Strafrecht
Strafrecht Allgemeiner Teil
Fahrlässigkeit
Fahrlässigkeit: Herkunft der Sorgfaltspflichten – Allgemeiner Maßstab des Durchschnittsbürgers
Fahrlässigkeit: Herkunft der Sorgfaltspflichten – Allgemeiner Maßstab des Durchschnittsbürgers
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
V schmeißt eine Hausparty. Als er nachts als letzter sein Haus verlässt, schläft seine Tochter T bereits. Während seiner Abwesenheit kommt es durch noch glimmende Zigaretten der Gäste auf der Couch zu einem Schwelbrand. Als V zurückkehrt, ist T aufgrund einer Kohlenmonoxyd-Vergiftung tot.
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Einordnung des Falls
Fahrlässigkeit: Herkunft der Sorgfaltspflichten – Allgemeiner Maßstab des Durchschnittsbürgers
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die relevante Tathandlung des V ist das Verlassen der Wohnung.
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurastudium und Referendariat.
2. Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Deliktsbegehung durch Unterlassen (§§ 222, 13 StGB; §§ 306d Abs. 1 Var. 1, 13 i.V.m. § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB) setzt eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung voraus.
Ja, in der Tat!
3. V handelte objektiv sorgfaltspflichtwidrig.
Ja!
4. Der Tod der T war objektiv vorhersehbar.
Genau, so ist das!
5. Der Tod der T ist dem V auch objektiv zurechenbar.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Isabell
28.8.2021, 11:54:21
Müssen alle meine Gastgeber und auch ich selbst bei den unzähligen Partys mit rauchenden Gästen ja unwahrscheinlich viel Glück gehabt haben, dass es noch nie zu Schwelbränden gekommen ist. Mit der Annahme dieses Erfahrungssatzes tue ich mich extrem schwer. Wird das im Urteil weiter ausgeführt?
Lukas_Mengestu
2.11.2021, 16:26:54
Hi Isabell, die Bedenken kann ich gut nachempfinden und tatsächlich hatte auch die Ausgangsinstanz die Pflichtwidrigkeit noch verneint. Der BGH hat hier insofern in der Tat etwas mehr ausgeholt und man spürt beim Lesen deutlich die dahinterstehende Verärgerung: "Die Angeklagte, die selbst Raucherin ist, gestattete ihren Gästen, in ihrer Wohnung zu rauchen. Sie ließ die beiden Kinder zumindest in der Zeit zwischen kurz nach 23:30 Uhr und 4:45 Uhr unbeaufisichtigt in der Wohnung, ohne zuvor die unordentlich auf der Couch befindlichen Zeitschriften, Papiere und Kleidungsstücke beseitigt zu haben. Wird der Umgang mit Feuer, und sei es auch nur in Form von entzündeten Zigaretten und glimmender Asche, zugelassen, erfordert es die allgemein und auch der Angeklagten bekannte Gefahr, die sich in dem achtlosen Umgang mit Feuer und Zigarettenresten verwirklichen kann, dass ein Übergreifen auf Papier und sonstige leicht entflammbare Materialien verhindert oder jedenfalls auf ein MInimum reduziert wird. Diese schon allgemein bestehende Sorgfaltspflicht war auf Grund der hier vorliegenden Umstände besonders gesteigert. [...]Auf der Couch befanden sich leicht entzündbare Materialien, u.a. ein Feuerzeug, Papier, eine Zeitschrift, ein Kissen und ein Kleidungsstück. Diese waren zudem in einem unordentlichen Zustand zurückgelassen worden." Warum es für die Entzündlichkeit auf die Unordentlichkeit der zurückgelassenen Gegenstände ankommt, kann ich Dir leider nicht beantworten ;-). Aber ich denke es wird deutlich, dass der BGH sich eben nicht nur auf die Zigarettenstummel bezieht, sondern auf die unmittelbare räumliche Nähe zu einer Vielzahl leicht entflammbarer Gegenstände. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Isabell
2.11.2021, 16:56:01
Interessant. Ich werde mal mit der Brille für die Zwischentöne das Urteil lesen. Ein gutes Beispiel dafür, dass sich das Gericht ja aufgrund einer Gesamtwürdigung" das Urteil fällt. Und dass da wirklich viel im ungreifbaren Raum stattfindet, habe ich selbst in der Zeit bei der Staatsanwaltschaft erlebt. Da kann sich dann einiges von niederschlagen, was sich mit dem objektiven Tatsächlichen gar nicht so richtig erklären lässt.
