Deliktisches Minus auf Ebene der Tatbestandsmäßigkeit 3 – Das qualifikationslos handelnde dolose Werkzeug


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Vermieter V hat auf Grund von Mietrückständen einen Vollstreckungstitel gegen Mieter M. M verschwindet ins Ausland, um dem Gerichtsvollzieher zu entgehen. Jedoch vergisst M seine teure Kamera in der Wohnung. M schickt die in alles eingeweihte F, um die Kamera für ihn aus der Wohnung zu holen.

Einordnung des Falls

Deliktisches Minus auf Ebene der Tatbestandsmäßigkeit 3 – Das qualifikationslos handelnde dolose Werkzeug

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. F hat sich wegen Vereitelung der Zwangsvollstreckung (§ 288 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht, indem sie die Kamera aus der Wohnung des M holte.

Nein, das trifft nicht zu!

Bei der Vereitelung der Zwangsvollstreckung (§ 288 Abs. 1 StGB) handelt es sich um ein sog. echtes Sonderdelikt. Nur derjenige, dem die Vollstreckung selbst droht, wer also Vollstreckungsschuldner ist, kann sich strafbar machen.F handelt jedoch zugunsten des M. Sie selbst besitzt die notwendige Eigenschaft als Vollstreckungsschuldner nicht (sog. qualifikationslos handelndes doloses Werkzeug). F hat sich nicht gemäß § 288 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

2. M erfüllt selbst den objektiven Tatbestand der Vollstreckungsvereitelung (§ 288 Abs. 1 StGB).

Nein!

Täter ist, „wer die Straftat selbst“ begeht (sog. Alleintäterschaft, § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB). Täter kann aber auch sein, wer die Straftat „durch einen anderen“ begeht (sog. mittelbare Täterschaft, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB). Der mittelbare Täter verwirklicht die Tatbestandsmerkmale nicht eigenhändig, sondern bedient sich als „Hintermann“ eines „Werkzeugs“, das auch als „Vordermann“ bzw. „Tatmittler“ bezeichnet wird. Voraussetzung ist, dass die Tathandlung des „Vordermannes“ dem Hintermann zugerechnet werden kann.Relevante Handlung ist hier das Beiseiteschaffen der Kamera als Bestandteil des Vermögens des M. Diese Handlung führte jedoch nicht M selbst, sondern F aus. Somit kommt höchstens mittelbare Täterschaft in Betracht.

3. Voraussetzungen für eine Zurechnung der Handlung (§ 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) sind (1) ein eigener Verursachungsbeitrag des Hintermannes, (2) eine unterlegene Stellung des Vordermannes und (3) eine überlegene Stellung des Hintermannes.

Genau, so ist das!

Eine Tat „durch einen anderen“ begeht, wer die Tatbestandsverwirklichung durch tatbeherrschende Steuerung des Vordermannes zurechenbar verursacht . (1) Der Verursachungsbeitrag des Hintermannes ist die Einwirkungshandlung auf den Vordermann. (2) Die unterlegene Stellung des Vordermanns ergibt sich grundsätzlich aus dem Strafbarkeitsmangel (Ausnahme: Sonderfälle des „Täters hinter dem Täter“). Der Vordermann weist auf einer der drei Ebenen ein sog. deliktisches Minus auf, er ist nicht strafbar. (3) Die überlegene Stellung des Hintermannes setzt nach der Tatherrschaftslehre die Tatherrschaft über das Gesamtgeschehen, nach der subjektiven Lehre einen Täterwillen voraus.

4. M hat auf F unmittelbar eingewirkt, so dass F die Kamera aus der Wohnung holte (Verursachungsbeitrag, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB).

Ja, in der Tat!

Indem M die F anwies, die Kamera aus seiner Wohnung zu holen, wirkte er unmittelbar auf sie ein.

5. F handelte tatbestandslos, sodass sie das sog. deliktische Minus aufweist (unterlegene Stellung des Vordermannes, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB).

Ja!

Mittelbare Täterschaft setzt weiter voraus, dass beim Vordermann auf der Tatbestands-, Rechtswidrigkeits- oder Schuldebene ein Strafbarkeitsmangel vorliegt, der seine Strafbarkeit ausschließt.Hier entfällt bereits der Tatbestand der Vollstreckungsvereitelung (§ 288 Abs. 1 StGB), da die F nicht die zur Begehung notwendige Eigenschaft als Vollstreckungsschuldner besitzt. Sie kann somit nicht taugliche Täterin der Vollstreckungsvereitelung (§ 288 Abs. 1 StGB) sein, unabhängig davon, ob sie ansonsten vorsätzlich handelte.

6. M hatte Tatherrschaft (nach der Tatherrschaftslehre der Literatur).

Genau, so ist das!

Der Hintermann hat Tatherrschaft, wenn er den Vordermann durch Täuschung oder Zwang beherrscht, indem er den Strafbarkeitsmangel für seine Zwecke planvoll lenkend ausnutzt und auf diese Weise die Tatbestandsverwirklichung in den Händen hält.M beherrschte F jedoch nicht durch Täuschung oder Zwang. Vielmehr war F in das Geschehen eingeweiht und handelte insofern vorsätzlich. M kommt somit keine Tatherrschaft kraft überlegenen Wissens oder Wollens zu. Die herrschende Meinung nimmt in solchen Fällen gleichwohl eine sog. normative oder soziale Tatherrschaft an: Allein der sonderpflichtige Hintermann habe als tauglicher Täter eine besondere Pflichtenstellung im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut und die Macht, den Tatbestand zu verwirklichen, indem er sich der Hilfe eines Außenstehenden bediene. M hat somit eine überlegene Stellung kraft normativer Tatherrschaft.

7. M hatte Vorsatz bezüglich der Begehung der Vollstreckungsvereitelung in mittelbarer Täterschaft (§§ 288 Abs.1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB).

Ja, in der Tat!

M hatte Kenntnis der die mittelbare Täterschaft begründenden Umstände. M erfüllt somit auch den subjektiven Tatbestand. Weiterhin handelte er auch rechtswidrig und schuldhaft, sodass er sich wegen Vereitelung der Zwangsvollstreckung in mittelbarer Täterschaft (§§ 288 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) strafbar gemacht hat.

8. M hatte nach der subjektiven Theorie eine überlegene Stellung (Täterwillen).

Ja, in der Tat!

Nach der subjektiven Lehre (animus-Theorie) wird bei der Abgrenzung an die Willensrichtung und an die innere Einstellung der Beteiligten zur Tat angeknüpft. Täter ist danach, wer mit Täterwillen (animus auctoris) handelt und die Tat als eigene will. Teilnehmer ist, wer mit Teilnehmerwillen (animus socii) handelt und die Tat als fremde veranlassen oder fördern will.Einzig M hatte ein Interesse daran hat, dass die Kamera aus der Wohnung verschwindet. Er besitzt somit den nötigen Täterwillen.

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