Zahnarztfall

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Zahnarzt Z operiert die schwer herzkranke 17jährige P unter Vollnarkose am Backenzahn, ohne einen Anästhesisten zu Rate zu ziehen. P stirbt nach der OP an Herzstillstand. Sie wäre auch bei Hinzuziehung des Anästhesisten gestorben, dann aber erst einige Zeit später.

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Einordnung des Falls

Zahnarztfall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Z hat sich objektiv sorgfaltspflichtwidrig verhalten (§ 222 StGB).

Ja!

Bei ärztlichen Heilbehandlungen müssen die Regeln der ärztlichen Kunst beachtet werden. Danach ist der behandelnde Arzt gehalten, einen Spezialisten hinzuzuziehen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er selbst die Gefährlichkeit einer Behandlung nicht zuverlässig einschätzen kann. Obwohl die P schwer herzkrank ist, zog Z zur Durchführung der Operation unter Vollnarkose keinen Anästhesisten zu Rate.
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2. Der Tod der P war auch objektiv vorhersehbar.

Genau, so ist das!

Die objektive Vorhersehbarkeit setzt voraus, dass der Erfolgseintritt sowie Kausalverlauf für einen Durchschnittsmenschen des jeweiligen Verkehrskreises absehbar gewesen ist. Für einen durchschnittlichen Arzt ist es nicht unvorhersehbar, dass es bei der Vollnarkotisierung einer schwer herzkranken Patientin zu einem Herzstillstand kommen kann.

3. Zwischen dem Tod der P und dem Verhalten des Z besteht auch ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang.

Ja, in der Tat!

Bei Fahrlässigkeitsdelikten muss im Rahmen der objektiven Zurechnung auch ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang bestehen. Dieser ist nach der Vermeidbarkeitstheorie gegeben, wenn der konkrete Erfolg bei pflichtgemäßen Alternativverhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermeidbar gewesen wäre.Indem Z die P ohne einen Anästhesisten narkotisiert hat, hat er gegen die Regeln der ärztlichen Kunst verstoßen und eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen. Dass P bei sorgfältigem Alternativverhalten des Z dann einige Zeit später auch gestorben wäre, lässt den Zusammenhang zwischen pflichtwidrigem Verhalten und konkretem Erfolg nicht entfallen.

4. Der Tod der O ist dem Z damit objektiv zurechenbar.

Nein!

Bei Fahrlässigkeitsdelikten muss im Rahmen der objektiven Zurechnung auch ein Schutzzweckzusammenhang bestehen. Dieser ist nur gegeben, wenn der Erfolgseintritt innerhalb des Schutzzwecks der verletzten Sorgfaltspflicht liegt. Das ist nicht der Fall, wenn die verletzte Sorgfaltspflicht nicht aufgestellt ist, um die konkrete Erfolgsverursachung zu verhindern.Die gegenständliche Sorgfaltspflicht hat nicht den Zweck, die Behandlung und den durch sie verursachten Tod um den Zeitraum der erforderlichen Untersuchung hinauszuschieben. Vielmehr sollen die Gefahren der Behandlung erkannt und ein Tod infolge dieser Behandlung ganz vermieden werden. Da P auch unter Hinzuziehung eines Anästhesisten gestorben wäre, hätte dieser Zweck hier gar nicht erreicht werden können.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

jomolino

23.10.2021, 18:18:46

Heißt nicht dass der Tod erst einige Zeit später eingetreten wäre, dass er in seiner konkreten Gestalt entfallen wäre?

