Entbehrlichkeit der Frist II – besondere Gründe (Verletzung Leistungstreue)

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K hat bei Autohändlerin V einen neuen Porsche Carrera für €45.000 gekauft. Zufällig bekommt K mit, wie V die Türen des neuen Wagens mit denen eines älteren Porsche austauscht. K will den Wagen daraufhin nicht mehr und bestellt bei H ein Fahrzeug zum Preis von €49.500.

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Einordnung des Falls

Entbehrlichkeit der Frist II – besondere Gründe (Verletzung Leistungstreue)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K könnte einen Anspruch auf Ersatz der Mehrkosten (€4.500) aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB haben.

Ja, in der Tat!

Der Anspruch setzt voraus, dass (1) ein Schuldverhältnis besteht, (2) der Schuldner - trotz Möglichkeit - nicht ordnungsgemäß leistet und (3) eine vom Gläubiger gesetzte, angemessene Nachfrist erfolglos abgelaufen ist. Ferner muss (4) der Schuldner seine Pflichtverletzung zu vertreten haben und schließlich (5) dem Gläubiger hierdurch ein Schaden entstanden sein.Da es hier noch nicht zum Gefahrübergang gekommen ist, braucht man hier nicht die Verweisungsnorm des § 437 Nr. 3 BGB.
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2. Zwischen K und V besteht ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis.

Ja!

Zur Begründung eines rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisses ist grundsätzlich ein Vertrag zwischen den Beteiligten notwendig (§ 311 Abs. 1 BGB). K und V haben einen Kaufvertrag über den Porsche Carrera geschlossen (§ 433 BGB).

3. V hat ihre vertraglich geschuldete Leistungspflicht verletzt.

Genau, so ist das!

Eine Pflichtverletzung liegt nicht nur bei Verletzung der Hauptleistungspflicht vor. Auch eine Verletzung von Nebenleistungspflichten genügt, wenn dadurch dem anderen Teile die Fortsetzung des Vertrages nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht zuzumuten ist. Zu den Nebenleistungspflichten gehört auch die Leistungstreuepflicht, d.h. die generelle Verpflichtung, den Vertragszweck und den Leistungserfolg weder zu gefährden noch zu beeinträchtigen.BGH: Der Käufer eines Kraftfahrzeuges könne erwarten, dass der Verkäufer an dem Pkw keine fragwürdigen Manipulationen vornimmt. Das Verhalten des V müsse daher bei K erhebliche Zweifel an Vs Zuverlässigkeit und Vertragstreue wecken.

4. Um einen Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB geltend zu machen, bedarf es immer einer Fristsetzung.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB setzt grundsätzlich eine Nachfristsetzung voraus, um dem Schuldner eine zweite Chance zu geben. Die Fristsetzung ist aber entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert (§ 281 Abs. 2 1. Alt BGB) oder besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs rechtfertigen (§ 281 Abs. 2 2. Alt. BGB).Beachte: Anders als beim Rücktritt (§ 323 Abs. 4 BGB) kann der Schadensersatzanspruch grundsätzlich nicht vor Fälligkeit der Leistung geltend gemacht werden.

5. K musste V zunächst eine Nachfrist setzen, bevor er einen Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB geltend machen kann.

Nein!

Die Fristsetzung ist entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs rechtfertigen (§ 281 Abs. 2 2.Alt. BGB). Solche Umstände liegen insbesondere vor, wenn infolge Verstoßes des Schuldners gegen die Leistungstreuepflicht das Vertrauen des Gläubigers in eine vertragsgemäße Erfüllung zerstört ist. Denn dieser Vertrauensschwund kann auch durch eine Nachfristsetzung nicht behoben werden.Durch das Handeln der V war die Vertrauensgrundlage endgültig zerstört. Daran hätte auch eine Nachfristsetzung nichts geändert. Die Fristsetzung war somit entbehrlich.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Vulpes

Vulpes

27.1.2022, 09:28:09

Hallo liebes Jurafuchs Team, wäre das nicht eher ein Fall für

§ 282 BGB

?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

27.1.2022, 20:01:34

Hallo Vulpes, die Leistungstreupflicht stellt in der Tat einen Grenzfall dar, bei der je nach Fall § 281 BGB bzw.

