Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Versuch und Rücktritt

Rücktritt unbeendeter Versuch Grundlagen 1

Rücktritt unbeendeter Versuch Grundlagen 1

22. November 2024

4,7(10.726 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T lauert vor der Wohnungstür von O. Sie möchte in die Wohnung rennen und O dabei unmittelbar erschießen. Als T gerade die Tür eintritt und die Schwelle zum „Jetzt-geht-es-los“ überschreitet, sieht sie gerade noch ein Kind neben O im Raum. T flieht, weil sie vor einem Kind nicht töten möchte.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Rücktritt unbeendeter Versuch Grundlagen 1

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ts Versuch des Totschlags (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB) ist fehlgeschlagen.

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Versuch gilt dann als fehlgeschlagen, wenn der Täter glaubt, dass er den Erfolg nicht mehr herbeiführen kann, ohne eine völlig neue Kausalkette in Gang zu setzen. Wenn ein Täter etwa denkt, dass er das Opfer ja auch nächste Woche erschießen könnte, liegt darin eine zeitliche Zäsur, sodass ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt. Begeht der Täter die Tat in der darauffolgenden Woche, dann liegt eine neue Tat vor. T dachte, dass sie die Tat zur Vollendung hätte führen können. Sie dachte gerade nicht, dass sie den Erfolg nicht mehr herbeiführen kann. Diese Anforderung ist nicht unumstritten, da sie sich im Gesetz nicht wiederfindet. Der BGH sieht dies jedoch trotzdem als zwingende Anforderung. Bei einem fehlgeschlagenen Versuch erfolgt der Rücktritt aber in jedem Fall nicht freiwillig, sodass durch dieses Erfordernis das Ergebnis nicht abgeändert, sondern nur gelegentlich abgekürzt wird.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Es lag ein beendeter Versuch vor.

Nein!

Ein Versuch ist dann beendet, wenn der Täter glaubt, dass er alles zur Tatbestandsverwirklichung Erforderliche getan hat. Dies ist erst dann der Fall, wenn der Täter glaubt, dass der Tatbestandserfolg eintritt, ohne dass er noch etwas tun muss. T hat noch nicht einmal geschossen. Sie ging daher nicht davon aus, dass O durch ihre Handlung sterben würde. Hier musst Du darauf achten, nicht unsauber zu arbeiten, da die Anforderungen an den Rücktritt davon abhängen, ob ein unbeendeter oder beendeter Versuch vorliegt.

3. T hat die weitere Tatausführung aufgegeben.

Genau, so ist das!

Bei unbeendeten Versuchen ist es ausreichend, wenn der Täter die weitere Tatausführung aufgibt, da so die Gefahr für das Rechtsgut vollständig abgewendet werden kann (§ 24 Abs. 1 S. 1 Var. 1 StGB). T hat nicht auf O geschossen und daher die Tatausführung aufgegeben.

4. T hat die Tatausführung freiwillig aufgegeben.

Ja, in der Tat!

Der Täter handelt freiwillig beziehungsweise unterlässt die weitere Tatausführung freiwillig, wenn er Herr seiner Entschlüsse geblieben ist und die Ausführung der Tat noch für möglich hält, wobei die Freiwilligkeit entfällt, wenn er die Tat nur mit erheblich größerem Risiko zu Ende führen könnte. Auch hierbei kommt es immer alleine auf die Vorstellung des Täters an. T hätte die Tat jederzeit zur Vollendung bringen können. Sie sieht allerdings davon ab, weil sie vor einem Kind nicht töten möchte, was ein autonomes Motiv ist. Anders wäre der Fall gelagert, wenn T die Tat unterlässt, weil sie Angst hat, dass das Kind sie etwa wiedererkennen könnte; dann hätte T nicht freiwillig gehandelt.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Rick-energie🦦

Rick-energie🦦

25.6.2022, 12:10:19

Anders wäre es, wenn der Täter denkt: "Vor einem Kind zu töten? Das schaffe ich einfach nicht." Korrekt?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

