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB).

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Ja!

Es gelten die Maßstäbe, die auch sonst für den Versuch gelten, wobei die Merkmale der unechten Unterlassungstat ebenfalls in den Vorsatz aufgenommen werden müssen. Die hier vorgenommene Zweiteilung dient der Verständlichkeit. Vorliegend hat T Vorsatz in Bezug auf den Tod des O.

3. T hatte nach herrschender Meinung „Tatentschluss“, den Totschlag durch Unterlassen zu begehen.

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Genau, so ist das!

Nach herrschender Meinung ist das Unterlassen der weiteren Behandlung, wie etwa der künstlichen Ernährung, nur als Unterlassen zu werten, auch wenn das Abschalten selbst einer Handlung bedarf. Die Situation ist vergleichbar mit dem Abbruch einer Rettungshandlung. Dies müsse auch deshalb gelten, weil ein Unterlassen dann vorliegen würde, wenn keine weitere Sondennahrung zugeführt würde. Eine unterschiedliche strafrechtliche Wertung ist nicht angebracht. T hat Vorsatz in Bezug auf das Unterlassen der weiteren Behandlung. Auch handelte T vorsätzlich zumindest in der Laiensphäre in Bezug auf die anderen Voraussetzungen und in Bezug auf ihre Beschützergarantenstellung.

4. Das unmittelbare Ansetzen beim Unterlassungsdelikt gleicht dem unmittelbaren Ansetzen durch Tätigkeit.

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Nein, das trifft nicht zu!

Das unmittelbare Ansetzen beim Unterlassungsdelikt weicht vom unmittelbaren Ansetzen beim Handlungsdelikt ab, da beim Handlungsdelikt am Vorgehen des Täters angeknüpft wird. Zwar lässt sich die gleiche Definition anwenden, allerdings sind die Kriterien beim Unterlassungsdelikt noch weniger greifbar, da regelmäßig nur an einen Zeitablauf angeknüpft wird und nicht an eine vom Täter vorgestellte Handlungskette.

5. T hat mit dem Abschalten der Geräte unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt.

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Nein!

Die herrschende Meinung geht daher von einem unmittelbaren Ansetzen (§ 22 StGB) aus, wenn die erste mögliche Rettungshandlung nicht vorgenommen wird und eine unmittelbare Gefahr für das geschützte Rechtsgut entsteht. T ging davon aus, dass O erst mit einigem Zeitablauf durch Verdursten sterben würde. Auch hat sie die Schläuche so belassen, dass das Gerät nur hätte eingeschaltet werden müssen. Eine unmittelbare Gefährdung besteht zum Zeitpunkt des Abschaltens daher noch nicht.

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