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Die todkranke S leidet im Krankenhausbett unter qualvollen Schmerzen. S will nur noch ohne Schmerzen sterben. Die Ärztin A verabreicht S ein Medikament zur Schmerzlinderung, weiß jedoch, dass dieses auch S's Tod als Nebenfolge beinhalten kann. S verstirbt an dem Medikament.

Einordnung des Falls

Indirekte Sterbehilfe - Interessenabwägung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es gibt sowohl die direkte als auch die indirekte Sterbehilfe.

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Genau, so ist das!

Eine Sterbehilfe liegt vor, wenn man einer Person, welche sich in einem Sterbensprozess befindet, Hilfe zum oder beim Sterben leistet. Unterschieden wird die aktive und passive Sterbehilfe. Die aktive Sterbehilfe unterscheidet die direkte und indirekte Sterbehilfe. Indirekte Sterbehilfe ist die Inkaufnahme der Lebensverkürzung, wobei der Täter jedoch nicht handelt, um das Opfer zu töten. Die direkte Sterbehilfe ist die zielgerichtete Lebensverkürzung. Passive Sterbehilfe ist die Beendigung von lebenserhaltenden Maßnahmen.

2. Die qualvollen Schmerzen stellen eine Gefahr für S dar. Eine Notstandslage für einen rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) besteht.

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Ja, in der Tat!

Eine Notstandslage liegt bei einer gegenwärtigen Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut vor. Notstandsfähige Rechtsgüter sind nach der h.M. sowohl Individualgüter als auch Allgemeingüter. Eine Gefahr liegt vor, wenn bei ungestörtem Fortgang des Geschehens die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritt besteht. Eine gegenwärtige Gefahr liegt vor, wenn sich die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts so verdichtet hat, dass die zum Schutz des bedrohten Rechtsguts notwendigen Maßnahmen sofort einzuleiten sind. S leidet bereits unter qualvollen Schmerzen. Ihre körperliche Unversehrtheit wird beeinträchtigt.

3. Die Gefahr war nicht anders als durch die Medikamentenvergabe abwendbar.

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Ja!

Für eine Notstandshandlung darf die Gefahr nicht anders abwendbar sein, dies entspricht dem Merkmal der Erforderlichkeit bei der Notwehr (§ 32 StGB). Zudem muss das geschützte Rechtsgut das durch die Notstandshandlung beeinträchtige Rechtsgut wesentlich überwiegen, ob dies der Fall ist, ist im Rahmen einer Interessenabwägung festzustellen. Außerdem muss die Verteidigung angemessen sein (§ 34 S. 2 StGB). S leidet unter Schmerzen, diese können nur durch entsprechende Medikamente bekämpft werden.

4. Das Rechtsgut Leben ist nach der h.M. abwägungsfest.

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Genau, so ist das!

Eine Abwägung von Leben gegen Leben ist nach h.M. nicht möglich. Danach ist das Rechtsgut Leben abwägungsfest, es kann nicht qualifiziert und quantifiziert werden. Hier steht im Rahmen der Interessenabwägung S's Leben ihrer körperlichen Unversehrtheit und auch ihr Recht auf einen würdevollen und schmerzfreien Tod gegenüber.

5. Gegen das Leben kann nicht abgewogen werden, auch das Recht auf einen würdevollen Tod ändert daran nach hM nichts.

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Nein, das trifft nicht zu!

Das Rechtsgut Leben ist zwar abwägungsfest. Auf der anderen Seite steht jedoch das Recht des Sterbenden, einen würdevollen und schmerzfreien Tod sterben zu wollen und zu können. Die Lebensverkürzung ist nur Nebenfolge und keine beabsichtigte Folge der Medikation. Das Interesse des todkranken Patienten an einem würdevollen und schmerzfreien Tod überwiegt nach hM die Verhinderung der Beschleunigung des nahen Todes und die Aussicht, unter qualvollen Schmerzen noch kurze Zeit länger leben zu müssen. Teilweise wird zur Rechtfertigung auch unmittelbar auf die Rechtsinstitute der tatsächlichen beziehungsweise mutmaßlichen Einwilligung zurückgegriffen. Der Rückgriff hierauf steht allerdings im Widerspruch zu der in § 216 StGB unter Strafe gestellten Tötung auf Verlangen, die tatbestandlich ja gerade das Verlangen und damit die Einwilligung des „Opfers“ voraussetzt.

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