Zahnarztfall
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Zahnarzt Z operiert die schwer herzkranke 17jährige P unter Vollnarkose am Backenzahn, ohne einen Anästhesisten zu Rate zu ziehen. P stirbt nach der OP an Herzstillstand. Sie wäre auch bei Hinzuziehung des Anästhesisten gestorben, dann aber erst einige Zeit später.
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Einordnung des Falls
Zahnarztfall
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Z hat sich objektiv sorgfaltspflichtwidrig verhalten (§ 222 StGB).
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Tod der P war auch objektiv vorhersehbar.
Genau, so ist das!
3. Zwischen dem Tod der P und dem Verhalten des Z besteht auch ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang.
Ja, in der Tat!
4. Der Tod der O ist dem Z damit objektiv zurechenbar.
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
jomolino
23.10.2021, 18:18:46
Heißt nicht dass der Tod erst einige Zeit später eingetreten wäre, dass er in seiner konkreten Gestalt entfallen wäre?
Rüsselrecht 🐘
24.10.2021, 13:22:50
Ahoi, das ist bestimmt richtig, dass ohne ärztliche Behandlung P nicht konkret an diesem Tag verstorben wäre. Das Verhalten des Arztes ist kausal. Fraglich ist aber, ob bei Hinzudenken einer pflichtgemäßen Voruntersuchung der P diese nicht dennoch verstorben wäre. Das durch das pflichtwidrige Verhalten des Z begründete Risiko schlägt sich jedoch nicht im Erfolg nieder, wenn der Tod auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eingetreten wäre. Narkosen sind immer risikoreich, insbesondere bei Herzfehlern oder ähnlichem. Der Erfolg kann dem Z nicht schon dann angelastet werden kann, wenn Zweifel bei der Vermeidbarkeit verbleiben, also konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Z möglicherweise zum gleichen Erfolg gekommen wäre. Ich hätte die Zurechnung eher über den
Pflichtwidrigkeitszusammenhangstatt über den Schutzzweck verneint.
Lukas_Mengestu
25.10.2021, 16:48:58
Hallo ihr beiden, in der Tat könnte man auch überlegen, dass man den Fall über den
Pflichtwidrigkeitszusammenhanglöst. Da durch das Nichthinzuziehen des Internisten allerdings die Lebensdauer des P durchaus verkürzt hat, kann man allerdings durchaus feststellen, dass sich durch das rechtmäßige Alternativverhalten der Tod zumindest verzögert hätte und damit ein
Pflichtwidrigkeitszusammenhangbesteht. Dieser wirkt sich letztlich nur nicht aus, da eben Sinn und Zweck der Behandlungspflicht nicht das Hinausschieben des Todes, sondern das gänzliche Entfallen des Todes ist. Da aber nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden konnte, dass die vorgeschriebene Untersuchung diesen Zweck erzielt, lag der
Schutzzweckzusammenhangnicht vor. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Rüsselrecht 🐘
25.10.2021, 19:37:52
Danke ☺️ Vielleicht könnte man es etwas klarer fassen, dass die Beschleunigung des Erfolgseintritts nicht in den Schutzbereich der verletzten Norm fällt, da die Pflicht zur Hinzuziehung eines Facharztes nicht dem Zweck diente die Vornahme einer Operation hinauszuschieben.
Vincent
30.6.2023, 15:40:37
Hätte ein Anästhesist hier nicht insistiert und die Narkose hätte in der Form gar nicht erst stattgefunden? Zumal es ja auch die Möglichkeit der lokalen Betäubung gibt die gerade in der Zahnmedizin ein probates Mittel darstellt.
Nora Mommsen
1.7.2023, 12:34:51
Hallo Vincent, willkommen im Jurafuchs-Forum und vielen Dank für deine Frage! Das mag in der Praxis der Fall sein, allerdings ist die goldene Regel der Fallbearbeitung den Sachverhalt so wie er da steht hinzunehmen, und genau mit dieser Information zu arbeiten. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
nullumcrimen
26.4.2024, 20:35:08
Kann man nicht einfach den
Pflichtwidrigkeitszusammenhangverneinen? Bei pflichtgemäßen Verhalten ( Zuziehen des Anästhesisten) wäre der Tod der Patientin unvermeidbar trotzdem genau so eingetreten, oder verstehe ich etwas falsch?
Timurso
27.4.2024, 00:09:47
Nein, beim
Pflichtwidrigkeitszusammenhangkommt es wie auch bei der Kausalität auf den tatbestandlichen Erfolg in seiner konkreten Gestalt an. Insofern ist es nicht der gleiche Erfolg, wenn der Tod erst einige Tage später eingetreten wäre.
nullumcrimen
27.4.2024, 13:40:05
Ahso ja stimmt, hatte den Sachverhalt falsch gelesen. Danke :)
Leo Lee
28.4.2024, 10:17:59
Hallo nullumcrimen, vielen Dank für die sehr gute Frage! Wie Timurso zu Recht angemerkt hat, wäre beim Zuziehen des Anästhesisten der Erfolg später eingetreten, weshalb insofern eine
hypothetische Reserveursachevorliegen würde, was aber den konkreten Kausalverlauf nicht ausschließt. Behalte also immer im Kopf, dass egal ist, was ansonsten passiert WÄRE, solange etwas aufgrund der Handlung kausal passiert IST :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo