Schadensersatz bei Reisemangel

2. April 2025

10 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der zu der von R bei V gebuchten Pauschalreise zugehörige Flug ist ausgebucht. Am Schalter wird R auf einen Alternativflug umgebucht. Um diesen noch zu erwischen, muss R zum Gate rennen. Auf dem Weg rutscht R aus und bricht sich seinen Knöchel. R informiert V.

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Einordnung des Falls

Schadensersatz bei Reisemangel

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. R könnte ein Schadensersatzanspruch aus §§ 651i Abs. 3 Nr. 7, 651n Abs. 1 BGB zustehen.

Ja, in der Tat!

Die Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs sind (1) ein Pauschalreisevertrag, (2) ein Mangel, den (3) der Reiseveranstalter verschuldet hat und (4) ein zurechenbarer Schaden. Der Schadensersatz ist ausgeschlossen, wenn der Veranstalter dem Mangel infolge einer unterbliebenen Mängelanzeige nicht abhelfen konnte (§ 651o Abs. 2 BGB). Es ist umstritten, ob ein Verschulden erforderlich ist. Die h.M. bejaht dies. Allerdings werde das Verschulden vermutet („es sei denn“) und der Veranstalter könne sich nur aus den abschließend in § 651n Abs. 1 Nr. 1-3 genannten Gründen exkulpieren.
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2. Es liegen ein Mangel (§ 651i Abs. 2 BGB), welchen V verschuldet hat, und eine Mängelanzeige (§ 651o BGB) vor.

Ja!

Wann ein Mangel vorliegt, bestimmt § 651i Abs. 2 BGB. Es besteht eine gesetzliche Vermutung, dass der Reiseveranstalter den Mangel verschuldet hat (vgl. § 651n Abs. 1 BGB: „es sei denn“). Den von R bei V gebuchten speziellen Flug konnte R nicht antreten. Dieser Mangel wurde auch nicht durch die Ersatzleistung ausgeglichen. Es gehört zur üblichen Beschaffenheit, dass man sicher zum Flug kommt und nicht zu einem potenziell gefährlichen Rennen gezwungen ist. In der hier vorliegenden Situation liegt also ein Mangel. V hat nichts vorgetragen, um sich von der Verschuldensvermutung zu exkulpieren, sodass es hierbei bleibt. R hat V informiert und ihr damit den Mangel auch angezeigt i.S.d. § 651o BGB.

3. Die mit dem Knöchelbruch verbundenen Schmerzen stellen einen kausalen Schaden dar.

Genau, so ist das!

Ein Schaden ist eine materielle oder immaterielle Einbuße. Der Schaden ist nach der Äquivalenztheorie kausal, wenn der Mangel nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Schaden entfiele (conditio sine quo non). Adäquat ist eine Bedingung dann, wenn nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge und nicht nur nach eigenartigen und unwahrscheinlichen Umständen den fraglichen Erfolg herbeiführen kann. Die Schmerzen stellen eine immaterielle Einbuße. Hätte R nicht rennen müssen, wäre dieser Schaden nicht eingetreten.Daneben sind mit dem Knöchelbruch auch weitere Schäden verbunden, wie z.B. Heilbehandlungskosten, Arbeitsunfähigkeit, u.ä.

4. Der Knöchelbruch ist auch adäquat kausal.

Ja, in der Tat!

Adäquat kausal ist eine Bedingung dann, wenn sie nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge und nicht nur nach eigenartigen und unwahrscheinlichen Umständen den fraglichen Erfolg herbeiführen kann. Daran kann es fehlen, wenn der Geschädigte selbst in völlig ungewöhnlicher oder unsachgemäßer Weise in den schadensträchtigen Geschehensablauf eingreift und eine weitere Ursache setzt, die den Schaden endgültig herbeiführt. Es liegt nicht außerhalb des zu erwartenden Verlaufs der Dinge, dass bei einer Überbuchung ein Ersatzflug gebucht wird, für den dann die Zeit knapp sein kann. Dies wiederum kann für den betroffenen Fluggast zu Hektik und Unachtsamkeit führen. Der Sturz des R war nicht derart ungewöhnlich oder unsachgemäß, dass der Zurechnungszusammenhang dadurch unterbrochen wird.

