Strafrecht
Strafrecht Allgemeiner Teil
Objektive Zurechnung
Ärztlicher Narkosefehler nach Schussverletzung
Ärztlicher Narkosefehler nach Schussverletzung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A will seinen Rivalen B töten und gibt zwei Schüsse auf ihn ab. Beide sind nicht tödlich und treffen nur B's Arme. B flüchtet in das nahe gelegene Krankenhaus. Dort wird B von Dr. D operiert. D unterläuft ein grober Narkosefehler. B stirbt daran.
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Einordnung des Falls
Ärztlicher Narkosefehler nach Schussverletzung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A ist der Tod des B objektiv zuzurechnen.
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Marc.o.polo
25.1.2020, 16:46:01
Ist der Tod durch typisch auftretende Behandlungsfehler nicht auch ein zu erwartendes, nicht vollkommen außerhalb der Lebensrealität liegendes Risiko, das typischerweise vom Täter mitverursacht wird?
ASoullessSoul
29.1.2020, 15:29:35
Bei leichten Behandlungsfehlern, die häufiger passieren, ja. Das Zurückbleiben einer unschönen Narbe durch eine übereilte Behandlung durch den Arzt wäre dem Täter zuzurechnen. Bei groben Fehlern sieht das anders aus. Dann könnte ja einem Mann, der einen Radfahrer durch Anfahren leicht verletzt hat, der Tod desselbigen zugerechnet werden, weil der zuständige Arzt eine deutlich zu hohe Dosis Narkosemittel verabreicht.
S3tr
9.7.2020, 13:26:23
Ich verstehe nicht wieso man auf den erstverursacher anspricht ? Dieser hat doch mit der Tötung gar nichts zu tun und es wäre doch sehr weit gefasst das anzusprechen.
Marilena
9.7.2020, 15:29:20
Hallo S3tr, danke für die Nachfrage. Erstverursacher A hat immerhin eine kausale Bedingung für den Tod des B gesetzt, deshalb wird er hier angesprochen. Denn hätte A den B nicht angeschossen, wäre B nicht in das Krankenhaus geflüchtet und hätte nicht behandelt werden müssen. Im Rahmen der objektiven Zurechnung stellt sich dann aber die Frage, ob der Tod des B nicht eher das Werk eines Dritten (Fallgruppe: eigenverantwortliches Dazwischentreten eines Dritten), hier des Arztes D ist, statt ein Werk des A. Dies ist zu bejahen, da D mit dem groben Narkosefehler eine neue selbständige Gefahr gesetzt hat.
S3tr
9.7.2020, 15:31:10
Dann würde man also Totschlag durch A verneinen durch
Dazwischentreten Dritter, Versuchten Totschlag durch A bejahen und D Totschlag bejahen ?
Marilena
9.7.2020, 15:47:48
Was A angeht, ja genau. Bei D würde ich eher fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) bejahen, für die Annahme eines Tötungsvorsatzes ist der SV mE zu dünn.
S3tr
9.7.2020, 15:49:31
Ich dachte man braucht keinen Tötungsvorsatz (hab woanders nachgefragt und da wurde das verneint)
Marilena
9.7.2020, 15:59:55
Du beziehst Dich auf die Antwort von Eigentum verpflichtet in einem anderen Thread, vermute ich. Für Totschlag brauchst Du natürlich Vorsatz (Wissen und wollen der Tatumstände) bezüglich des objektiven Tatbestandes, das heißt bezüglich der Tötung eines Menschen. Dafür reicht bedingter Vorsatz (
Eventualvorsatz: Täter erkennt den Erfolgseintritt als möglich und nimmt die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf). Du brauchst aber keine Tötungsabsicht im Sinne eines
dolus directus 1. Grades(zielgerichtetes Wollen).
S3tr
9.7.2020, 16:02:10
Ich finde es iwie verwirrend, denn nach Ansicht des BGH ist ein Tötungsabsicht erforderlich, um die Hemmschwelle zum Töten einer Person zu überwinden und die Erfüllung des 212 nicht nebenbei einfach Mal zu bejahen... Weiss aber Grad nicht in welchem Fall das drankam... Ich meld mich, wenn's evtl. Mal klarer wird.
Marilena
9.7.2020, 16:07:41
Lies das nochmal nach und melde Dich gerne nochmal. Ich glaube, Du verwechselst da was. Hier ein Zitat aus BGH StR 377/18 - Urteil vom 24.
April 2019: „Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Ziels willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet (Willenselement), mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein. Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen.“
Doris Eventualis
12.4.2023, 12:08:09
Wäre es möglich vielleicht nochmal die Abgrenzung zwischen atypischem Kausalverlauf und eigenverantwortlichen Dazwischentreten eines 3. zu erklären? Ich hätte hier nämlich eher so argumentiert, dass der Tod des B dem A nicht zugerechnet werden kann weil mit so einem gravierenden OP Fehler bei allgemeiner Lebenserfahrung nicht gerechnet werden kann. In meinem Kopf vergleiche ich das mit dem Fall, dass jemand nach einem Unfall im KW abtransportiert wird und dieser dann von einem Lastwagen gerammt wird und das Opfer stirbt–lässt man da die Diskussion ums Blaulichtrisiko weg käme man ja aufgrund des atypischen Kausalverlaufs auch zu einer fehlenden Objektiven Zurechenbarkeit ohne auf das eigenverantwortliche Dazwischentreten des Lastwagenfahrers einzugehen. Wann spreche ich das also an, bzw. wie grenzt man atypischen Kausalverlauf und ev Dazwischentreten ab?
lennart20
21.4.2023, 11:32:27
Der Unterschied zwischen dem atypischen Kausalverlaufs und dem eigenverantwortlich Dazwischentreten lässt sich mE ganz gut an der Definition der objektiven Zurechenbarkeit feststellen. Zunächst setzt die Definition (1) eine rechtlich relevante/missbilligte Gefahr voraus. Diese wird bei einen eigenverantwortlichen Dazwischentreten verneint. Somit würde man gar nicht zum zweiten Teil der Definition, also (2) der Realisierung dieser Gefahr im tatbestandlichen Erfolg, wo der atypische Kausalverlauf thematisiert werden würde. Dieser kann aber nicht thematisiert werden, wenn keine rechtlich relevante/missbilligte Gefahr vorliegt. Ich hoffe das hilft weiter!
InDubioProsecco
31.5.2023, 11:41:30
@[lennart20](198942) das heißt, hier würde man folgendermaßen subsumieren: 1. Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr A müsste eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen haben. Maßgebend dafür ist, ob die verletzte Verhaltensnorm vor dem hier eingetretenen Erfolg in seiner konkreten Gestalt, also dem Narkosetod des B schützen will. A hat hier auf B geschossen. Das Verbot, Schusswaffen auf Menschen abzufeuern, soll vor den dadurch entstehenden Gefahren von Schussverletzungen schützen. Hingegen sind die Gefahren, die mit Operationen einhergehen, insbesondere ärztliche Behandlungsfehler nicht Schutzzweck des Verbots umfasst. A hat deshalb keine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen. Ist das soweit richtig?