Rüsselrecht 🐘

Rüsselrecht 🐘

24.10.2021, 13:22:50

Ahoi, das ist bestimmt richtig, dass ohne ärztliche Behandlung P nicht konkret an diesem Tag verstorben wäre. Das Verhalten des Arztes ist kausal. Fraglich ist aber, ob bei Hinzudenken einer pflichtgemäßen Voruntersuchung der P diese nicht dennoch verstorben wäre. Das durch das pflichtwidrige Verhalten des Z begründete Risiko schlägt sich jedoch nicht im Erfolg nieder, wenn der Tod auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eingetreten wäre. Narkosen sind immer risikoreich, insbesondere bei Herzfehlern oder ähnlichem. Der Erfolg kann dem Z nicht schon dann angelastet werden kann, wenn Zweifel bei der Vermeidbarkeit verbleiben, also konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Z möglicherweise zum gleichen Erfolg gekommen wäre. Ich hätte die Zurechnung eher über den

Pflichtwidrigkeitszusammenhang

statt über den Schutzzweck verneint.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.10.2021, 16:48:58

Hallo ihr beiden, in der Tat könnte man auch überlegen, dass man den Fall über den

Pflichtwidrigkeitszusammenhang

löst. Da durch das Nichthinzuziehen des Internisten allerdings die Lebensdauer des P durchaus verkürzt hat, kann man allerdings durchaus feststellen, dass sich durch das rechtmäßige Alternativverhalten der Tod zumindest verzögert hätte und damit ein

Pflichtwidrigkeitszusammenhang

besteht. Dieser wirkt sich letztlich nur nicht aus, da eben Sinn und Zweck der Behandlungspflicht nicht das Hinausschieben des Todes, sondern das gänzliche Entfallen des Todes ist. Da aber nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden konnte, dass die vorgeschriebene Untersuchung diesen Zweck erzielt, lag der

Schutzzweckzusammenhang

nicht vor. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Rüsselrecht 🐘

Rüsselrecht 🐘

25.10.2021, 19:37:52

Danke ☺️ Vielleicht könnte man es etwas klarer fassen, dass die Beschleunigung des Erfolgseintritts nicht in den Schutzbereich der verletzten Norm fällt, da die Pflicht zur Hinzuziehung eines Facharztes nicht dem Zweck diente die Vornahme einer Operation hinauszuschieben.

Vincent

Vincent

30.6.2023, 15:40:37

Hätte ein Anästhesist hier nicht insistiert und die Narkose hätte in der Form gar nicht erst stattgefunden? Zumal es ja auch die Möglichkeit der lokalen Betäubung gibt die gerade in der Zahnmedizin ein probates Mittel darstellt.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

1.7.2023, 12:34:51

Hallo Vincent, willkommen im Jurafuchs-Forum und vielen Dank für deine Frage! Das mag in der Praxis der Fall sein, allerdings ist die goldene Regel der Fallbearbeitung den Sachverhalt so wie er da steht hinzunehmen, und genau mit dieser Information zu arbeiten. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

nullumcrimen

nullumcrimen

26.4.2024, 20:35:08

Kann man nicht einfach den

Pflichtwidrigkeitszusammenhang

verneinen? Bei pflichtgemäßen Verhalten ( Zuziehen des Anästhesisten) wäre der Tod der Patientin unvermeidbar trotzdem genau so eingetreten, oder verstehe ich etwas falsch?

TI

Timurso

27.4.2024, 00:09:47

Nein, beim

Pflichtwidrigkeitszusammenhang

kommt es wie auch bei der Kausalität auf den tatbestandlichen Erfolg in seiner konkreten Gestalt an. Insofern ist es nicht der gleiche Erfolg, wenn der Tod erst einige Tage später eingetreten wäre.

nullumcrimen

nullumcrimen

27.4.2024, 13:40:05

Ahso ja stimmt, hatte den Sachverhalt falsch gelesen. Danke :)

LELEE

Leo Lee

28.4.2024, 10:17:59

Hallo nullumcrimen, vielen Dank für die sehr gute Frage! Wie Timurso zu Recht angemerkt hat, wäre beim Zuziehen des Anästhesisten der Erfolg später eingetreten, weshalb insofern eine

hypothetische Reserveursache

vorliegen würde, was aber den konkreten Kausalverlauf nicht ausschließt. Behalte also immer im Kopf, dass egal ist, was ansonsten passiert WÄRE, solange etwas aufgrund der Handlung kausal passiert IST :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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