5. Der Schaden ist auch vom Schutzzweck der Norm umfasst.

Ja!

Eine vertraglichen Haftung besteht nur für die Schadensfolgen, zu deren Abwendung die verletzte Vertragspflicht übernommen wurde. Zweck der Haftung ist nicht eine Entlastung vom allgemeinen Lebensrisiko. Sturzschäden gehören grundsätzlich zum normalen Lebensrisiko. Das Rennen war ein willentliches, selbstgefährdendes Handeln. Allerdings hat sich R nur in diese Lage versetzt, weil er durch die Bereitstellung des Ausweichflugs dazu herausgefordert wurde. Folgen solcher Herausforderungsfälle gehören nicht zum allgemeinen Lebensrisiko und begründen demnach eine Haftung.

6. R hat einen Anspruch auf Schadensersatz (§§ 651i Abs. 3 Nr. 7, 651n Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Die Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs sind (1) ein Pauschalreisevertrag, (2) ein Mangel, den (3) der Reiseveranstalter verschuldet hat und (4) ein zurechenbarer Schaden. Der Schadensersatz ist ausgeschlossen, wenn der Veranstalter dem Mangel infolge einer unterbliebenen Mängelanzeige nicht abhelfen konnte (§ 651o Abs. 2 BGB). In der Bereitstellung des kurzfristigen Ausweichflugs liegt ein Mangel. Der Knöchelbruch begründet eine materielle und immateriellen Einbuße, also einen Schaden. Dieser Schaden ist kausal, adäquat und vom Schutzzweck der Norm umfasst. R hat V den Mangel auch angezeigt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Ruhe im Sturm

Ruhe im Sturm

30.10.2023, 15:56:21

Auf was lässt sich im vorliegenden Fall die Mängelanzeige von R konkret stützen? Wird hiervon bei Sachverhalts naher Auslegung ausgegangen, da sie am Schalter einen Alternativflug erhielt? Oder ist es hier in der Gestalt, dass nach § 651o II selbst bei einer Mängelanzeige durch R der V gar keine Abhilfe schaffen konnte, da der konkrete Flug zu dieser Zeit wegen Überbuchung unmöglich war (und eine Ersatzleistung nach § 651 k III ausschiede) und es somit nicht mehr auf die Mängelanzeige ankam? Die Formulierung "R informiert V" bezieht sich ja wohl nur auf ihre Verletzung?

LELEE

Leo Lee

5.11.2023, 07:59:47

Hallo Ruhe im Sturm, in der Tat ist der Fall in dieser Hinsicht etwas tricky. Gemeint war jedoch das, was du als Zweites gesagt hast: Ersatzleistung behebt Mangel nicht und aufgrund dieses Mangels, was zur fehlenden Zeit führt, hat sich der R verletzt. Die Information an sich bezieht sich natürlich nur auf die Verletzung, allerdings ist gem. §§ 133, 157, 242 BGB dieser Erklärung nach lebensnaher Auslegung auch die Anzeige des Mangels – was zur Verletzung erst führte – zu entnehmen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Wesensgleiches Minus

Wesensgleiches Minus

18.2.2025, 17:17:09

Warum wird im Rahmen der Kausalität (kurz) die Adäquanztheorie und die Theorie vom

Schutzzweck der Norm

erwähnt? Ich dachte, dass sei nur im Rahmen von §

823 BGB

zu prüfen 🤔

LUC1502

luc1502

19.2.2025, 10:47:17

Hi @[Ala](241758) Hier schauen wir uns ja die haftungsausfüllende Kausalität [Haftungsausfüllung ist primär eine Sache der §§ 249ff. BGB] an, d.h. Kausalität zwischen PflichtV und