§ 282 BGB

einschlägig sind (vgl. im Einzelnen, Riehm, in: BeckOGK-§ 282 RdNr. 49 ff.). Der Austausch der Teile stellt sich hier aber primär als leistungsbezogene Nebenpflicht (=Pflicht den Effekt und die Nutzbarkeit der Leistung beim Gläubiger nicht zu beeinträchtigen) und nicht als Schutzpflicht dar (vgl. auch Looschelders, Schuldrecht AT, 19.A. 2021, § 27 RdNr. 19). Insoweit ist §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB die passende Anspruchsgrundlage. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

27.7.2022, 19:16:15

Würde man in einem solchen Fall auch einen Rücktritt prüfen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

3.8.2022, 13:29:20

Hallo QuiGonTim, selbstverständlich käme hier grundsätzlich auch ein Rücktritt in Betracht. Damit könnte sich K aber lediglich von dem Vertrag lösen und nicht auch die entstandenen Mehrkosten ersetzt verlangen. Deswegen ist hier die Prüfung des Schadensersatzes das Mittel der Wahl. Eine zusätzliche Prüfung des Rücktritts bedarf es dann nicht, da dessen Voraussetzungen ja auch für das SE-Verlangen vorliegen müssen und bei Forderung des großen SE der Rücktritt quasi inkludiert ist. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

27.7.2022, 23:46:13

Liebes Jurafuchsteam, würdet ihr noch eine Wiederholungs-/Definitionsaufgabe zur Leistungstreuepflicht erstellen? Ich denke, das ist ein Begriff, der sitzen sollte. :)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

4.9.2022, 12:30:07

Hallo QuiGonTim, danke dir für die Anregung. Das haben wir auf unsere Liste gesetzt. :) Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

IA

Iris A

1.9.2022, 16:04:28

Ist das dann auch ein Fall des

Deckungskauf

es? :)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

4.9.2022, 12:29:26

Hallo Iris A, der Deckungsfall bezeichnet die Konstellation, dass der Gläubiger im Fall des Verzugs ersatzweise woanders die Sache beschafft um den Ausfall durch die verspätete Leistung abzufangen. Dies liegt hier nicht vor. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

RAP

Raphaeljura

4.6.2023, 08:35:16

Das heißt ich kann die §§ 437ff BGB nur anwenden, wenn § 446 BGB erfüllt ist. Andernfalls kommt immer c.i.c zur Anwendung??

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

6.6.2023, 11:55:17

Hi Raphael, vorsicht, dass Du hier nicht verschiedene Punkte durcheinanderwirfst. Die Figur der c.i.c. (=

culpa in contrahendo

) bezeichnet Pflichtverletzungen, die im Vorfeld eines Vertragsschlusses geschehen sind. Darum geht es hier nicht. Vielmehr haben wir einen gültigen und wirksamen Kaufvertrag als Schuldverhältnis. Der

Gefahrübergang

(§ 446 BGB) ist aber maßgeblich, ob die Mängelgewährleistungsrechte einschlägig sind (§§ 437 ff. BGB) oder das allgemeine

Leistungsstörungsrecht

ohne Verweisung (§§ 280 ff. BGB). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

TI

Timurso

28.12.2023, 18:26:37

Insofern ist es vielmehr ein Dreischritt: Vor Vertragsschluss c.i.c., zwischen Vertragsschluss und

Gefahrübergang

allgemeines Schuldrecht, nach

Gefahrübergang

grds. Mangelgewährleistungsrecht.