7.7.2022, 11:47:21

Hallo Rick-dich, das ist möglich. Zunächst darf es sich nicht um einen fehlgeschlagenen Versuch handeln. Dies ist der Fall wenn der Täter sich theoretisch noch in der Lage gesehen hat, die Tat planmäßig zu beenden. Allerdings könnte es dann an der Freiwilligkeit fehlen. Dazu darf der Täter nicht mehr in der Lage sein, als Herr seiner Sinne die Entscheidung zu treffen sondern muss aufgrund des emotionalen und psychischen Drucks wie fremdgesteuert an der Tatvollendung gehindert sein. Dann scheidet ein Rücktritt gem. § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 1 StGB aus. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

I-m-possible

I-m-possible

8.7.2022, 03:51:08

Irgendwie hab ich hier eine Irritation beim „nicht“ fehlgeschlagenen Versuch als Antwort verspürt. Der Täter kann vorliegend die von ihm geplante Tat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mittel ohne zeitliche Zäsur nicht ausführen. Das wäre für mich entscheidend, dass ein Fehlschlag vorliegt. Woran dies scheitert ist erst einmal unerheblich in dem Stadium der Prüfung oder ?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

21.7.2022, 16:50:01

Hallo I-m-possible, die Differenzierung ist an dieser Stelle tatsächlich wichtig und ein Hauptaugenmerk der Rücktrittsprüfung. Denn ein Rücktritt ist nach h.M. nur bei einem nicht-fehlgeschlagenen Versuch möglich. Es muss also die freie Entscheidung des Täters sein, den Erfolg zu verhindern/nicht eintreten zu lassen. Wenn dies aus anderen Gründen schon nicht mehr geht, weil z.B. die Waffe kaputt ist oder alle Patronen verschossen sind und Fehlschläger waren, dann liegt ein Fehlschlag vor. Ein freiwilliger Rücktritt ist dann nicht mehr möglich. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

MenschlicherBriefkasten

MenschlicherBriefkasten

4.10.2024, 10:48:46

Warum scheitert die Freiwilligkeit hier nicht am Vorliegen von seelischem Druck? Hier bekommt der Täter ja Gewissensbisse, gerät dadurch unter (seelischen) Druck und gibt aus diesem Motiv die weitere Tatausführung auf.

AG

agi

6.10.2024, 14:45:40

So wie ich es verstanden hab, fällt die Freiwilligkeit aufgrund eines psychischen Druckes dann weg, wenn ein innerer oder äußerer Zwang derart besteht, dass der Täter sich nicht mehr im Stande sieht, zwischen m

ehre

ren Alternativverhalten selbst zu entscheiden. Sprich der Täter dadurch nicht mehr Herr seiner Entscheidung ist, sondern „fremdgesteuert“ wird. Laut SV hier, kann der T ja noch selbst entscheiden, bzw. trifft er ja die Entscheidung bewusst nicht zu schiessen, obwohl er es hätte tun können.

LELEE

Leo Lee

13.10.2024, 08:56:58

Hallo MenschlicherBriefkasten, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Wie agi bereits zutreffend ausgeführt hat, ist bei Freiwilligkeit (einzig) entscheidend, ob der Täter noch Herr seiner Entschlüsse war und auch freiwillig also selbstbestimmt entschieden hat, dass er eben die Vollendung verhindern möchte bzw. die Tat abwenden möchte. Wenn er in Schockstarre verfällt und deshalb nicht weitermacht, dann ist es wohl nicht selbstbestimmt, denn er war je "eingefroren". Wenn er jedoch aufgrund Gewissensbisse Druck erfährt, dann ist dies der Fall, weil er intrinsisch dieses Gefühl verspürt (wobei man natürlich darüber streiten kann, ob Gewissensbisse nicht ähnlich wie bei Schockstarren nicht vllt. heteronom sind). Deshalb würde man hier die Freiwilligkeit mMn bejahen. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 5. Auflage, Hoffmann-Holland § 24 rtn. 137 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen