Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Rechtfertigungsgründe

Indirekte Sterbehilfe - Interessenabwägung

Indirekte Sterbehilfe - Interessenabwägung

18. Januar 2025

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die todkranke S leidet im Krankenhausbett unter qualvollen Schmerzen. S will nur noch ohne Schmerzen sterben. Die Ärztin A verabreicht S ein Medikament zur Schmerzlinderung, weiß jedoch, dass dieses auch S's Tod als Nebenfolge beinhalten kann. S verstirbt an dem Medikament.

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Einordnung des Falls

Indirekte Sterbehilfe - Interessenabwägung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es gibt sowohl die direkte als auch die indirekte Sterbehilfe.

Genau, so ist das!

Eine Sterbehilfe liegt vor, wenn man einer Person, welche sich in einem Sterbensprozess befindet, Hilfe zum oder beim Sterben leistet. Unterschieden wird die aktive und passive Sterbehilfe. Die aktive Sterbehilfe unterscheidet die direkte und indirekte Sterbehilfe. Indirekte Sterbehilfe ist die Inkaufnahme der Lebensverkürzung, wobei der Täter jedoch nicht handelt, um das Opfer zu töten. Die direkte Sterbehilfe ist die zielgerichtete Lebensverkürzung. Passive Sterbehilfe ist die Beendigung von lebenserhaltenden Maßnahmen.
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2. Die qualvollen Schmerzen stellen eine Gefahr für S dar. Eine Notstandslage für einen rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) besteht.

Ja, in der Tat!

Eine Notstandslage liegt bei einer gegenwärtigen Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut vor. Notstandsfähige Rechtsgüter sind nach der h.M. sowohl Individualgüter als auch Allgemeingüter. Eine Gefahr liegt vor, wenn bei ungestörtem Fortgang des Geschehens die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritt besteht. Eine gegenwärtige Gefahr liegt vor, wenn sich die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts so verdichtet hat, dass die zum Schutz des bedrohten Rechtsguts notwendigen Maßnahmen sofort einzuleiten sind. S leidet bereits unter qualvollen Schmerzen. Ihre körperliche Unversehrtheit wird beeinträchtigt.

3. Die Gefahr war nicht anders als durch die Medikamentenvergabe abwendbar.

Ja!

Für eine Notstandshandlung darf die Gefahr nicht anders abwendbar sein, dies entspricht dem Merkmal der Erforderlichkeit bei der Notwehr (§ 32 StGB). Zudem muss das geschützte Rechtsgut das durch die Notstandshandlung beeinträchtige Rechtsgut wesentlich überwiegen, ob dies der Fall ist, ist im Rahmen einer Interessenabwägung festzustellen. Außerdem muss die Verteidigung angemessen sein (§ 34 S. 2 StGB). S leidet unter Schmerzen, diese können nur durch entsprechende Medikamente bekämpft werden.

4. Das Rechtsgut Leben ist nach der h.M. abwägungsfest.

Genau, so ist das!

Eine Abwägung von Leben gegen Leben ist nach h.M. nicht möglich. Danach ist das Rechtsgut Leben abwägungsfest, es kann nicht qualifiziert und quantifiziert werden. Hier steht im Rahmen der Interessenabwägung S's Leben ihrer körperlichen Unversehrtheit und auch ihr Recht auf einen würdevollen und schmerzfreien Tod gegenüber.

5. Gegen das Leben kann nicht abgewogen werden, auch das Recht auf einen würdevollen Tod ändert daran nach hM nichts.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Rechtsgut Leben ist zwar abwägungsfest. Auf der anderen Seite steht jedoch das Recht des Sterbenden, einen würdevollen und schmerzfreien Tod sterben zu wollen und zu können. Die Lebensverkürzung ist nur Nebenfolge und keine beabsichtigte Folge der Medikation. Das Interesse des todkranken Patienten an einem würdevollen und schmerzfreien Tod überwiegt nach hM die Verhinderung der Beschleunigung des nahen Todes und die Aussicht, unter qualvollen Schmerzen noch kurze Zeit länger leben zu müssen. Teilweise wird zur Rechtfertigung auch unmittelbar auf die Rechtsinstitute der tatsächlichen beziehungsweise mutmaßlichen Einwilligung zurückgegriffen. Der Rückgriff hierauf steht allerdings im Widerspruch zu der in § 216 StGB unter Strafe gestellten Tötung auf Verlangen, die tatbestandlich ja gerade das Verlangen und damit die Einwilligung des „Opfers“ voraussetzt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