Chris162

Chris162

6.7.2023, 21:18:00

Im Küchenfall wird die Aussage, dass es immer einer

Nachfrist

setzung iRd §§ 280 I, III, 281 bedarf, noch mit "Nein" als richtig gewertet, hier mit "Ja"; nur zur Info :)

TUBAT

TubaTheo

15.7.2023, 19:12:46

Ich stimme dir da voll und ganz zu. Meiner Meinung nach ist es widersprüchlich zu sagen, dass es IMMER einer

Nachfrist

setzung bedarf und darauf im Maßstab zu schreiben, dass die

Nachfrist

setzung in Ausnahmefällen entbehrlich ist. Das müsste geändert werden :)

BI

Bilbo

24.7.2023, 15:25:16

Ist mir auch aufgefallen, hab es hier nämlich falsch (richtig) beantwortet. Wäre gut, das anzupassen.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

15.8.2023, 14:16:16

Also Stand heute (39 Tage nach Chris‘ Nachricht) wird auch hier das „Nein“ (richtigerweise) als richtig gewertet.

ROAD

roadrunnert

28.12.2023, 08:46:42

Beim SE statt der Leistung bliebe es ja und das Festhalten am Vertrag wäre dem Käufer wohl auch unzumutbar.

TI

Timurso

28.12.2023, 18:23:31

In meinen Augen nein. § 282 iVm. § 241 II BGB ist für den Fall des Verstoßes gegen Rücksichtnahmepflichten. Vorliegend ist jedoch eine dem § 241 I BGB unterfallende

Nebenleistungspflicht

verletzt.

TI

Timurso

28.12.2023, 18:24:51

Vergleiche auch die ausführlichere Antwort 3 Beiträge weiter unten.

LELEE

Leo Lee

30.12.2023, 22:48:35

Hallo roadrunnert, wie Timurso zutreffend anmerkt, findet § 282 nur bei Verletzung von Nebenpflichten Anwendung. Hier liegt allerdings eine Verletzung der

NebenLEISTUNGSpflicht

vor, was gem. § 241 I immer noch ein vertragliche (Haupt)Pflicht darstellt. D.h., weil sich hier die Pflichtverletzung sich nicht auf sonstige Güter des Käufers sich bezieht, liegt hier eben keine Nebenpflichtverletzung vor (denn die Pflichtverletzung betrifft die Hauptleistung – das Auto – selbst). Wenn hingegen unsere V ein

sonstiges Recht

sgut des K derart verletzt hätte, sodass ein Festhalten für den K unzumutbar wäre (etwa verletzt V den K bei Übergabe des Autos schwer), läge in der Tat ein Fall des § 282 vor. Hierzu kann ich die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Ernst § 282 Rn. 1 f. sehr empfehlen :). Einen guten Rutsch ins neue Jahr wünscht dir das Jurafuchsteam!

TI

Timurso

28.12.2023, 18:28:07

In der letzten Frage steht "bevor sie ...". Auf dem Bild ist K jedoch ein Mann. Insofern müsste die Frage korrigiert werden.

LELEE

Leo Lee

30.12.2023, 14:11:52

Hallo Timurso, vielen Dank für den Hinweis! In der Tat hatte sich ein Fehler hier eingeschlichen. Diesen haben wir nun korrigiert :). Einen guten Rutsch ins neue Jahr wünscht dir das Jurafuchsteam!

QUIG

QuiGonTim

14.2.2024, 23:02:44

Gibt es eigentlich innerhalb des Kaufrechts einen Anknüpfungspunkt dafür, dass dieses erst nach dem

Gefahrübergang

anzuwenden ist? Aus § 446 BGB kann ich es nämlich nicht ohne weiteres entnehmen.

paulmachtexamen

paulmachtexamen

10.3.2024, 11:19:57

Ich denke, dass die hM die Anwendbarkeit des Kaufrechts ab

Gefahrübergang

aus 434 I 1 nimmt. Dort heißt es nämlich „Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei

Gefahrübergang

! …“


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