Fahrlässigkeit: Herkunft der Sorgfaltspflichten – Allgemeiner Maßstab des Durchschnittsbürgers


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V schmeißt eine Hausparty. Als er nachts als letzter sein Haus verlässt, schläft seine Tochter T bereits. Während seiner Abwesenheit kommt es durch noch glimmende Zigaretten der Gäste auf der Couch zu einem Schwelbrand. Als V zurückkehrt, ist T aufgrund einer Kohlenmonoxyd-Vergiftung tot.

Einordnung des Falls

Fahrlässigkeit: Herkunft der Sorgfaltspflichten – Allgemeiner Maßstab des Durchschnittsbürgers

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die relevante Tathandlung des V ist das Verlassen der Wohnung.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Eine tauglich Tathandlung ist jedes menschliche Verhalten. Unterschieden wird zwischen aktivem Tun und Unterlassen. Abgrenzungskriterium ist dabei der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit. Schwerpunktmäßig vorzuwerfen ist V, dass er die noch glimmenden Zigaretten nicht weggeräumt hat (Unterlassen), nicht, dass er das Haus verlassen hat (aktives Tun).

2. Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Deliktsbegehung durch Unterlassen (§§ 222, 13 StGB; §§ 306d Abs. 1 Var. 1, 13 i.V.m. § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB) setzt eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung voraus.

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Ja, in der Tat!

Nach der Rspr. und hL setzt sowohl die fahrlässige Verwirklichung eines Begehung- als auch eines Unterlassensdelikts zentral voraus, dass der Täter eine objektive Sorgfaltspflicht verletzt. Wann eine Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt, ergibt sich allerdings nicht aus der verletzten Strafnorm selbst, sondern muss aus externen Quellen bestimmt werden. Fehlen gesetzliche Regeln oder bereichsspezifische Standards ist der allgemeine Maßstab des Durchschnittsbürgers anzuwenden.

3. V handelte objektiv sorgfaltspflichtwidrig.

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Ja!

Nach dem allgemeinen Maßstab des Durchschnittsbürgers ergibt sich das Maß der anzuwendenden Sorgfalt daraus, wie sich ein gewissenhafter, besonnener Durchschnittsbürger in der konkreten Situation und sozialen Rolle des Täters verhalten würde. Dabei ist eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. BGH: Die allgemein schon bestehende Sorgfaltspflicht im Umgang mit Feuer sei vorliegend noch besonders gesteigert gewesen. Zu berücksichtigen seien dafür insbesondere die Vielzahl der noch glimmenden Zigaretten, die leicht entzündlichen Materialien sowie das Kleinkindalter der T (RdNr. 14f.). Diesen Anforderungen ist V nicht gerecht geworden.

4. Der Tod der T war objektiv vorhersehbar.

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Genau, so ist das!

Nach h.M. setzt eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit voraus, dass die Tatbestandsverwirklichung objektiv vorhersehbar gewesen sein muss. Danach müssen der Erfolgseintritt sowie Kausalverlauf für einen Durchschnittsmenschen des jeweiligen Verkehrskreises absehbar gewesen sein. Dabei ist eine konkrete Wahrscheinlichkeitsbeurteilung vorzunehmen. Die generelle Möglichkeit theoretischer Entwicklungen reicht nicht aus. Für einen durchschnittlichen Vater ist es nicht unvorhersehbar, dass rauchende Partygäste noch glimmende Zigaretten zurücklassen, die Schwelbrände an leicht entzündlichen Materialien und damit mitunter tödliche Kohlenmonoxyd-Vergiftungen verursachen können.

5. Der Tod der T ist dem V auch objektiv zurechenbar.

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Ja, in der Tat!

Im Rahmen der objektiven Zurechnung muss auch bei Fahrlässigkeitsdelikten ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang bestehen. Dieser ist nach der Vermeidbarkeitstheorie gegeben, wenn der konkrete Erfolg bei pflichtgemäßen Alternativverhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermeidbar gewesen wäre. Es ist unklar, ob es auch zum Tod der T gekommen wäre, wenn V nicht das Haus verlassen hätte. Auch dann wäre V allerdings dazu verpflichtet gewesen, die noch glimmenden Zigaretten zu beseitigen. Hätte er dies getan, wäre T nicht gestorben.

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