Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Objektive Zurechnung

Eingreifen freiwilliger, rechtlich nicht verpflichteter Retter – objektive Zurechnung

Eingreifen freiwilliger, rechtlich nicht verpflichteter Retter – objektive Zurechnung

17. April 2025

15 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der schusselige S hat in seiner Wohnung im 1. Stock vergessen, den Herd auszuschalten. Es kommt im Mehrfamilienhaus zum großflächigen Brand. Passantin P läuft daran vorbei und hört die Schreie eines Babys. Sie geht hinein und wird im Flur von einem herabfallenden Balken getötet.

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Einordnung des Falls

Eingreifen freiwilliger, rechtlich nicht verpflichteter Retter – objektive Zurechnung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist S der Tod der P objektiv zuzurechnen?

Ja, in der Tat!

Objektiv zurechenbar ist ein Erfolg, wenn durch das Verhalten des Täters (1) eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen worden ist, die (2) sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert. Ausnahme 1: Keine Zurechnung, wenn ein Dritter sich eigenverantwortlich selbst gefährdet. Ausnahme 2: Keine Zurechnung, wenn die Handlung des Dritten nicht typischerweise und deshalb unvorhersehbar in der Ausgangsgefahr begründet liegt. P hat sich zwar eigenverantwortlich selbst gefährdet. Sie ist freiwillige Helferin (keine Berufshelferin). Die Zurechnung ist aber ausnahmsweise geboten, wenn sich der Retter herausgefordert fühlen durfte und dies für den Täter vorhersehbar war. S hat mit dem Brand für P typischerweise und vorhersehbar ein einseitiges Motiv für gefährliche Rettungsmaßnahmen geschaffen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

SEBP

Sebastian Pitz

27.1.2020, 17:01:52

Ich bin kein Jurastudent, aber wenn sich P ohne vorheriges Informieren der Rettungskräfte in ein brennendes Haus stürzt, von dem offensichtlich eine Gefahr ausgeht, denke ich schon, dass man das als eigenständige und unverhältnismäßige Selbstgefährdung klassifizieren kann. Vor allem da P ja nur ein schreiendes Kind gehört hat, was ja auch nicht unbedingt die überstürzte Reaktion rechtfertigt. Ohne weitere Informationen hätte das Kind ja auch in einem nicht direkt gefärdeten Bereich seien können.

KO

Kolja

3.12.2021, 13:19:44

Meiner Meinung nach könnte der Ausschluss des eigenverantwortlichen Handelns so begründet werden: Jemand handelt eigenverantwortlich, wenn seine Willensbildung frei von Zwang oder Irrtum ist. Zwang muss hierbei jedoch nicht unbedingt Zwang durch

Drohung

o.ä. bedeuten. Es kann auch heißen, dass die Person sich aus moralischen Gründen gezwungen sehen kann zu handeln. Dies könnte hier der Fall sein, da ein Baby zu sterben droht. Dass dann manche Leute sozusagen „nicht anders können“ als einen Versuch zur Rettung zu unternehmen muss dem Täter bewusst sein und damit ist eine Eigenverantwortlichkeit ausgeschlossen.

BI

BigBrother

12.12.2021, 13:39:13

Die Herausforderungsrechtsprechung wird von vielen Schöff:innen bestimmt unterstützt. @Kolja Sicht ist durchaus differenzierter.

OG

Oggi

28.1.2020, 19:29:49

Ich finde hier liegt der Fall eher wie beim Feuerwehrmann, der ohne Ausrüstung helfen will. Meines Erachtens verhält sich P gleichermaßen völlig unvernünftig. In ein Haus zu rennen, welches großflächig brennt ist mit großen Lebensgefahren verbunden. Es kann meines Erachtens in einem solch gelagertem Fall auch nicht darauf ankommen, ob sie an einem herunterfallenden Balken oder einer Rauchvergiftung stirbt, da beide Gefahren gleichermaßen immanent sind. Zumal sie auch nur eine Passantin und nicht die Mutter des Kindes ist; Bei einer Mutter könnte man schon eher diskutieren, ob sie sich berechtigterweise herausgefordert fühlen durfte zu helfen.

Henk

Henk

4.3.2020, 10:00:57

Stimme Dir grdsl zu. Ist wahrscheinlich eine Wertungsentscheidung. Der Gedanke den ich mir dahinter vorstelle ist, dass Personen die vor der Feuerwehr vor Ort sind, in der Lage sind Schäden aufgrund des Zeitvorsprunges zur Feuerwehr abwenden zu können. Diese wären beim Eintreffen der Fw evtl schon eingetreten. Für die Personen der Feuerwehr wäre es unvernünftig nicht schnell ihre Schutzausrüstung anzuziehen. Der obige Zeitvorsprung ist auch bereits verstrichen.

