Einführungsfall: Quälen

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T ist Babysitterin des fünfjährigen O. Als sie O übers Wochenende beaufsichtigt, sperrt sie ihn von Freitag auf Samstag in den dunklen Keller ein, um die 2 Staffeln der Netflix-Serie "How to Sell Drugs Online (Fast)" störungsfrei genießen zu können. O bleibt die Nacht wach und steht Todesängste aus. Dies hatte T billigend in Kauf genommen.

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Einordnung des Falls

Einführungsfall: Quälen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wer eine Person unter 18 Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden ist, quält oder roh misshandelt, verwirklicht den objektiven Tatbestand der Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 Abs. 1 Nr. 3 StGB).

Genau, so ist das!

§ 225 StGB schützt die körperliche Unversehrtheit und psychische Integrität Minderjähriger sowie in besonderer Weise auf Fürsorge angewiesener Personen in bestimmten Fürsorge- und Abhängigkeitsverhältnissen, in denen sie schädigenden Einwirkungen durch die Personen, von denen sie abhängig sind, wehrlos ausgeliefert sind. Die Vorschrift enthält teilweise Qualifikationstatbestände der einfachen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB). Da seelische Beeinträchtigungen von der einfachen Körperverletzung nicht umfasst sind, enthält § 225 StGB aber auch einen eigenständigen Tatbestand und ist insoweit ein echtes Sonderdelikt.
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2. Der fünfjährige O ist als "Person unter 18 Jahren" taugliches Tatobjekt der Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 Abs. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Die Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 Abs. 1 StGB) bezieht sich auf bestimmte Schutzverhältnisse, bei denen der Täter jeweils eine Garantenstellung gegenüber dem Opfer innehat. Geschützt sind Personen unter 18 Jahren und wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit Wehrlose. O ist als Fünfjähriger taugliches Schutzobjekt.

3. Zwischen T und O besteht ein Schutzverhältnis (§ 225 Abs. 1 Nr. 1-4 StGB).

Ja!

Täter und Opfer müssen in einer rechtliche Beziehung zueinander stehen. Diese Verpflichtung ist ein besonderes persönliches Merkmal (§ 28 StGB). § 225 Abs. 1 StGB unterscheidet vier verschiedene Schutzverhältnisse: Fürsorge und Obhut (Nr. 1), Hausstand (Nr. 2), der Gewalt überlassen (Nr. 3) und Dienst- und Arbeitsverhältnis (Nr. 4). Eine Person ist von dem Fürsorgepflichtigen der Gewalt des Täters überlassen worden (§ 225 Abs. 1 Nr. 3 StGB), wenn sie vom Täter mit Willen des Fürsorgepflichtigen in einem bestimmten zeitlichen Umfang beaufsichtigt wird (tatsächlicher Vorgang). Dies trifft für T als Babysitterin zu.

4. Indem T den O in den dunklen Keller eingesperrt und ihn in Todesangst versetzt hat, hat sie O "gequält" (§ 225 Abs. 1 Var. 1 StGB).

Genau, so ist das!

Tathandlungen des § 225 Abs. 1 StGB sind Quälen, rohes Misshandeln und böswilliges Vernachlässigen der Sorgepflicht. Diese Modalitäten können auch durch Unterlassen verwirklicht werden. Quälen ist das Zufügen von Leid oder länger andauernden oder sich wiederholenden Schmerzen körperlicher oder seelischer Art. Erfasst hiervon sind auch seelische Leiden, denn neben der körperlichen Unversehrtheit wird von § 225 Abs. 1 StGB auch die psychische Integrität einer unter besonderen Schutzverhältnissen stehenden Person geschützt. Durch das Versetzen in Todesängste hat T dem O seelische Leiden hinzugefügt und ihn somit gequält.

5. Das Merkmal "quälen" erfordert nach Ansicht des BGH über den Vorsatz hinaus eine besondere subjektive Beziehung des Täters zur Tat im Sinne eines Handelns aus Lust an der Schmerzzufügung, aus niedriger Gesinnung oder aus Böswilligkeit.

Nein, das trifft nicht zu!

Der BGH und die h.M. in der Literatur lassen für die Tathandlung "quälen" ausreichen, dass der Täter dem Schutzbefohlenen zumindest bedingt vorsätzlich länger andauernde oder sich wiederholende (erhebliche) Schmerzen oder Leiden zufügt. Eine Tatbegehung aus Gleichgültigkeit oder Schwäche reiche aus. Demgegenüber verlangt eine andere Literaturauffassung, dass die Tat aus einer gefühllos-unbarmherzigen Gesinnung begangen wird und begründet dies mit einem innertatbestandlichen Vergleich mit den zwei weiteren Begehungsweisen des § 225 Abs. 1 StGB. Dem entgegnet der BGH: Gerade weil der Gesetzgeber bei der Formulierung ausdrücklich zwischen Begehungsweisen mit besonderer subjektiver Beziehung zur Tat ("rohe Misshandlung", "böswillige Vernachlässigung") und solchen ohne derartigen Zusatz unterscheide, ergebe sich im Umkehrschluss, dass bei der Variante des "Quälens" keine weiteren subjektiven Voraussetzungen vorliegen müssen.
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