Radfahrerfall (Pflichtwidrigkeitszusammenhang)
26. April 2025
8 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
LKW-Fahrer L lässt nur einen Abstand von 0,75m zum Radfahrer R. R ist betrunken (1,96 Promille). Als L überholt, erschrickt sich R, gerät unter die Räder und ist tot. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre dies auch bei einem angemessenen Abstand von 1-1,5m passiert.
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Einordnung des Falls
Radfahrerfall (Pflichtwidrigkeitszusammenhang)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. L hat den Tod des R kausal verursacht.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. L hat sich objektiv sorgfaltspflichtwidrig verhalten.
Ja!
3. Der Tod des R war auch objektiv vorhersehbar.
Genau, so ist das!
4. Der Tod des R ist dem L nach der Vermeidbarkeitstheorie objektiv zuzurechnen.
Nein, das trifft nicht zu!
5. Der Tod des R wäre dem L aber nach der Risikoerhöhungslehre objektiv zuzurechnen.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Dave K. 🦊
8.1.2022, 11:10:28
Guten Morgen liebes Jurafuchs-Team, leider finde ich die Lösung wenig „überzeugend“. 1. ist eine hohe Wahrscheinlichkeit nicht die vorausgesetzte „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“. Bsp: Das die Zahl 1-5 bei einem 🎲 erscheinend, ist hoch, aber deshalb noch lange nicht (mit an-) sicher(heit grenzend). Oder wie seht ihr das? 2. für das rechtmäßige Alternativverhalten spielen die 1-1,5m doch keine Rolle, da der geforderte Abstand *mindestens* 1,5m betragen muss. Wenn man jetzt sehr genau ist, könnte man natürlich sagen, die 1-1,5m enthält eben die mindestens 1,5m, aber ob das wirklich überzeugend ist und man deshalb den
Pflichtwidrigkeitszusammenhangverneint, darf man wohl in Frage stellen. Zumal „mindestens“ eben auch mehr bedeuten kann. LG 😊

Lukas_Mengestu
10.1.2022, 12:27:13
Hallo Dave, vielen Dank für Deinen Hinweis bzw. Deine Rückfrage. zu 1: Die kleine Strafkammer (LG) hat als Berufungsinstanz in dem zugrundeliegenden Ausgangsfall in der Tat die "hohe" Wahrscheinlichkeit genügen lassen. Dass dies durchaus nicht umstritten ist, zeigt sich bereits daran, dass das als Revisionsinstanz angerufene OLG die Sache dem BGH vorgelegt hat. Dieser hatte es indes nicht beanstandet, dass hier "lediglich" eine hohe Wahrscheinlichkeit als gegeben erachtet wurden. Der BGH hat insoweit zudem klargestellt, dass es hierfür keine "absolute", d.h. denkgesetzlich zwingende Sicherheit bedarf. Insofern kann man hier durchaus etwas großzügiger sein. Da es aber so vage ist, kannst Du Dich in der Klausur letztlich oftmals in beide Richtungen entscheiden.

Lukas_Mengestu
10.1.2022, 12:30:27
zu 2: Sehr guter Einwand. Die Regelung mit den 1,5m gibt es allerdings erst seit April 2020. Der BGH hat damals - ohne Rückgriff auf das allgemeine Rücksichtnahmegebot - 1 - 1,5 m als pflichtgemäßen Abstand erachtet. Wir haben das nun in der Antwort noch präzisiert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
alexd.227
21.1.2024, 01:05:19
auf die Frage, ob der lkw fahrer damit hötte rechnen müssen, ist die antwort ja, in der erklärung steht aber, dass die lösung nein ist, oder verstehe ich da was falsch?

Gruttmann
21.1.2024, 14:52:32
In der Lösung steht, es ist nicht unvorhersehbar für einen …. dass sowas passieren kann. Also es ist objektiv vorhersehbar. Schau nochmal nach, du wirst es bestimmt verstehen. LG

