Bei versuchter Unterlassung 9

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T stößt versehentlich und fahrlässig den betrunkenen O in das Gleisbett am Bahnhof. O bleibt dort liegen, was T auf die Trunkenheit des O zurückführt. T weiß, dass in einer Stunde der nächste Zug eintritt und unternimmt nichts. Nach einer halben Stunde besinnt er sich und holt O aus dem Gleisbett.

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Einordnung des Falls

Bei versuchter Unterlassung 9

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der versuchte Totschlag durch Unterlassen ist strafbar (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB).

Genau, so ist das!

Der Versuch durch Unterlassen ist dann strafbar, wenn es sich um ein Delikt handelt, bei dem der Versuch auch durch Handlung strafbar ist. Rechtsfolge des § 13 Abs. 1 StGB ist die Gleichstellung des Unterlassens mit einer Handlung im engeren Sinne. Dabei ist wie sonst auch der Versuch eines Verbrechens stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Totschlag ist ein Verbrechen, da die angedrohte Mindestfreiheitsstrafe 5 Jahre beträgt (§§ 212 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB).
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2. T hatte „Tatentschluss“ bezüglich der objektiven Merkmale des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Es gelten die Maßstäbe, die auch sonst für den Versuch gelten, wobei der Täter die Merkmale der unechten Unterlassungstat ebenfalls in den Vorsatz aufgenommen haben muss. T hatte Vorsatz in Bezug auf die objektiven Merkmale des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB), also die Tötung eines Menschen, da er erkennt, dass O vom Zug überfahren werden würde. Die hier vorliegende Zweiteilung dient der Verständlichkeit.

3. T hatte „Tatentschluss“, den Totschlag durch Unterlassen zu begehen.

Ja!

T erkannte, dass er O aus dem Gleisbett holen könnte und diese Handlung unterlassen, wobei er weiß, dass der Tod von O dadurch ausbleiben würde (Quasi-Kausalität). T erkannte, dass er die Gefährdung durch das fahrlässige Stoßen des O in das Gleisbett verursacht hat und daher für diese verantwortlich ist. Damit hat er Vorsatz bezüglich seiner Garantenposition durch Ingerenz in Form der Parallelwertung in seiner Laiensphäre. Die Entsprechungsklausel ist bei § 212 StGB nach herrschender Meinung nicht relevant.

4. Das unmittelbare Ansetzen beim Unterlassungsdelikt gleicht dem unmittelbaren Ansetzen durch Tätigkeit.

Nein, das ist nicht der Fall!

Das unmittelbare Ansetzen beim Unterlassungsdelikt weicht vom unmittelbaren Ansetzen beim Handlungsdelikt ab, da beim Handlungsdelikt am Vorgehen des Täters angeknüpft wird. Zwar lässt sich die gleiche Definition anwenden, allerdings sind die Kriterien beim Unterlassungsdelikt noch weniger greifbar, da regelmäßig nur an einen Zeitablauf angeknüpft wird und nicht an eine vom Täter vorgestellte Handlungskette.

5. T hat nach herrschender Meinung unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt.

Nein, das trifft nicht zu!

Die herrschende Meinung geht daher von einem unmittelbaren Ansetzen (§ 22 StGB) aus, wenn die erste mögliche Rettungshandlung nicht vorgenommen wird und eine unmittelbare Gefahr für das geschützte Rechtsgut entsteht. T hat den O nicht aus dem Gleisbett geholt, obwohl er wusste, dass ein Zug kommen würde. Eine unmittelbare Gefährdung erfordert nach der Vorstellung des T jedoch das baldige Eintreffen des Zuges. T setzt daher erst dann unmittelbar an, wenn das Eintreffen unmittelbar bevorsteht. Dabei kommt es auch darauf an, wie lange er nach seiner Vorstellung für die Rettungshandlung braucht.

6. Andere Theorien stellen auf absolute Zeitpunkte ab.

Ja!

Andere Theorien orientieren sich nicht an der Gefährdung, sondern an Zeitpunkten zwischen Vorsatz und Vollendung oder Fehlschlag. Dabei stellt eine Theorie auf die letzte Handlungsmöglichkeit ab und eine andere auf die erste Handlungsmöglichkeit. Zwar werden die Theorien beide abgelehnt, in der Praxis wird jedoch im Ergebnis häufig auf die erste Handlungsmöglichkeit abgestellt, da das Kriterium der unmittelbaren Gefährdung wertungsoffen ist. Daneben wird teilweise vertreten, dass die letzte sichere Handlungsmöglichkeit ausschlaggebend ist. Bei der Argumentation für oder gegen eine Theorie muss man sich auch an der Wertung für das unmittelbare Ansetzen durch Handlung orientieren, da das Gesetz gerade keine Sonderregelungen für das Unterlassen vorsieht.
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