Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Schuld

Schuld: Vermeidbarkeit Verbotsirrtum – Menschenwürdeverstoß

Schuld: Vermeidbarkeit Verbotsirrtum – Menschenwürdeverstoß

4. Juli 2025

6 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T war 1942 Polizeipräsident und hatte Personen jüdischen Glaubens festgehalten, um diese später zu "übergeben". Es liegt dabei eine Freiheitsberaubung vor, die jedoch nach damaliger Rechtslage gerechtfertigt war. Der Rechtfertigungsgrund wird von den deutschen Gerichten wegen Willkür und dem Widerspruch zur Menschenwürde nicht angewandt.

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Einordnung des Falls

Schuld: Vermeidbarkeit Verbotsirrtum – Menschenwürdeverstoß

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hatte die Einsicht, Unrecht zu begehen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Unrechtseinsicht ist die Erkenntnis der Rechtswidrigkeit der Tat, mithin das Einsehen, dass die Tat vom Gesetz verboten wird. Nach der Feststellung des Gerichts ist T von der Wirksamkeit des Rechtfertigungsgrundes ausgegangen, sodass er einem Rechtsirrtum unterlag. In dem Originalfall hat das Tatgericht dahingehend keine ausreichenden Feststellungen ermöglicht.
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2. Hätte T den Verbotsirrtum nach § 17 StGB vermeiden können?

Ja, in der Tat!

Nach § 17 S. 1 StGB handelt der Täter nur ohne Schuld, wenn er den Irrtum nicht vermeiden konnte. Nach allgemeiner Ansicht ist dabei auf die individuellen Fähigkeiten des konkreten Täters abzustellen; der Wortlaut spricht von einem vermeiden "können". Der BGH hat die Frage offen gelassen, aber klar gestellt, dass es darauf ankommt, ob der Täter die Unwirksamkeit des Gesetzes nach seiner Persönlichkeit hätte erkennen können. Er geht zudem davon aus, dass die Vermeidbarkeit umso näher liegt, je offensichtlicher der Menschenwürdeverstoß ist, wobei vorher ausführlich die Offensichtlichkeit begründet wird. Demnach hätte T nach der Rechtsprechung wahrscheinlich das Unrecht einsehen können. Von einer individuellen Bewertung ausgehend, wäre es zumindest auch vertretbar, dass von der Menschenwürde nicht ausgegangen werden kann, da diese damals erkennbar kaum im Bewusstsein vorhanden war. Die Menschenwürde hat einen individuellen Anknüpfungspunkt, wobei damals die "Volksgemeinschaft" als vorrangig vor dem Individuum erachtet wurde; von dieser Vorstellung ging womöglich auch T aus.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

SN

Sniter

24.1.2023, 15:25:39

Der Verbotsirrtum vom T ist hier vermeidbar, richtig?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

25.1.2023, 13:20:59

Hallo Sniter, genauso ist es :) Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

DeliktusMaximus

DeliktusMaximus

28.10.2024, 19:34:22

Es gab Menschen, die in der Nazidiktatur aufgewachsen sind und das Unrecht trotzdem erkannt haben (Geschwister Scholl).

cSchmitt

cSchmitt

1.7.2025, 16:19:08

Aber es geht doch bei der Frage der Vereinbarkeit um die konkrete individuelle Einsichtsfähigkeit. Da spielt es keine (oder höchstens eine sehr untergeordnete Rolle), ob irgendwelche anderen Personen in der Lage waren, den Unrechtswert zu erkennen. Eine Argumentation mit z.B. den Geschwistern Scholl dürfte darüber hinaus auch nicht zielführend sein, da sie kaum mit dem Verkehrskreis des Betroffenen übereinstimmen dürften. Wenn überhaupt wären hier Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine verbündeten Wehrmachtsgeneräle ein passenderes Beispiel.

AME

Amelie7

27.2.2025, 13:20:09

Ich tue mich etwas schwer damit, die

Vermeidbarkeit

anzunehmen. Ich möchte natürlich die Handlung auf keinen Fall verharmlosen oder rechtfertigen, aber nach damaliger Rechtslage war das Verhalten ja gerechtfertigt. Man könnte doch heutzutage auch nicht einfach sagen, dass man erkennen muss dass ein Gesetz in Zukunft als unwirksam angesehen wird und deswegen nicht danach handeln darf, oder?

LELEE

Leo Lee

28.2.2025, 21:27:52

Hallo Amelie7, vielen Dank für den Beitrag! Vorab: Keine Sorge davor, dass du das alles "verhamlost"; denn diese Diskussion ist - wenngleich sie sehr ethisch und politisch zugleich ist und nicht nur juristisch - eine sehr kontroverse, womit sich auch die Richter in den Nürnberger Prozessen beschäftigen mussten. Es stimmt natürlich, dass das Verhalten damals gerechtfertigt bzw. verpflichtend war (ansonsten mussten diejenigen, die sich dem widersetzten, ihrerseits mit Sanktionen rechnen). Allerdings galt damals und noch heute die sog. Radbruch´sche Formel, die besagt, dass man ein Recht, das so unerträglich ungerecht ist, nicht als "gültig" erachten darf. D.h. also, dass selbst wenn ein Recht etwas vorschreibt, man nicht darauf vertrauen kann, dass man wegen Einhaltung ebendieses Rechts später ungeschoren davonkommt. Wer andere Menschen etwa aus religiösen Gründen ungerecht behandelt, darf sich dann später nicht auf das (positiv) geltende Recht berufen. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom "Kaufmann: Die Radbruchsche Formel vom gesetzlichen Unrecht und vom übergesetzlichen Recht in der Diskussion um das im Namen der DDR begangene Unrecht", im NJW 1995, S. 81 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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