Einsperren als taugliche Nötigungshandlung

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T sperrt ihre ungeliebte und körperlich unterlegene Mitbewohnerin O im Abstellraum ein. Dadurch will T sie unter Freigabe von Os PayPal-Account zum Abschluss eines gemeinsamen Netflix-Abonnements "überreden". O, die mit Serien nichts anfangen kann, schließt daraufhin mit ihrem PayPal-Account das Abo ab.

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Einordnung des Falls

Einsperren als taugliche Nötigungshandlung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wenn T "einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt", verwirklicht sie den objektiven Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB).

Ja!

Geschütztes Rechtsgut ist nach h.M. die persönliche Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung. Der objektive Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) setzt voraus (1) ein Nötigungsmittel (Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel), (2) einen Nötigungserfolg (Handlung, Duldung oder Unterlassung) und (3) den nötigungsspezifischen Zusammenhang zwischen (1) und (2).
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2. Indem T die Tür des Abstellraums zwecks Einsperren der O verschlossen hat, hat sie an O "Gewalt" ausgeübt (§ 240 Abs. 1 Var. 1 StGB).

Genau, so ist das!

Der klassische Gewaltbegriff setzt voraus, dass der Täter (1) durch körperliche Kraftentfaltung (2) Zwang ausübt, indem er auf den Körper eines anderen einwirkt, (3) um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden. Die Gewalt muss sich bei der Nötigung nicht gegen eine Person richten. Denkbar ist auch eine Einwirkung auf Sachen. Voraussetzung ist dann aber, dass sich diese Einwirkung mittelbar körperlich auswirkt. Indem T die Tür zwecks Einsperren verschlossen hat, hat sie durch körperliche Kraftentfaltung eine körperliche Behinderung der O bewirkt. Anders bei der "qualifizierten Nötigung" im Rahmen des Raubes ( § 249 Abs. 1 StGB) oder der räuberischen Erpressung (§§ 253 Abs. 1, 255 StGB): Dort muss sich die Gewalt bei der Nötigung gegen eine Person richten.

3. T hat O zu einer Handlung genötigt (§ 240 Abs. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Die Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) ist ein Erfolgsdelikt. Der Täter muss ein Opferverhalten, das in einer Handlung, Duldung oder Unterlassung liegen kann, herbeigeführt haben (Nötigungserfolg). Die Handlung meint ein positives Tun. T hat durch Einsperren der O herbeigeführt, dass O ihren PayPal-Account freigibt und mit T das Abo abschließt. T hat mithin bei O ein positives Tun ausgelöst.

4. T hat gerade mit der eingesetzten Gewalt die Handlung der O kausal und objektiv zurechenbar herbeigeführt (nötigungsspezifischer Zusammenhang).

Ja!

Zwischen dem Nötigungsmittel und dem Nötigungserfolg muss eine kausale Verknüpfung bestehen, d.h. das abgenötigte Verhalten muss unmittelbare und spezifische Folge des angewandten Zwangsmittels sein. Es finden die allgemeinen Regeln der objektiven Zurechnung Anwendung. Der Zusammenhang fehlt, wenn das Opfer auf eigenen Entschluss oder fremden Rat dem Verlangen des Täters nachgibt. O hat gerade ihren PayPal-Account freigegeben und das Abo abgeschlossen, weil T sie eingesperrt hat.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Helena

Helena

16.2.2022, 14:30:51

Könnt ihr nicht auch eine räuberische Erpressung, §253 StGB vorliegen? Die Bereicherung der T könnte ja daran liegen, dass sie dadurch selbst keine Kosten für ein Netflix Konto aufbringen muss.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

21.2.2022, 19:24:28

Hallo Helena, hier spricht in der Tat einiges dafür, dass hier auch eine strafbare räuberische Erpressung vorliegt, die die Nötigung im Wege der

Gesetzeskonkurrenz

verdrängen würde. Bei der Prüfung der räuberischen Erpressung ist dabei aber insbesondere zu thematisieren, inwieweit O ein Vermögensnachteil entstanden ist. Denn für die Zahlung des Geldes erhält sie ja ebenfalls Zugang zu dem Netflix Account. Hierbei wären dann die Grundsätze des subjektiven Schadenseinschlages heranzuziehen. Hier wäre insbesondere an die Fallgruppe zu denken, dass das Opfer die Gegenleistung nicht oder nicht in vollem Umfang zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck verwenden kann (vgl. BGH, Beschl. v. 11.06.2015, Az. 2 StR 186/15). Da O kein Netfllix schaut, könnte man dies hier wohl bejahen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Skywalker

Skywalker

31.10.2023, 11:36:38

Im Rahmen des Raub gilt doch für den

Gewaltbegriff

nichts anderes. Auch hier werden unmittelbar körperlich wirkende Einwirkungen auf Sachen (nicht auf den Köper) als Gewalt angesehen (Beispiel: Einsperren). Gewalt gegenüber Sachen werden zwar (wie auch bei der Nötigung) grundsätzlich nicht erfasst. Endscheidend ist aber in beiden Fällen die körperliche Zwangswirkung die dadurch bewirkt wird. Also könnte man sowohl beim Raub als auch bei der Nötigung den modernen

Gewaltbegriff

anwenden, der das "körperliche Einwirken" durch "körperlich wirkenden Zwang" ersetzt und dadurch auch unmittelbar körperliche wirkenden Zwang im

Gewaltbegriff

umfasst. Oder?


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