Entbehrlichkeit der Frist I – ernsthafte und endgültige Verweigerung

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K kauft von V eine Küche, die V einbauen soll. V baut die Küche komplett schief ein. K verlangt von V mehrfach, dies zu beheben. V beharrt dagegen darauf, erst nach vollständiger Zahlung des Kaufpreises nachzubessern. K beauftragt deshalb Handwerkerin H.

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Einordnung des Falls

Entbehrlichkeit der Frist I – ernsthafte und endgültige Verweigerung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K könnten einen Schadensersatzanspruch wegen der Mehrkosten für die Beauftragung der H aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB haben.

Ja!

Der Anspruch setzt voraus, dass (1) ein Schuldverhältnis(=Kaufvertrag) besteht, (2) der Schuldner - trotz Möglichkeit - nicht ordnungsgemäß leistet(=Mangel) und (3) eine vom Gläubiger gesetzte, angemessene Nachfrist erfolglos abgelaufen ist. Ferner muss (4) der Schuldner seine Pflichtverletzung zu vertreten haben und schließlich (5) dem Gläubiger hierdurch ein Schaden entstanden sein.Immer an die Verweisungsnorm denken (§ 437 Nr. 3 BGB). Durch den Einbau ist es hier zum Gefahrübergang (§ 446 BGB) gekommen.
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2. Zwischen K und V besteht ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis.

Genau, so ist das!

Zur Begründung eines rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisses ist grundsätzlich ein Vertrag zwischen den Beteiligten notwendig (§ 311 Abs. 1 BGB). K und V haben einen Kaufvertrag mit Montageverpflichtung abgeschlossen (§ 433 BGB).Sofern K den V nur mit dem Einbau beauftragt hätte, wäre auch ein Werkvertrag (§ 631 BGB) in Betracht gekommen.

3. V hat seine Leistung wie geschuldet erbracht.

Nein, das trifft nicht zu!

Nicht wie geschuldet ist die Leistung erbracht, wenn ihr Inhalt oder die Art ihrer Erbringung in irgendeiner Weise von dem abweicht, was Gesetz oder Parteivereinbarung festgelegt haben. Beim Kaufvertrag ist dies der Fall, wenn ein Sachmangel vorliegt (§ 434 Abs. 1 BGB nF). Ist zusätzlich zur Übereignung und Übergabe auch die Montage geschuldet, so liegt ein Mangel vor, wenn die Montage nicht sachgemäß durchgeführt worden ist (§ 434 Abs. 4 Nr. 1 BGB nF). V hat die gesamte Küche schief eingebaut. Damit fehlt es an der ordnungsgemäßen Montage und ein Sachmangel liegt vor (§ 434 Abs. 1 BGB nF).

4. K kann verlangen, dass V die Küche ordnungsgemäß montiert (§§ 437 Nr. 1, 439 BGB).

Ja!

Ist die Sache mangelhaft, kann der Käufer nach § 439 BGB Nacherfüllung verlangen . Er kann dabei als Nacherfüllung nach seiner Wahl die Beseitigung des Mangels (Nachbesserung) oder die Lieferung einer mangelfreien Sache (Nachlieferung) verlangen (§ 439 Abs. 1 BGB).Da V die Küche fehlerhaft eingebaut hat, hat K einen Anspruch aus §§ 437 Nr. 1, 439 BGB, dass V diese ordnungsgemäß nachbessert.

5. V kann vor der Nacherfüllung zunächst den Kaufpreis verlangen. Ks Nacherfüllungsanspruch ist deshalb noch nicht fällig.

Nein, das ist nicht der Fall!

Liefert der Verkäufer eine mangelhafte Sache, hat der Käufer einen Nacherfüllungsanspruch (§§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB). Dieser Nacherfüllungsanspruch steht mit der Kaufpreiszahlungspflicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis (Synallagma), ebenso wie der ursprüngliche Erfüllungsanspruch (§ 433 Abs. 1 S. 2 BGB). Solange der Verkäufer diese Pflicht nicht erfüllt, kann der Käufer deshalb die Leistung verweigern (§ 320 Abs. 1 BGB, Einrede des nichterfüllten Vertrags). K muss nicht mit dem Kaufpreis in Vorleistung gehen, sondern nur Zug-um-Zug gegen Nacherfüllung zahlen.