NAI

Naitsab

5.12.2022, 08:59:45

Die letzte Frage und die Begründung der Antwort erscheinen mir zu undifferenziert. Nach Lektüre von MüKoStGB/Schneider, 4. Aufl. 2021, Vor. § 211 Rn. 108 ff. scheint das ein Argumentationsmuster für einen Lösungsansatz zu sein. Wie ich Schneider verstehe, findet diese „Abwägung des Lebens nach qualitativen und quantitativen Aspekten“ statt, ist aber auch fragwürdig und umstritten. Schneider koppelt die Anwendung des

§ 34 StGB

in diesem Fall auch an eine Einwilligung des Betroffenen. Auch bei Lackner/Kühl lese ich das so nicht heraus, dass

§ 34 StGB

bei der indirekten Sterbehilfe unbedingt Anwendung findet. Es gibt eine starke Meinung dafür, ist aber m.E.n. keinesfalls unstrittig. Die Antwort und deren Begründung lassen bei mir den Eindruck entstehen, dass dies aber unstreitig vertreten wird. Entweder habe ich das in der Literatur missverstanden und bräuchte einen erhellenden Impuls. Oder ich würde mir wünschen, dass die Antwort und Begründung der letzten Frage differenzierter verfasst werden würde.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

5.12.2022, 10:48:33

Hallo Naitsab, vielen Dank für Deinen guten Beitrag. Wir haben hier nun präzisiert, dass es sich bei der hier dargestellten Lösung um den favorisierten Ansatz der sogenannten "herrschenden" Meinung handelt und, dass teilweise auch andere Ansätze verfolgt werden (zB Einwilligung). Dass die Problematik der Sterbehilfe vom Gesetzgeber nicht überzeugend geregelt ist, macht auch unser heutiger Rechtsprechungsfall deutlich, der sich mit der aktiven Sterbehilfe auseinandersetzt. Wo verläuft die Grenze zwischen der straflosen Beihilfe und der strafbaren Tötung auf Verlangen (https://applink.jurafuchs.de/OSe5E4pyvvb). Schau gerne auch da einmal rein. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

NAI

Naitsab

6.12.2022, 20:56:37

Super! Vielen Dank für die schnelle Reaktion :)

QUIG

QuiGonTim

18.4.2023, 16:39:47

Sind die dargelegten Grundsätze auch auf die direkte Sterbehilfe anwendbar? Ich denke dabei insbesondere an die Gnadenschuss-Fälle.

FL

Florian

19.5.2024, 11:58:55

Ich finde es etwas irritierend, wenn zunächst postuliert wird, das Rechtsgut Leben sei abwägungfest (ohne Einschränkung) und dann bei der nächsten und abschließenden Frage doch ein „grundsätzlich“ eingefügt wird. Das Rechtsgut Leben ist also nach der hier als hM postulierten Meinung gerade nicht abwägungsfest. Ich verstehe was gemeint ist, aber in der derzeitigen Form widersprechen sich die Antworten auf die letzte und vorletzte Frage mMn.

LELEE

Leo Lee

21.5.2024, 13:04:53

Hallo Florian, vielen Dank für den Hinweis! In der Tat war die Formulierung hier etwas unglücklich, weshalb wir den Text nunmehr entsprechend korrigiert haben. Wir möchten uns bei dir bedanken dafür, dass du uns dabei hilfst, die App zu perfektionieren und freuen uns auf weitere Feedbacks von dir :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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