chuck lawris
23.2.2022, 22:36:41
Das ist dann wohl die "Blackbox", von der Ingeborg Puppe berichtet. Wahrscheinlich dachte der BGH über das Signal nach, welches das Urteil vermittelt hätte, wenn er es hier hätte durchgehen lassen; "wenn ihr eine Party macht, dabei raucht und es sind Kinder im Haus, braucht ihr nicht danach zu schauen, ob auch alles save ist, wenn ihr woanders weiter feiert." Das wäre wohl kein rechtlich wertiges Signal gewesen. Allerdings sind mittlerweile auch Stoffe in den Zigaretten, durch welche diese von alleine ausgehen, wenn man eine Weile nicht dran zieht. Da sollte man sich eigentlich drauf verlassen können. Sei es drum, ergebnisorientierte Rechtsprechung kommt immer wieder mal vor und liegt dann allein in der Hand der Beteiligten 💁♂️
Dominik
25.1.2023, 17:32:43
Naja, daran sieht man doch wie entscheidend oft eben doch das „Rechtsgefühl“ ist und wie dann manches doch noch zurecht gebogen wird. Wie gestraft eine Mutter wohl schon damit ist, ihre zwei kleinen Kinder zu verlieren, sollte klar sein - ob man da dann nochmal mit einer Verurteilung wegen fahrlässiger tötung nachtreten muss?
Jimmy105
11.7.2024, 16:27:14
Das was ich aus diesem Auszug herauslese ist, dass gerade die Verknüpfung von m
ehreren eigentlich harmlosen und rechtlich nicht verbotenen Handlungen/Gegebenheiten gemeinsam eine gefährliche Situation geschaffen haben, die sich dann realisiert hat. M.E. zurecht bestraft.
ehemalige:r Nutzer:in
18.9.2022, 12:22:18
Könnte man auf das Verlassen der Wohnung als
Tathandlungabstellen, wenn sich der Tod durch ein Unglück im Haus ereignet hätte (unvorhersehbare Gasexplosion etc.) und der Schwerpunkt läge dann darin, dass V T nicht durch
aktives Tungerettet hat?
Nora Mommsen
23.9.2022, 11:28:55
Hallo eiskaltengel, wenn der Schwerpunkt der
Vorwerfbarkeitdarin liegt, dass V die T nicht durch
aktives Tungerettet hat ist genau auf diese Handlung in Form der Strafbarkeit durch Unterlassen abzustellen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
max06
27.4.2023, 22:14:19
Richtig wäre Kohlenmonoxid, nicht Kohlenmonoxyd.
studyfuchs2
15.7.2023, 15:10:18
Wieso wird hier am Ende doch auf das aktive Tun (Verlassen des Hauses) abgestellt, obwohl es am Anfang heißt, der SP der Vorverwerfbarkeit liegt beim Unterlassen (nicht wegräumen der glimmenden Zigaretten)? Müsste es bzgl. des
Pflichtwidrigkeitszusammenhangs dann nicht eigentlich heißen: Fraglich ist, ob es auch zum Tod der T gekommen wäre, wenn V es nicht unterlassen hätte, die Zigaretten wegzuräumen? Und das wäre dann ja ganz eindeutig, denn hätte er sie weggeräumt, würde T noch leben, also
Pflichtwidrigkeitszusammenhang(+) oder habe ich da einen Denkfehler?
Dini2010
2.8.2023, 21:20:06
Darauf wird doch am Ende abgestellt, zumindest verstehe ich es so. Hätte er die glimmenden Zigaretten entfernt, wäre T nicht gestorben. Und zu dem Verlassen des Hauses wird ja auch angemerkt, dass er selbst wenn er daheim geblieben wäre, die glimmenden Zigaretten hätte entfernen müssen. Von daher sehe ich das nicht als widersprüchlich oder ein abstellen auf ein Verlassen des Hauses :)
studyfuchs2
4.8.2023, 14:30:02
Okay danke dir :) Finde es trotzdem etwas missverständlich formuliert, aber solange wir uns einig sind, dass auf das Unterlassen abzustellen ist, ist das ja die Hauptsache 👍🏼
algru
22.3.2024, 13:02:14
Kann man hier die objektive Sorgfaltspflichtverletzung auch in einem Verletzen der Aufsichtspflicht (§16
31 BGB) sehen?
Jan Ludwig
18.8.2024, 12:42:15
Nein, da die Pflichtverletzung nicht darin besteht, die Kinder nicht beaufsichtigt zu haben, sondern die Zigaretten nicht zu entfernen. Wenn die Kinder beaufsichtigt gewesend wären, wäre es ja trotzdem zu dem Brand gekommen, sofern die Zigaretten nicht ordnungsgemäß entfernt worden wären. Natürlich könnte man dann überlegen, ob dann bei Aufsicht der Kinder, diese nicht schneller aus dem Gefahrenbereich hätten gebracht werden können, das sind aber alles nur hypothetische Überlegungen.