6. K hat V wirksam eine Nachfrist gesetzt.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Fristsetzung ist die Aufforderung des Gläubigers an den Schuldner, die Leistung innerhalb eines hinreichend bestimmten oder zumindest bestimmbaren Zeitraums zu bewirken.K hat V hier lediglich aufgefordert. Eine Frist hat sie dagegen nicht gesetzt, noch nicht einmal einen bestimmbaren Zeitraum (z.B. durch die Wörter „schnell“, „umgehend“).

7. Um einen Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB geltend zu machen, bedarf es immer einer Fristsetzung.

Nein!

Der Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB setzt grundsätzlich eine Nachfristsetzung voraus, um dem Schuldner eine zweite Chance zu geben. Die Fristsetzung ist aber entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert (§ 281 Abs. 2 1. Alt BGB) oder besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs rechtfertigen (§ 281 Abs. 2 2. Alt. BGB).Lerne im Zusammenhang! Auch beim Rücktritt kann eine vorherige Fristsetzung entbehrlich sein (§ 323 Abs. 2 BGB).Beachte: Anders als beim Rücktritt (§ 323 Abs. 4 BGB) kann der Schadensersatzanspruch aber grundsätzlich nicht vor Fälligkeit der Leistung geltend gemacht werden.

8. K musste V zunächst eine Nachfrist setzen, bevor sie H mit der Nachbesserung beauftragte und hierfür von V Schadensersatz verlangte.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die nach § 281 Abs. 1 BGB zu setzende Frist ist entbehrlich, wenn der Schuldner die Erfüllung ernsthaft und endgültig verweigert. Diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn der Schuldner eindeutig zum Ausdruck bringt, er werde seinen Verpflichtungen nicht nachkommen, und es damit ausgeschlossen erscheint, dass er sich durch eine Aufforderung zur Leistung umstimmen ließe. Die Weigerung muss das letzte Wort des Schuldners sein. V hat hier darauf beharrt, dass K in Vorleistung gehen muss. Er zeigte sich insoweit auch gänzlich uneinsichtig. Vor diesem Hintergrund kommt es auch nicht darauf an, ob sich V hier in einem Rechtsirrtum befand. Aus den Gesamtumständen durfte K schließen, die Ablehnung sei endgültig.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

QUIG

QuiGonTim

27.7.2022, 19:10:59

Nochmal zur

Fristsetzung

: Die bloße Aufforderung zur Nacherfüllung genügt nicht. Dann würde es sich lediglich um eine Mahnung handeln. Zur

Fristsetzung

muss die Aufforderung immer mit einem in zeitlicher Hinsicht bestimmten oder bestimmbaren Leistungsziel versehen sein. Richtig?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.8.2022, 15:17:03

Hallo QuiGonTim, ganz richtig. Zwar fallen Mahnung und

Fristsetzung

oft zusammen und die

Fristsetzung

erfordert auch nicht die Nennung einer bestimmten Frist im Sinne von Zeitspanne oder eines Tages. Allerdings muss die Frist zumindest bestimmbar sein. "Dem Schuldner soll mit der

Fristsetzung

vor Augen geführt werden, dass er die Leistung nicht zu einem beliebigen Zeitpunkt bewirken kann, sondern dass ihm hierfür eine zeitliche Grenze gesetzt ist. Dieser Zweck wird durch eine Aufforderung, sofort, unverzüglich oder umgehend zu leisten, hinreichend erfüllt" (BGH, NJW 2009, 3153 Rn. 10 f.). Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

CR7

CR7

24.2.2023, 00:04:37

Gerne hier noch einen Klausurhinweis einbauen, dass es beim Rücktritt nach 323 II Nr. 1 auch so ist und man sich kernarbeit erspart 😄✌🏻

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

16.3.2023, 11:12:24

Danke Dir, das haben wir noch mit aufgenommen :-) Beste Grüße, Lukas

QUIG

QuiGonTim

14.2.2024, 22:54:27

Wieso kann sich V nicht ebenfalls auf die Einrede des nicht erfüllten Vertrages (§ 320 Abs. 1 S. 1 BGB) berufen?

paulmachtexamen

paulmachtexamen

10.3.2024, 11:12:52

Der Frage schließe ich mich an und erweitere sie um die Frage, ob V sich notfalls auch noch auf das

Zurückbehaltungsrecht

des

273

berufen kann, wofür ja noch nicht einmal ein

Synallagma

erforderlich ist.

0815jurafuchs

0815jurafuchs

4.4.2024, 13:47:29

Das habe ich mich auch gefragt. Eine Antwort dazu wäre hilfreich.

