Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Rechtfertigungsgründe

Dauergefahr und Interessenabwägung bei Tötung eines Familientyrannen

Dauergefahr und Interessenabwägung bei Tötung eines Familientyrannen

19. Februar 2025

14 Kommentare

4,7(28.573 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Haustyrann H verprügelt und misshandelt seine Frau F seit Jahren täglich. F ist dem H körperlich deutlich unterlegen. Als H tief schläft, sieht F ihre Chance dem Ganzen zu entkommen. Sie schießt H in den Kopf. H stirbt sofort.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Dauergefahr und Interessenabwägung bei Tötung eines Familientyrannen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. F hat den Tatbestand des Mordes (§ 211) verwirklicht.

Ja, in der Tat!

H wurde durch den Schuss der F getötet. Für die Annahme der Heimtücke (§ 211 Abs. 2 Var. 6 StGB) erscheint problematisch, ob H arglos im Zeitpunkt des Schusses war. Arglos ist, wer sich im Zeitpunkt der Tat keines Angriffs auf sein Leib oder Leben versieht. H hat geschlafen. Nach der h.M. kann man die Arglosigkeit jedoch mit in den Schlaf nehmen. H hat vor dem Schlafen nicht mit einem Angriff auf sein Leben gerechnet und hat diese Arglosigkeit mit in den Schlaf genommen. Während des Schusses war H arglos.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Möglicherweise ist der tödliche Schuss durch den rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) gerechtfertigt. Eine Notstandslage liegt aufgrund der Dauergefahr für F vor.

Ja!

Eine Notstandslage liegt bei einer gegenwärtigen Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut vor. Die gegenwärtige Gefahr besteht auch bei einer sogenannten Dauergefahr. Eine solche liegt vor, wenn mit dem Eintritt des Schadens zwar nicht sofort zu rechnen ist, die Situation aber jederzeit in einen Schaden umschlagen kann. Auch wenn der Schadenseintritt erst nach Ablauf einer gewissen Zeit zu erwarten ist, ist sofortiges Handeln angezeigt, um dem Schadenseintritt wirksam begegnen zu können. H schlief und griff F nicht an. Jedoch verprügelte H die F täglich. H hätte jeden Moment anfangen können, die F wieder zu verprügeln. Eine Dauergefahr bestand. Dass H schlief, ließ die Dauergefahr nicht entfallen. Schließlich hätte H jederzeit aufwachen und die F wieder verprügeln können.

3. F hat schon mehrmals versucht staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen und sich von H zu trennen. Dennoch hat sie eine Trennung nie geschafft. Die häusliche Gewalt war für F nicht anders abwendbar.

Genau, so ist das!

Für die Notstandshandlung darf die Gefahr nicht anders abwendbar sein. Dieses Merkmal des Rechtfertigungsgrundes – dass die Gefahr nicht anders anwendbar sein darf – entspricht dem Merkmal der Erforderlichkeit bei der Notwehr (§ 32 StGB). Das Verteidigungsmittel muss demnach überhaupt zur Verteidigung geeignet sein und zugleich das relativ mildeste Mittel darstellen. Zumindest der Versuch, staatliche Hilfe zu suchen, wird nach der Rspr. vorausgesetzt, um die Erforderlichkeit annehmen zu können. Eine Trennung von H stellt zwar ein milderes Mittel als die Tötung dar. Allerdings hat F schon versucht, sich zu trennen und auch staatliche Hilfe zu nutzen. Eine Trennung war ihr nicht möglich.

4. Das Interesse der F überwiegt das Interesse des H wesentlich.

Nein, das trifft nicht zu!

Für die Notstandshandlung muss das geschützte Rechtsgut (Erhaltungsgut) das durch die Notstandshandlung beeinträchtige Rechtsgut (Eingriffsgut) wesentlich überwiegen. Ob dies der Fall ist, ist im Rahmen einer Interessenabwägung festzustellen. Besonders auf den Rang der betroffenen Rechtsgüter ist abzustellen. Hier steht Fs körperliche Unversehrtheit dem Leben des H gegenüber. Das Rechtsgut Leben steht über der körperlichen Unversehrtheit. Selbst wenn H der F mit einer Tötung droht, würde Leben gegen Leben stehen. Nach h.M. ist das Rechtsgut Leben abwägungsfest, es kann nicht qualifiziert und quantifiziert werden.

5. Aufgrund eines Defensivnotstandes kann bei einer Interessenabwägung die körperliche Unversehrtheit bzw. das Leben der F das des Haustyrannen H nach h.M. überwiegen.

Nein!

Da es sich nicht um eine reine Güterabwägung handelt, sondern um eine umfassende Interessenabwägung, sind weitere Abwägungskriterien zu beachten. So kann auch ein Eingriff in ein höheres Rechtsgut interessengerecht sein. Abwägungskriterien können beispielsweise der Grad der Gefahr oder auch die Frage, ob die Gefahr von dem Eingriffsgut ausgeht (Defensivnotstand) sein. Nach h.M. ist bei einem Defensivnotstand, nach dem Grundgedanken des § 228 BGB, das Eingriffsgut weniger schutzwürdig. Nach h.M. kann jedoch auch bei einem Defensivnotstand das Erhaltungsgut nicht das Eingriffsgut Leben überwiegen.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen