Strafrecht
Strafrecht Allgemeiner Teil
Täterschaft und Teilnahme
Deliktisches Minus auf Ebene der Tatbestandsmäßigkeit 3 – Das qualifikationslos handelnde dolose Werkzeug
Deliktisches Minus auf Ebene der Tatbestandsmäßigkeit 3 – Das qualifikationslos handelnde dolose Werkzeug
25. Januar 2025
12 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Vermieter V hat auf Grund von Mietrückständen einen Vollstreckungstitel gegen Mieter M. M verschwindet ins Ausland, um dem Gerichtsvollzieher zu entgehen. Jedoch vergisst M seine teure Kamera in der Wohnung. M schickt die in alles eingeweihte F, um die Kamera für ihn aus der Wohnung zu holen.
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Einordnung des Falls
Deliktisches Minus auf Ebene der Tatbestandsmäßigkeit 3 – Das qualifikationslos handelnde dolose Werkzeug
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. F hat sich wegen Vereitelung der Zwangsvollstreckung (§ 288 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht, indem sie die Kamera aus der Wohnung des M holte.
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. M erfüllt selbst den objektiven Tatbestand der Vollstreckungsvereitelung (§ 288 Abs. 1 StGB).
Nein!
3. Voraussetzungen für eine Zurechnung der Handlung (§ 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) sind (1) ein eigener Verursachungsbeitrag des Hintermannes, (2) eine unterlegene Stellung des Vordermannes und (3) eine überlegene Stellung des Hintermannes.
Genau, so ist das!
4. M hat auf F unmittelbar eingewirkt, so dass F die Kamera aus der Wohnung holte (Verursachungsbeitrag, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB).
Ja, in der Tat!
5. F handelte tatbestandslos, sodass sie das sog. deliktische Minus aufweist (unterlegene Stellung des Vordermannes, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB).
Ja!
6. M hatte Tatherrschaft (nach der Tatherrschaftslehre der Literatur).
Genau, so ist das!
7. M hatte Vorsatz bezüglich der Begehung der Vollstreckungsvereitelung in mittelbarer Täterschaft (§§ 288 Abs.1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB).
Ja, in der Tat!
8. M hatte nach der subjektiven Theorie eine überlegene Stellung (Täterwillen).
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Jurakatze1987
28.4.2020, 21:36:07
Er kann nicht mittelbare Täter sein, da F eingeweiht war.
Christian Leupold-Wendling
2.5.2020, 09:24:09
Hi Jurakatze, Ja, das stimmt, er war eingeweiht. Er ist jedoch nicht Vollstreckungsschuldner und kann deshalb kein tauglicher Täter der Vollstreckungsvereitelung (§ 288 Abs. 1 StGB) sein. Besten Gruß, - Christian, für das Jurafuchs-Team
Amelie
19.7.2020, 19:22:22
Wenn er bei einem anderen Sachverhalt mit anderer Tat ein tauglicher Täter wäre, müsste man dann hier prüfen, ob er eine freiverantwortliche Entscheidung einschlug, um mit der Schuldlösung und Einwilligungslehre sowie der Rechtsprechung Teilnahme von mittelbarer Täterschaft zu trennen?
Jurakatze1987
19.7.2020, 19:23:25
Vielen Dank
Agit
14.2.2023, 03:47:13
Die Konstruktion beschreibt den Fall des Qualifikationslos-Dolosen Werkzeugs. Dem Werkzeug fehlt regelmäßig die Subjektsqualität die das Strafgesetz voraussetzt. Es handelt sich bei diesen Strafgesetzen um Sonderdelikte (§§ 348, 288, 283, 203 StGB) oder Pflichtdelikte (§ 266 StGB), wobei eine bestimmte Eigenschaft an die Person des Täters geknüpft wird. Hier fehlt dem unmittelbar ausführenden Werkzeug diese Eigenschaft, allerdings besitzt der Hintermann Sie. Nun ist es so, dass das Werkzeug sich nicht
Strafbar machenkann, weil es objektiv
Tatbestandslos handelt mangels Subjektsbezogener Qualifikation in seiner Person. Andererseits kann auch der Hintermann hieran nicht teilnehmen (§§ 26, 27 StGB), weil es an der vorsätzlichen
rechtswidrigen Haupttat des Vordermanns fehlt. Würde man es dabei belassen, so wären beide straflos (e.A.). Um eine unerträgliche Strafbarkeitslücke zu vermeiden, wird über die Rechtsfigur der „normativen Tatherrschaft“ oder der
Lehre von den Pflichtdeliktenausnahmsweise eine mittelbare Täterschaft angenommen. „Die Ausnahme gilt auch dann, wenn das Werkzeug in voller subjektiven Kenntnis über das Tatgeschehen ist. Daher spielt es keine Rolle, dass das Werkzeug in diesen Konstruktionen von den Vorhaben des Hintermanns weiß.“ Das normativ-rechtliche Übergewicht liegt hier beim Hintermann. Die Tat wäre ohne seine Person im Hintergrund unmöglich. Über diesen Weg ist es möglich beide zu bestrafen. Der Hintermann ist mittelbarer Täter nach §§ 288 I iVm 25 I Alt. 2 StGB und begründet damit die Haupttat. Der Vordermann ist gleichzeitig Werkzeug UND Gehilfe und kann daher an die selbe Tat durch seinen Beitrag als Gehilfe teilnehmen und sich
strafbar machengem. §§ 288 I iVm 27 StGB. Es ist auch nicht widersprüchlich Gehilfe und Werkzeug gleichzeitig des selben
Tatbestands zu sein. Denn die Bewertung erfolgt normativ und lässt diesen Interpretationsraum zu, um diese Konstruktion zu ermöglichen. Da der Gehilfe selbst bestimmte Subjektsqualität braucht, nimm er hier unproblematisch an einer fremden Tat teil.
Fuchsfrauchen
11.1.2025, 18:41:25
Vielen Dank @[Agit](9533)!!
NY
11.2.2021, 19:16:29
Beim Aufbauschema zur mittelbaren Täterschaft steht, dass diese bei eigenhändigen Delikten sowie echten Sonderdelikten ausgeschlossen ist. Wieso geht sie hier dann doch? 🤔
Real Thomas Fischer Fake 🐳
11.2.2021, 19:38:07
Die mT ist bei Sonderdelikten für denjenigen Ausgeschlossen, bei dem das besondere Merkmal fehlt (hier F). Derjenige bei dem das Merkmal (hier Eigenschaft als Vollstreckungsschuldner) vorliegt, kann mittelbarer Täter sein. Also für gelten für F die §§ 288, 26 und für den M die §§ 288, 25 I Var. 2 :)
evanici
26.8.2023, 16:02:39
Das heißt aber, das würde für F gelten, wenn sie Hintermann (Hinterfrau?) wäre, oder? Vorliegend wäre es doch bei ihr eher §§ 288, 27?
Rintaro Okabe
5.1.2025, 16:57:29
Man könnte hier eventuell noch die Pflichtendeliktslehre anführen, nach welcher M unmittelbarer Alleintäter wäre.