Paulah

Paulah

18.5.2024, 19:06:26

Das hätte meiner Meinung nach nicht so ganz viel Sinn, weil K einen Anspruch auf eine mängelfreie Küche hat. Die hat V nicht geliefert. K würde demnach auch die Einrede des nichterfüllten Vertrags zustehen. V kann entgegengehalten werden, dass er selbst nicht vertragstreu i. S. d. § 242 BGB ist [MüKo/Emmerich, BGB § 320 Rn. 42; Looschelders, SchR AT, § 15 Rn. 19; Staudinger/Schwarze, BGB § 320 Rn. 37; BeckOGK/Rüfner, BGB § 320 Rn. 61; Schwarze, Leistungsstörungen, § 14 Rn. 8; Grüneberg/Grüneberg, BGB § 320 Rn. 6; a. A.: Erman/Ulber, BGB

§ 320 BGB

, Rn. 24]

IT

itsjuju

27.3.2024, 20:48:17

Hier könnte in der Lösung noch auf den § 281 Abs 2 hingewiesen werden.

LELEE

Leo Lee

29.3.2024, 00:09:30

Hallo itsjuju, vielen Dank für dein Feedback! Beachte allerdings, dass auf § 281 II hingewiesen wird in der Antwort zu der vorletzten Aufgabe :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

LS2024

LS2024

19.4.2024, 13:57:18

Die Lösung ist falsch. K hat keinen durchsetzbaren Anspruch, da der V ihr die Einrede aus § 320 I BGB entgegenhalten kann. Anders als im BGH Fall hat die K hier noch nicht den Großteil der Kaufpreisverbindlichkeit erfüllt, sodass auch der Ausschlusstatbestand aus § 320 II BGB hier nicht greift. Entweder Lösung oder Sachverhalt sind somit anzupassen.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

7.9.2024, 09:31:46

Hallo @[LS2024](144077), ich halte den Fall und die Lösung, die das Jurafuchs-Team hier erstellt hat, für richtig oder zumindest für sehr gut vertretbar. Du hast insoweit Recht, dass hier nähere Umstände des Falls eine entscheidende Rolle spielen, zB eine von Dir angesprochene Anzahlung der K. Davon wissen wir hier aber nichts, müssen also davon ausgehen, dass es die nicht gab. Das ist im BGH-Fall, auf den Bezug genommen wird, anders. Dort hatte die Käuferin einen erheblichen Teil der Küche schon bezahlt, sodass man die Einrede des Verkäufers über § 320 II BGB rauskegeln konnte, er sich also deshalb nicht auf die Einrede § 320 I 1 BGB berufen konnte. Warum steht nun V iE trotzdem nicht (ebenfalls) die Einrede aus § 320 I 1 BGB zu? Entscheidend ist mE, dass er ernsthaft und endgültig jegliche Nachbesserung verweigert, bis er den vollen Kaufpreis erhalten hat. Dazu hat er aber kein Recht, denn seinen Anspruch auf vollständige Kaufpreiszahlung hat er ja gerade nur Zug-um-Zug gegen Erfüllung sämtlicher seiner eigenen Verpflichtungen, hier also Lieferung und ordnungsgemäße Montage der Küche. Wer aber in einem solchen Fall von der anderen Seite verlangt, vollständig in Vorleistung zu gehen, setzt sich in Widerspruch zum Vertrag, verhält sich vertragsuntreu. Nach wohl überwiegender Auffassung ist die eigene Vertragstreue aber ein ungeschriebenes Merkmal, um sich auf

§ 320 BGB

berufen zu können (so zB Hk-BGB/Fries, 12. Aufl 2024, § 320 Rn 6; MüKo-BGB/Emmerich, 9. Aufl 2022, § 320 Rn 42, aA natürlich vertretbar). Im BGH-Fall hatte der Verkäufer Entsprechendes in seinen AGB stehen, der Käufer war danach zur vollständigen Vorauszahlung verpflichtet - was der BGH iE nach der AGB-Kontrolle ebenfalls nicht durchgehen ließ. Zuletzt dürfte hier auch die Einrede der K nicht nach § 320 II BGB ausgeschlossen. V ist zwar durch Lieferung der Küche in Vorleistung gegangen, hat die Küche aber so schief aufgebaut, dass der Nutzen für K kaum vorhanden ist. Darin wird man also kaum einen "verhältnismäßig geringfügigen Rückstand" iSd Norm sehen können. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

LS2024

LS2024

11.9.2024, 11:04:29

Danke Dir @[Sebastian Schmitt](263562) für Deine ausführliche Antwort.


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