Sassun
5.12.2024, 17:50:13
Mir ist klar, dass versucht wird die gigantische Stoffbreite kurz und prägnant abzubilden. Leider ist ein Argument wie "Umdeutung Erfolgsdelikte in Gefährdungsdelikte" mE (und auch nach meinem Korrektor) in der Klausur einfach nicht genug. Es wäre sehr schön, könnte dieses entscheidende Argument in besser hergeleitet werden. Gerade wenn dieses Problem angelegt ist, sollte es doch sauber gelöst werden. Bei meiner Recherche habe ich folgenden Gedanken gefunden: Die PflichtWZG gehört bei Fahrlässigkeitsdelikten zum Haftungsbegründenden Element. Es würde gegen
in dubio pro reoverstoßen dem Täter einen Erfolg zuzurechnen, den er möglicherweise genauso herbeigeführt hätte, hätte er sich pflichtgemäß verhalten. Die Erfolgshaftung bei nur möglicher
Vermeidbarkeitrechtl
ich missbilligter Folgen, deutet Erfolgsdelikte contra legem in Gefährdungsdelikte um.
benjaminmeister
12.4.2025, 00:06:45
Einerseits vermisse ich im Maßstab, dass auch die Risikoerhöhungslehre wohl mindestens ein deutliches Erhöhen des Risikos erfordert, um eine
hypothetische Kausalitätzu bejahen (in der darauf folgenden Subsumtion steht das ebenfalls). Andererseits steht im Sachverhalt, dass auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten, der Erfolg mit hoher Wahrscheinlichkeit eingetreten wäre. Das spricht mMn. gerade nicht dafür, dass die
Pflichtverletzungdas Risiko "deutlich" (!) erhöht hat. Im Gegensatz: das Risiko wurde nur geringfügig erhöht und auch nach der Risikoerhöhungstheorie müsste man hier mMn. die
hypothetische Kausalitätverneinen. Es handelt sich gerade nicht um einen Fall mit der Formulierung "bei pflichtgemäßem Alternativverhalten wäre nur möglicherweise der Erfolg eingetreten" (wie der nächste JF-Fall). Nochmal an einem Beispiel mit Zahlen: 1. Erfolg ist eingetreten, der Täter handelte pflichtwidrig. Hätte er pflichtgemäß gehandelt, wäre der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten (sagen wir mal nur 0-10 % Eintrittswahrscheinlichkeit). Sowohl Risikoerhöhungstheorie (Risiko wurde durch
pflichtwidriges Verhaltenvon 0-10 % auf 100 % deutlich um min. 90 Prozentpunkte erhöht - der Erfolg ist ja offensichtlich bei Pflichtwidrigkeit eingetreten -) als auch Vermeidungstheorie bejahen Kausalität. 2. Erfolg ist eingetreten, der Täter handelte pflichtwidrig. Hätte er pflichtgemäß gehandelt, wäre der Erfolg mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % eingetreten ("möglicherweise"). Die Vermeidungstheorie würde die Kausalität verneinen, weil der Erfolg nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfallen wäre. Die Risikoerhöhungstheorie würde die Kausalität hingegen bejahen, weil das Risiko von 50 % auf 100 % (der Erfolg ist beim pflichtwidrigem Verhalten ja offensichtlich eingetreten) deutlich um 50 Prozentpunkte erhöht wurde. Der vorliegende JF-Fall ist aber das hier: 3. Erfolg ist eingetreten, der Täter handelte pflichtwidrig. Hätte er pflichtgemäß gehandelt, wäre der Erfolg mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls eingetreten. Darunter könnte man zum Beispiel eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 80-90 % bei pflichtgemäßem Verhalten verstehen. Die Vermeidungstheorie würde die Kausalität auf jedenfall verneinen, weil der Erfolg nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfallen wäre. Aber auch nach der Risikoerhöhungslehre müsste mMn. die Kausalität verneint werden, weil eine Erhöhung des Risikos von 80-90 % ("Erfolg wäre auch bei pflichtgemäßem Verhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit eingetreten") auf 100 % (Erfolg ist bei pflichtwidrigem Verhalten offensichtlich eingetreten) keine (!) deutliche Erhöhung ist. Sieht das jemand genauso?
benjaminmeister
18.4.2025, 08:34:19
Außerdem ist mir noch aufgefallen, dass in dem einen Erklärungstext steht: "Der Unfalltod des R wäre trotz genügend Sicherheitsabstand als rechtmäßigem Alternativverhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eingetreten.". Das ist auch nicht richtig. Im Sachverhalt ist nur von hoher Wahrscheinlichkeit die Rede, was nicht einer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entspricht. Für die Verneinung (!) der hypothetischen Kausalität nach der
Vermeidbarkeitstheorieist es aber auch gar nicht nötig, dass der Erfolg trotz pflichtgemäßen Verhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eingetreten wäre. Die Formulierung ist - insbesondere für Einsteiger - unnötig verwirrend. Besser wäre: "Der Unfalltod des R wäre trotz genügend Sicherheitsabstand als rechtmäßigem Alternativverhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit eingetreten. Dementsprechend wäre er bei pflichtgemäßen Verhalten gerade nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden."