Gewalt gegen Sachen

20. Mai 2025

8 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Schüler T möchte verhindern, dass sein Lehrer O am nächsten Tag rechtzeitig zur Schule kommt, um die Klassenarbeit schreiben zu lassen. Daher befestigt er nachts eine Parkkralle am Fahrzeug des O. O kommt daraufhin, wie von T beabsichtigt, am nächsten Tag zu spät zur Schule, da er notgedrungen auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen muss, und verschiebt den Test.

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Einordnung des Falls

Gewalt gegen Sachen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wenn T "einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt", verwirklicht er den objektiven Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Geschütztes Rechtsgut ist nach h.M. die persönliche Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung. Der objektive Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) setzt voraus (1) ein Nötigungsmittel (Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel), (2) einen Nötigungserfolg (Handlung, Duldung oder Unterlassung) und (3) den nötigungsspezifischen Zusammenhang zwischen (1) und (2).
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2. Indem T eine Parkkralle an das Auto des O befestigt, hat er "Gewalt" ausgeübt (§ 240 Abs. 1 Var. 1 StGB).

Ja!

Der klassische Gewaltbegriff setzt voraus, dass der Täter (1) durch körperliche Kraftentfaltung (2) Zwang ausübt, indem er auf den Körper eines anderen einwirkt, (3) um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden. Die Gewalt muss sich bei der Nötigung nicht gegen eine Person richten. Denkbar ist auch eine Einwirkung auf Sachen. Voraussetzung ist dann aber, dass sich diese Einwirkung mittelbar körperlich auswirkt. Die körperliche Einwirkung auf das Auto hat dessen Benutzbarkeit vorübergehend ausgeschaltet und sich so auch bei O mittelbar körperlich ausgewirkt. Anders bei der "qualifizierten Nötigung" im Rahmen des Raubes ( § 249 Abs. 1 StGB) oder der räuberischen Erpressung (§§ 253 Abs. 1, 255 StGB): Dort muss sich die Gewalt bei der Nötigung gegen eine Person richten.

3. T hat O zu einem Unterlassen genötigt (§ 240 Abs. 1 StGB).

Genau, so ist das!

Die Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) ist ein Erfolgsdelikt. Der Täter muss ein Opferverhalten, das in einer Handlung, Duldung oder Unterlassung liegen kann, herbeigeführt haben (Nötigungserfolg). Das Unterlassen ist die Nichtvornahme einer konkreten Handlung. Handlung meint dabei ein positives Tun. T hat durch das Anbringen der Parkkralle bewirkt, dass O nicht wie beabsichtigt mit seinem Auto zur Arbeit fahren konnte, also eine konkrete Handlung nicht vornehmen kann. Der tatbestandliche Erfolg der Nötigung ist eingetreten.

4. T hat gerade mit der eingesetzten Gewalt das Unterlassen des O kausal und objektiv zurechenbar herbeigeführt (nötigungsspezifischer Zusammenhang).

Ja, in der Tat!

Zwischen dem Nötigungsmittel und dem Nötigungserfolg muss eine kausale Verknüpfung bestehen, d.h. das abgenötigte Verhalten muss unmittelbare und spezifische Folge des angewandten Zwangsmittels sein. Es finden die allgemeinen Regeln der objektiven Zurechnung Anwendung. Der Zusammenhang fehlt, wenn das Opfer auf eigenen Entschluss oder fremden Rat dem Verlangen des Täters nachgibt. O unterlässt die Nutzung seines PKW gerade durch die Gewaltanwendung des T an dem Fahrzeug.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Helena

Helena

10.1.2022, 14:29:10

Ich finde die Abgrenzung unterlassen/Handlung hier etwas verwirrend. Könnte man nicht theoretisch auch vertreten, dass durch die „Gewalt“ O dazu gezwungen wird, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen beziehungsweise zu spät zu kommen. Könnte demnach nicht auch ein Handeln vorliegen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.1.2022, 10:34:35

Hallo Helena, es wären hier sicher auch andere Anknüpfungspunkte denkbar. Schwerpunktmäßig sollte hier durch die Parkkralle aber in erster Linie bewirkt werden, dass O das Auto nicht nutzen kann. Welches Transportmittel er dann konkret nutzen würde, war T dagegen letztlich egal. Insofern bietet es sich an, hier auf das Unterlassen abzustellen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

MUS

MusterschüLAW

14.12.2023, 20:32:25

Ich würde gerne noch die Duldung ins Spiel bringen: Er muss dulden, sein Fahrzeug nicht nutzen zu können. Kann ich in diesem konkreten Fall dann dahinstehen lassen, was konkret vorliegt, da zumindest eine Option gegeben ist?

Juraganter

Juraganter

13.12.2024, 13:25:26

Verstehe ich das richtig, dass die Einwirkung auf den Körper eines anderen Menschen durch den Täter hier dadurch vorliegt, dass das Opfer einen "körperlichen Mehraufwand" aufbringen musste, indem er das Kraftfahrzeug, das er ursprünglich nutzen wollte, nicht nutzen konnte?

TAUNU

Taunus84

12.4.2025, 22:25:13

Das verstehe ich auch nicht. Worin besteht denn die - wenn auch nur mittelbare - Einwirkung auf den Körper des O, und welcher Widerstand des O soll überwunden werden? Ich finde das super schwierig unter die gegebene Definition zu subsumieren.

FW

FW

1.2.2025, 14:07:35

Hi, ich verstehe nicht ganz, wie man das als Gewalt bezeichnen kann. Fragwürdig erscheint mir insbesondere die mittelbare körperliche Auswirkung. Ich hatte das so verstanden, dass zumindest „auf den Körper“ durch die Sache eingewirkt werden muss. Zum Beispiel wenn ich jetzt jemanden im Raum einsperre, wodurch er körperlich in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist. Oder wenn ich jemandem eine Pistole in den Mund drücke und er durch die körperlich wirkende Schockreaktion nicht mehr in der Lage ist sich zu bewegen. Hier haben wir zwar durchaus eine Kausalität, aber letztendlich doch keine körperliche Wirkung. M.E. liegt hier eher eine Aufhebung der bestimmungsgemäßen Brauchbarkeit vor, die jedoch über die Sach

beschädigung

geschützt wird.

TAUNU

Taunus84

12.4.2025, 22:26:20

* push * verstehe ich auch nicht…

Sege

Sege

28.4.2025, 14:33:21

Ich hab’s auch erst nicht verstanden aber erkläre es mir so: Der unmittelbar beabsichtigte

Nötigung

serfolg ist nicht das zu spät kommen, sondern das Unterlassen der Nutzung des Autos. Somit wird der Professor durch die Kralle dazu genötigt, von der Nutzung seines Autos abzusehen. Somit wirkt sich die Einwirkung auf die Sache auch mittelbar auf den Körper des Profs aus, da er die Autofahrt erzwungenermaßen unterlassen muss. Korrigiert mich gerne wenn ich falsch liege. :)


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