Constanze.Jauch

Constanze.Jauch

20.2.2023, 14:21:45

Oggi, ich sehe das anders. Der Feuerwehrmann kennt aufgrund seines Berufes die Gefahren, die mit seiner Handlung einhergehen. Er ist gerade aufgrund seines Berufes in der Lage die Gefahr abzuschätzen ( zB wie weit ist die Beschädigung des Hauses etc.) die besteht, wenn er ohne Ausrüstung und Absprache in das brennende Haus rennt. Zudem hat der Feuerwehrmann auch andere Risiken einzugehen, als eine Passantin, da diese mit seinem Beruf einhergehen. Eine Passantin, die die Lage nicht überblicken kann, hat diese Kenntnis eben nicht und handelt nur, weil sie sich in der Pflicht sieht zu handeln.

EN

Entenpulli

10.8.2023, 21:14:39

Wenn die Zurechnung schon bei einem Feuerwehrmann entfällt, der ohne Ausrüstung ins Haus stürmt, dann doch erst recht bei einem Laien, der zudem noch weniger dazu verpflichtet ist aktiv einzugreifen. Der Feuerwehrmann muss (nach Anlegen der Ausrüstung) helfen, die Passantin nicht. Es leuchtet mir also nicht ein, wieso der Fall hier anders entschieden wird. Über eine Erklärung würde ich mich sehr freuen.

BL

Blotgrim

25.8.2024, 11:21:10

Ich würde mir auch nochmal eine Erklärung wünschen, sonst erscheint mir das willkürlich und öffnet meiner Meinung nach die Tür für Fälle in denen Leute den Helden spielen wollen

JulyLande

JulyLande

16.2.2025, 16:58:10

Laut Kindhäusers Lehrbuch zum Allgemeinen Teil (Kapitel

Objektive Zurechnung

—> Retterfälle) stellt die hM vermittelnd darauf ab, wie plausibel die Rettung in Anbetracht der mit ihr verbundenen Gefahren war. Liegt eine „vernünftige Selbstgefährdung vor“, sei diese zurechenbar. Beispiele: - Das eigene Leben (wie in unserem Fall) aufs Spiel setzen, um ein Menschenleben zu retten —> plausibel. - Das eigene Leben aufs Spiel setzen, um einen Bagatellschaden oder Ähnliches zu verhindern —> unplausibel. Das hilft m.E. Auch nicht wirklich weiter, weil wir uns jetzt immer die Frage stellen müssen, was im Einzelfall „plausibel“ ist. Es zeigt aber immerhin, wie schwierig hier die Einzelfälle sein können und das man mit entsprechender Argumentation wohl viel vertreten kann, ohne dass es falsch sein dürfte :).

nekrokristus

nekrokristus

13.4.2024, 21:36:42

Ich gehe mal davon aus, dass wir uns hier im Fahrlässigkeitsbereich aufhalten. Prüfen wir hier trotzdem nach dem vollendeten Begehungsdelikt oder im Fahrlässigkeitsdelikt (wenn zuvor diese bejaht wurde)

LELEE

Leo Lee

14.4.2024, 09:02:35

Hallo nekrokristus, vielen Dank für die sehr gute Frage! Hier befinden wir uns „ganz allgemein“ in der obj. Zurechnung, also ungeachtet dessen, ob wir ein

Vorsatz

- oder Fahrlässigkeitsdelikt haben; denn die obj. Zurechnung (zumindest nach der h.L. und somit auch in der Klausurlösung bis zum ersten Examen) ist sowohl Teil des Vorsat- als auch des Fahrlässigkeitsdelikts. In diesem Fall wäre die obj. Zurechnung i.R.d. Fahrlässigkeit zu prüfen. Sobald aber der S auch nur mit

Eventualvorsatz

handelt, wäre die obj. Zurechnung im

Vorsatz

delikt anzusprechen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

LI

Lindasey

24.3.2025, 14:02:06

Ich habe dieses Problem anders gelernt => Bei dem privaten Retter muss 1. ein eigenes Rechtsgut oder das einer nahestehenden Person verletzt sein (- und das ist ja bei einer Passantin gerade nicht der Fall) und 2. muss der Retter gerade DADURCH ein einsichtiges Motiv zur Rettung haben, also "durch die Gefahrsetzung herausgefordert werden". Aus diesen Gründen finde ich es falsch hier die

objektive Zurechnung

zu bejahen.

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

25.3.2025, 00:11:22

Hallo @[Lindasey](292087), das habe ich glaube ich auch so gelernt. Meine Recherche dazu hat jedoch ergeben, dass sowohl der BGH als auch die Literatur da großzügiger sind und in einem solchen Fall die Zurechnung bejahen. Nach dem BGH, an dem sich die Lösung hier orientiert, reicht es bereits aus, dass der Täter beim Retter ein nachvollziehbares Motiv zur Selbstgefährdung schafft, damit dieses sich zur Rettung herausgefordert fühlen darf. Dies gilt jedenfalls, solange der Rettungsversuch nicht offensichtlich unvernünftig ist. Neben dem dem Fall zugrundeliegenden Urteil kann ich hierzu insbesondere MüKoStGB/Radtke, 4. Aufl. 2022, StGB § 306c Rn. 16-23 empfehlen. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team


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