"Täter hinter dem Täter" 7 – Organisationsherrschaft in Unternehmen
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
GmbH-Geschäftsführer G erkennt, dass seine Gesellschaft zahlungsunfähig ist. Entgegen seiner strafbewehrten Pflicht aus § 15a Abs. 1, 4 Nr. 1 InsO beantragt er nicht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern lässt die Geschäfte weiterlaufen. Sein um die Zahlungsunfähigkeit wissender Angestellter A bestellt deswegen bei verschiedenen Zulieferern Waren, die nicht mehr bezahlt werden können.
Einordnung des Falls
"Täter hinter dem Täter" 7 – Organisationsherrschaft in Unternehmen
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Indem A die Waren bestellte, hat er sich wegen Betruges (§ 263 Abs.1 StGB) strafbar gemacht.
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Ja, in der Tat!
2. Da A selbst volldeliktisch handelte, scheidet nach der Rechtsprechung eine mittelbare Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) des G immer aus.
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Nein!
3. Auch nach der h.L. hat sich G aufgrund seiner Organisationsherrschaft wegen Betruges in mittelbarer Täterschaft (§§ 263 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) strafbar gemacht.
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Nein, das ist nicht der Fall!
4. Nach der Rspr kommt dem G Organisationsherrschaft zu, sodass er sich wegen Betruges in mittelbarer Täterschaft (§§ 263 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) strafbar gemacht.
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Genau, so ist das!
Fundstellen
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Tigerwitsch
1.3.2021, 21:55:00
Verstehe ich es richtig, dass der BGH jedoch auch beim unternehmerischen / gewerblichen „Täter hinter dem Täter“ aufgrund von Organisationsherrschaft die mittelbare Täterschaft des G bejahen würde. Lediglich die Literatur nimmt in diesem gewerblichen Kontext die Anstiftung an. Korrekt?

Der BGBoss
16.5.2021, 21:10:32
Ja 👍🏼

Der BGBoss
6.7.2021, 19:34:15
Ich finde es immer nicht gut, wenn die Frage darauf abzielt, dass man einer bestimmten Gruppe einen Ansatz zur Problemlösung zuordnet. Letztlich ist wesentlich wichtiger was gesagt wurde und die Frage wer es gesagt hat m.E. allenfalls zweitrangig

Lukas_Mengestu
9.7.2021, 14:46:29
Vielen Dank für Dein Feedback, BGBoss! Du hast natürlich Recht, dass die Nennung von "Autoritäten" eine Behauptung nicht besser machen, vielmehr muss diese gerade in den Klausuren des ersten Examens auch mit den entsprechenden Argumenten unterfüttert werden. "Der BGH macht das so" ist insoweit gänzlich ungenügend. Dennoch hilft es gerade im Strafrecht manchmal, wenn man Streitigkeiten an bestimmten Vertretern festmachen kann (zB die Abgrenzung Raub/räuberische Erpressung; Systematik:Mord/Totschlag). Wir haben insoweit nun hier noch einen Vertiefungshinweis im Hinblick auf die Kritik der Literatur ergänzt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Der BGBoss
9.7.2021, 16:11:07
Die Vertiefung finde ich gut 👍🏼, LG
Dogu
11.6.2023, 12:07:19
A täuscht doch nicht über seine eigene Zahlungswilligkeit und Fähigkeit, sondern die der GmbH. Vielleicht könnte das im Sachverhalt präzisiert werden.
Vincent
30.6.2023, 11:48:57
Hey, mir erschließt sich nicht, warum die mittelbare täterschaft angenommen wird, schließlich weiß der A ja um die Zahlungsunfähigkeit der Firma und ignoriert diese. Er wurde vorliegend Ja eben nicht vom Chef aufgefordert neue Waren zu bestellen.

Nora Mommsen
1.7.2023, 12:39:22
Hallo Vincent, mit deinen Zweifeln bist du nicht alleine. So gibt es eine starke Meinung in der Literatur, die die Konstellation der Organisationsherrschaft nicht auf Wirtschaftsunternehmen anwenden will, gerade weil nicht ein vergleichbarer Druck besteht wie in kriminellen Vereinigungen und Unrechtsregimen. Allerdings hält die andere Ansicht dagegen, dass G wusste, dass die Geschäfte regelhaft weitergeführt wurden. Und das ist auch deinem letzten Argument entgegen zu halten. Ein Einkäufer wird nicht für jeden einzelnen Einkauf vom Geschäftsführer angewiesen. Lebensnah ist seine Aufgabenausgestaltung so, dass es seine Verantwortung ist die Bestände im Blick zu behalten und entsprechend nach Bedarf nachzuordern. G wusste, dass es genauso kommen würde, wenn er nichts unternimmt. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team