Schaden

. Zu ersetzen hat man ja den

Schaden

, der DURCH das zum Ersatz verpflichtende Ereignis eingetreten ist. Und dieses "durch" verlangt danach, dass der

Schaden

kausal und zurechenbar auf dem PflichtV des Schädigers beruht. Der

Schaden

muss also dem Schädiger zurechenbar sein - um eine absolut ausufernde Haftung (die wir bei isolierter Anwendung der

Äquivalenztheorie

hätten) zu vermeiden - bedient man sich hier der Adäquanztheorie und der

Lehre vom Schutzzweck der Norm

. D.h. iRd Haftungsausfüllung (d.h. iRd §§249ff. BGB) muss man grds. (Ausnahmen gelten z.B. für den Fall der Gefährdungshaftung) immer schauen, ob der jew. geltend gemachte

Schaden

kausal und zurechenbar auf der PflichtV/Rechtsgutsverletzung beruht. Ich hoffe, das hat dir etwas weitergeholfen! Weitere Nachweise findest du z.B. bei BeckOK BGB/Flume §249 Rn.279ff. LG

Wesensgleiches Minus

Wesensgleiches Minus

19.2.2025, 11:55:32

Danke @[luc1502](95177)! Mich irritiert, dass man es meistens (immer?) bei Prüfungen zu einem Anspruch aus § 280 I BGB nicht liest. Da wird die Kausalität allein aufgrund der

Äquivalenztheorie

angenommen.

LUC1502

luc1502

19.2.2025, 12:03:17

Hi @[Ala](241758) Gerne! Ich verstehe was du meinst! Auch bei §280 müssen wir uns fragen, ob die PflichtV kausal und zurechenbar auf einem Verhalten des S beruht (das ist dann eine Sache der haftungsbegründenden Kausalität). Riehm in: beckOGK §280 Rn.200 hat zur haftungsbegründenden Kausalität ein paar schöne Fälle. Beste Grüße

Wesensgleiches Minus

Wesensgleiches Minus

19.2.2025, 12:29:10

Das heißt, grundsätzlich sind die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität - egal bei welcher Art

Schadensersatz

anspruchs - immer auch nach der adäquanztheorie und der

schutznormtheorie

zu überprüfen. Oft wird dies wahrscheinlich wegen offensichtlichem vorliegen der Kausalität / mangelnden Anhaltspunkte im SV, die Anlass für eine genauere Überprüfung geben, weggelassen. Warum wird dies dann zB hier in dem Fall erwähnt? Mir ist dies im reiserecht schon häufiger begegnet, meist handelt es sich um einen

Schaden

in Form einer Körperverletzung. Hat dies ggf. Etwas damit zu tun? @[Sebastian Schmitt](263562)

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

18.3.2025, 13:03:38

Hallo @[

Wesensgleiches Minus

](241758), zunächst kann ich @[luc1502](95177) zustimmen, dass Adäquanz und

Schutzzweckzusammenhang

auch im vertraglichen

Schaden

srecht relevant sind. Auch ich habe es so gelernt, dass man das in § 823 I BGB eher "standardmäßig" prüft, während es bei § 280 BGB eher nur angesprochen wird, wenn es problematisch ist. Ich denke, das liegt daran, dass die

Pflichtverletzung

in einem Vertragsverhältnis von vornherein stärker auf solche Fälle beschränkt ist, wo diese Zusammenhänge relativ unproblematisch sind, während Rechtsgutsverletzung im Deliktsrecht zunächst alles sein kann und eine Einschränkung öfter benötigt wird. Gerade die "Herausforderungsfälle" kennt man jedoch auch aus dem Vertragsrecht. Warum du diese Probleme mit dem Reiserecht verbindest, kann ich dir auf die Schnelle nicht sagen. Im vorliegenden Fall wird es jedoch deshalb erwähnt, weil der

Schaden

unmittelbar allein auf ein eigenes Verhalten des Geschädigten zurückzuführen ist und sich deshalb die Frage stellt, ob der

Schaden

trotzdem dem Vertragspartner zuzurechnen ist. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team


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